RAILWAY EMPIRE

Gaming Minds

(26.01.2018)

auch veröffentlicht auf
PlayStation 4 und Xbox One


Seit Amigazeiten und meinem heiß geliebten "Sid Meier's Railroad Tycoon" (1990) warte ich auf ein Eisenbahnspiel, das endlich wieder ungebremst Spaß macht und Eisenbahnfeeling versprüht. Auf den Release von "Railroad Tycoon II" (1998) aus den Händen von PopTop Software habe ich noch wie ein Kind auf sein Geburtstagsgeschenk gewartet und fand nur einen schrecklich zähen Abklatsch des Originals vor. Der zweite Versuch von PopTop "Railroad Tycoon III" (2003) war beim Gameplay zwar oben auf, aber hatte wie so viele Hardcore Titel dieser Zeit - etwa "Empire Earth" (2001) oder "Sid Meier's Civilization IV" (2005) - eine mal locker fünf Jahre veraltete 3D Grafik, die einfach nur Augenkrebs verursachte.

"Sid Meier's Railroads" (2006) war nicht weniger als eine spielgewordene Sparmaßnahme, eine veröffentlichte Alphaversion und für mich damals ganz klar das liebloseste Spiel aller Zeiten. Schon deutlich mehr Spaß hatte ich 2011 auf meiner frisch gekauften Xbox 360 mit "A-Train HX" (2006) und wenig später mit "A-Train 9" (2012), allerdings sind dies ziemlich hässliche Komplexitätsmonster, in denen die Züge wenig Charme versprühen. Naja, und das viel zu sandige "Train Fever" (2014), das weder richtig fordernd, richtig rund oder in einem technisch richtig guten Zustand ist, kann ich heute noch weniger als damals dem Durchschnittsspieler empfehlen.



Und es geht doch!

Trotz akuter Entzugserscheinungen nach einem Spiel dieser Art waren meine Erwartungen an "Railway Empire" daher so gebremst, dass ich den Titel nicht einmal selbst erworben habe, sondern Bruderherz vorschickte und lediglich die Steam-Familienbibliothek nutze (das Spiel gibt es aber auch DRM frei auf GOG). Doch meine Bedenken waren unnötig! Bereits die sehr ausführlichen und gut gemachten Tutorials, die vielleicht etwas zu großspurig mit Kampagne vom Entwickler Gaming Minds bezeichnet werden und daher bei einigen Spielern sicherlich falsche Erwartungen wecken, sind besser als alle bisher genannten Spiele, weil "Railway Empire" im Kern immer wieder den sog. Sweet Spot haargenau trifft.

Ja, auch "Railway Empire" hat wie die meisten zuvor genannten Vertreter einen komplexen Gleisbau, aber nicht so fummelig, dass ich ihn überhaupt nicht mehr bedienen kann - und manchmal sollte ich als Spieler auch einsehen, dass ein Looping sicherlich eine Lösung wäre, um das Gleis irgendwie doch noch an den Bahnhof anzuschließen, aber in der Realität regelmäßig zu Toten und Millionenschäden führen würde. Andere Spieler fragen: "Warum nimmt der Zug denn nicht einfach das nächste freie Bahnhofsgleis?" Die Durchsage am Bahnhof: "ICE 841 nach Berlin Hauptbahnhof fährt in wenigen Minuten auf dem nächsten freien Gleis ein", würde bei Reisenden aber wohl nicht so gut ankommen...



Von der Bahnsteigkante zurücktreten, bitte!

Gehen wir nun ins Detail: Dass ich in einem Eisenbahnspiel möglichst lukrative Strecken zwischen Metropolen bzw. Ressourcen wie Vieh oder Kohle und Produktionsstätten wie Schlachterreichen oder Stahlwerken baue und anschließend dafür sorge, dass sich die Züge nicht gegenseitig blockieren, dürfte jeden klar sein. Und in diesem Punkt machen auch die sandboxigen Vertreter regelmäßig nicht viel falsch. Aber nur "Railway Empire" schafft es mir in seinen Szenarien eine Reihe von bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfüllende Aufgaben zu stellen (z. B. schließe in vier Jahren 120.000 Einwohner an Dein Streckennetz an), die es - abhängig von der gewählten Schwierigkeitsstufe - notwendig machen, die Spielkarte zu analysieren und mich einigermaßen smart zu verhalten.

Und da man das bei Gaming Minds eben nicht wie heute immer mehr üblich im EA Stil mit extern vergebener Qualitätskontrolle (Käufer) gemacht hat, sind die Szenarien einerseits so knackig, dass ich bisher keines "auf schwer" im ersten Versuch geschafft habe, und andererseits aber so fair ausbalanciert, dass ich auch beim fünften Fehlschlag das Gefühl habe, die Lösung war greifbar, und wenn ich beim nächsten Mal zuerst diese Stadt anbinde und versuche genau dort eine Textilfabrik zu errichten usw., dann klappt das. Und so mache ich nicht etwa demotiviert das Spiel aus, sondern fange umso motivierter sofort wieder an. Ich bin schon bei einer Spieldauer von 140 Stunden angelangt und habe gerade mal die Hälfte der Szenarien abgeschlossen.



Oh, wie schön ist Panama

Besonders überrascht hat mich, dass die Grafik sogar eine ganze Ecke besser als die von "Train Fever" ist, ohne dabei - selbst wenn im späteren Spielverlauf richtig viel los ist - nach einem modernen Highend PC zu verlangen. Screenshots sind aufgrund der dynamischen Wolkendecke allerdings nicht leicht zu erstellen. Klar fehlt im direkten Vergleich selbst zu modernen Klassikern wie "Anno 1404" (2009) immer noch ein Bisschen der Fleiß und der Wuselfaktor glänzt bei Fahrgästen und Betrieben etwas unverständlich mit fast vollständiger Abwesenheit, aber zum entspannten Beobachten der Züge reicht es locker aus. Und vor allen Dingen lässt sich die Grafik bezüglich der Ressourcen und Verbindungen sehr klar lesen, so dass ich nicht ewig durch verschiedene Zoomstufen scrolle, um einen Überblick zu behalten.

Die Menüs sind eher schmucklos, wenn auch relativ durchdacht (man darf nicht vergessen, dass das Spiel auch für PS4 und Xbox One erschienen ist) und auch die verschiedenen KI Gegner hätten sicherlich etwas mehr verdient als ein Standbild und ein paar - wenn auch wirklich gut charakterisierende – Sprüche, aber diesbezüglich steht das Genre seit eh und je auf dem Schlauch. Und vor allen Dingen erinnere ich mich doch eher mit Schrecken an die verschiedenen Versuche der "Civilization" Serie, die gegnerischen Anführer zu animieren, so dass es am Ende vielleicht besser ist, dass Gamind Minds sich erst gar nicht daran versucht haben anstatt halbgaren Mist abzuliefern.



Nur ein dicker Patzer!

Vielleicht ist daher am Ende für den positiven Gesamteindruck gar nicht so wichtig, was "Railway Empire" alles richtig macht, sondern dass es verdammt wenig falsch macht. Genaugenommen ist es nur der Aktienkauf bzw. die Ermittlung des Aktienkurses, die mir gar nicht gefällt, denn der Aktienkurs basiert in "Railway Empire" ausschließlich auf dem Bilanzwert des Unternehmens und überhaupt nicht auf der Gewinnerwartung. Das klingt im ersten Moment gar nicht so schlimm, es gibt aber Situationen, in denen es fast unmöglich wird, die Aufgabe "kaufe das Unternehmen eines Konkurrenten auf" zu erfüllen, weil der Konkurrent lediglich groß aber nicht erfolgreich sein muss.

Das Problem dabei ist, dass Fehlinvestitionen nicht als solche bewertet werden. Für "Railway Empire" spielt es keine Rolle, ob ich eine Möbelfabrik für $500.000 neu baue oder aber stattdessen, da es z. B. keinen freien Bauplatz mehr gibt, nach einem harten Bieterkampf für $5.000.000 ersteigern muss. Im Spiel sind beide Fälle bezüglich des Unternehmenswertes dauerhaft identisch, denn in beiden Fällen wird der Bargeldwert um den Kaufpreis reduziert und der Gebäudewert um den Kaufpreis erhöht. Dass die Gewinnerwartung der Möbelfabrik bis zum Ende des Szenarios mit $250.000 eher mager ausfällt und im zweiten Fall lediglich 5% der Investitionssumme beträgt, fällt dabei komplett unter den Tisch.



Fazit:
Auch wenn ich "Sid Meier's Railroad Tycoon" jetzt über 20 Jahren nicht mehr ausführlich gespielt habe, bin ich mir ziemlich sicher (nachdem ich kurz ins Handbuch geschaut habe, hehehe), dass "Railway Empire" und sein Urahn zur Hälfte identisch sind. Das zeigt zum einen die Brillanz des Klassikers aber auch, dass die Jungs von Gaming Minds in aller Ruhe ausprobiert haben, welche Änderungen überhaupt Sinn machen, weil es nicht darum ging, mit einer möglichst langen Featureliste aufzuwarten, sondern am Ende mit einem wirklich runden Produkt auf den Markt zu kommen. Zwar haben sie sich im Zweifelsfall eher dafür entschieden etwas Komplexität und Realismus raus zunehmen, aber mit dem Personalmanagement im Gegenzug auch ein sehr realistisches Problem jedes Betriebes hinzugefügt.

Ich kann jedenfalls nur sagen, dass ich seit Ewigkeiten mit einem Aufbauspiel nicht mehr so viel Spaß hatte, weil ich den Spielablauf (z. B. wann eine neue Lokomotive verfügbar ist oder welche Stadt wächst) hier sehr gut beeinflussen kann. Und sollte sich die Gamepadsteuerung, die ich bisher nicht großartig ausprobiert habe (kann auch auf dem PC aktiviert werden), als brauchbar herausstellen, dann werde ich mir mit ziemlicher Sicherheit später einmal die Xbox One Version zulegen. Vorzugsweise natürlich die erweiterte Gold- oder Platinversion mit zusätzlichen europäischen Szenarien, hahaha, denn ich müsste mich jetzt schon sehr irren, wenn dieses Spiel nicht einige Erweiterungen bekommt.


Steuerung (15%):
Grafik (15%):
Balance (15%):
Handlung (15%):
Sound (10%):
Zugänglichkeit (10%):
Komplexität (10%):
Spieldauer (10%):


Minimale Konfiguration
des Herstellers:

800 x 600 x 32 und
minimale Details

Core i5 750 (2,6 GHz)
GeForce GTX 460 (2 GB VRAM)
4 GB RAM
Windows 7 64 / Ubuntu 14.04

Empfohlene Konfiguration
des Herstellers:

1920 x 1080 x 32 und
maximale Details

Core i5 2400s (2,5 GHz)
GeForce GTX 680
8 GB RAM
Windows 7 64 / Ubuntu 14.04