A-TRAIN 9
(Der Bahngigant)

Artdink

(15.03.2012)


Nach vier Spielen mit nicht nur gefühlt 10.000 Tötungsdelikten war mir einfach mal wieder nach etwas mehr Ruhe. Den eigentlich dritten Teil der "A-Train"-Reihe muss ich in den frühen 90ern wohl noch auf dem Amiga gespielt haben und vor knapp zwei Jahren hatte ich sehr viel Spaß mit dem Xbox 360 exklusivem "A-Train HX" (2006). Den zumindest namentlich neunten Teil der Serie - eigentlich schon 2010 veröffentlicht, hier aber erst nach zwei Jahren übersetzt unter "Der Bahngigant" vor nunmehr elf Monaten auf den Markt geworfen - fand ich sperrig und schwer.

Ja, für mich war das Spiel sogar so unglaublich sperrig und bockschwer, dass ich, obwohl ich ja eigentlich schon allein durch das Xbox Spiel noch voll in der Materie war, trotz passablen Handbuch überhaupt nichts gebacken bekam und nach zwei ultrafrustigen Versuchen das Spiel zehn Monate nicht mehr anrührte.

Auch jetzt beim zweiten Anlauf brauchte ich doch eine ganze Weile, bis ich mich in der Bedienung wirklich sicher fühlte, und an der Tatsache, dass es sich hier um das "Dark Souls" (2011) der Aufbauspiele handelt, hat sich mal rein gar nichts geändert. "A-Train 9" hat mit in unseren Breitengraden bekannteren Spielen wie "Sid Meier's Railroads" (2006) nur vordergründig gemeinsam, dass da auch so Züge rumfahren.

Wat is "A-Train 9"? Da stelle mer uns mal janz dumm...

Bei "A-Train 9" geht es zwar auch um Menschen- und Warenströme, jedoch muss nicht nur einfach mal ein Gleis zwischen zwei Städten oder Produktionsbetrieben in die Landschaft geworfen werden, sondern durch das eigene Handeln gilt es eine ganze Region so zu entwickelt, dass Menschen dort arbeiten und leben wollen - und auch tatsächlch können. Wer nun Bilder des kommenden "Sim City" im Kopf hat und denkt, er markiert da mal ein paar Flächen in verschiedenen Farben und anschließend strömen die Millionen aufs Konto, ist massiv falsch gewickelt.

Artdink simuliert auch in "A-Train 9" bei Leibe noch nicht alles, was in einer Stadt von Bedeutung ist, aber das was sie simulieren, nehmen sie verdammt ernst. Die Spielzeit bzw. das Verhalten der leider unsichtbaren Einwohner läuft minutengenau ab und es gibt einen Riesenunterschied bezüglich der Auslastung eines Zuges, der ein Gebiet mit vielen Wohnungen mit einem Gebiet mit vielen Fabriken verbindet, wenn ich ihn um 6, 8 oder 10 Uhr losfahren lasse, weil die Leute nur um 8 Uhr zur Arbeit fahren wollen. Entsprechend kann ich auf Wunsch meine Züge auch minutengenau starten lassen.

Wirklich entscheidend ist aber, dass Investitionen wie der Bau eines Kaufhauses nicht sofort ein Vielfaches des investierten Geldes wieder abwerfen, sondern selbst bei ausgezeichneter Platzwahl zehn oder gar 20 Spieljahre hierfür verstreichen müssen. Anders als üblich setzt Artdink realistisch hohe Kosten an, so dass etwa ein großes Kaufhaus mit 100 Millionen Bau- inkl. Grundstückskosten zwar schon im ersten Jahr seines Bestehens 20 Millionen Umsätze macht, aber nur eine Million Gewinn erwirtschaftet.

Wo geht's denn hier an den Steuern vorbei?

Das einfachste Szenario von "A-Train 9" startet mit drei Milliarden Vermögen in Form von etwas Bahnbetrieb, zwei Wärmekraftwerken, einigen Hochhäusern, Freizeitparks, Hotels, Geschäften, Materialfabriken und Lagerplätzen und einer Milliarde Cash. Speziell die Wärmekraftwerke und zwei Ressorts leiden an Überkapazität aber insgesamt kommen jeden Tag bereits ein paar Tausender ohne mein Zutun rein. Wer nun über das erste Jahr verteilt großzügig 500 Millionen in neue Bahnverbindungen und - um beim Beispiel zu bleiben - weitere 500 Millionen in fünf Kaufhäuser investiert, wird sich am 01.05. des Folgejahres die Augen reiben.

An dem Tag wird nämlich die dickste Steuer im Spiel, die Vermögenssteuer des Vorjahres, fällig - und die beträgt satte 200 Millionen. Selbst wenn man Talent bei der Auswahl der Bahnverbindungen bewiesen und tatsächlich bis zu diesem Termin über fünf Millionen aus den Kaufhäusern gezogen hat, gilt es immer noch mindestens 180 Millionen per Kredit zu finanzieren. Dann bleibt aber kein Geld mehr um irgendetwas anderes zu tun, als dem Spiel zuzugucken, also nimmt man am besten gleich mal 400 Millionen auf.

Die Kreditaufnahme ist auf 30 % des Gesamtvermögens beschränkt, die Zinssätze, wie es sich gehört, nicht ohne und im nächsten Jahr stellt sich das gleiche Problem schon wieder. Selbst bei langfristigen Krediten über zehn Jahre Laufzeit würde ich bei dieser Spielweise innerhalb von sechs bis sieben Spieljahren Insolvenz anmelden müssen, weil sechs Milliarden Vermögen bereits zwei Milliarden Kredite gegenübestehen, womit das Szenario dann logischerweise verloren ist.

Deinen Scheiß kannst Du alleine machen!

Anders als etwa noch in "A-Train HX" kann ich mit Aktienhandel allein nicht mehr die ganz große Knete machen, weil meine gerade überteuren Aktien nicht einfach dankbar zurückgenommen werden, sondern sich virtuelle Käufer finden müssen, die durchaus ihre Hausaufgaben gemacht haben. Um also irgendwie langfristig aus den roten Zahlen herauszukommen, gilt es akribisch jede Gelegenheit zu nutzen und vor allen Dingen jede Form von Verschwendung zu vermeiden oder zumindest so gering wie möglich zu halten.

Um dieser Aufgabe Herr zu werden, liefert Artdink für praktisch alles akurate Zahlen, wie sie in der Realität nie in Echtzeit vorliegen würden. Aber es gibt keine magischen Overlays, die etwa gleich mal die Karte in verschiedenen Farben erstrahlen lässt, um z. B. Ballungsräume anzuzeigen. Mal abgesehen davon, dass ich meinen Blick von oben, ganz ohne für den Hubschrauber zu bezahlen, spendiert bekomme, muss ich mir schon selbst die Arbeit machen, meine Schlüsse daraus zu ziehen, was es wohl bedeutet, wenn eine Gruppe von vier neuen Hochhäusern innerhalb kürzester Zeit entstanden ist - und ob ich nicht mind. eines davon hätte selbst rechtzeitig bauen sollen.

Wer überhaupt kein Verhältnis zu Zahlen hat, kann daher mit "A-Train 9" nicht wirklich warm werden. Zu oft gilt es zumind. überschlagsmäßig Kosten und Nutzen abzuwägen und wenn alles andere nicht mehr hilft unverkäufliche und unrettbar defitiäre Einrichtungen so schnell wie möglich abzureißen, da die jährlichen Kosten die des Abrisses in wenigen Jahren ohnehin überschreiten würden. Und so ist wenigstens Platz, damit an dieser Stelle etwas besseres entstehen kann.

Sie haben da etwas Grafik im Monitorwinkel

Es ist, als ob ein Fluch auf Spielen mit Eisenbahnen liegen würde: Das bereits erwähnte "Sid Meier's Railroads" war alles andere als eine Augenweide und absolut grottig programmiert und das ebenfalls aus 2006 stammende "A-Train HX" ist vermutlich das hässlichste Spiel für Xbox 360, das jemals auf einem Datenträger ausgeliefert wurde. "A-Train 9" stammt ja eigentlich schon aus dem Jahr 2010, aber genaugenommen wäre es 2010 auch kein Stück weniger hässlich gewesen. Die Grafik ist bestenfalls übersichtlich.

Aber in echt ist sie einfach nur erschreckend steril. Wie bereits erwähnt, glänzen die virtuellen Einwohner meiner Stadt mit dauerhafter Abwesenheit. Nicht einmal an den Bahnhöfen tummeln sich ein paar Platzhalter. Auf den Straßen fahren nur meine Busse und LKWs. Individualverkehr muss es zwar geben, denn die Einwohnern verlangen Straßen, aber der Verkehr bleibt ebenfalls unsichtbar. Die beste Animation im Spiel, ist das Windkraftwerk, das sich sogar nach der Windrichtung ausrichtet. Man ist versucht zu sagen, dass es auch fast die einzige Animation im Spiel ist.

Die meisten Texturen sehen aus 100 Spielmetern noch ganz nett aus, aber es ist besser, man geht nicht näher ran. Ich kann verstehen, dass sich die Polygonzahl bei einem Spiel wie diesem nicht erhöht, aber es ist mir gänzlich unverständlich, warum für die Nahansicht nicht wenigstens eine höher aufgelöste Textur zur Verfügung gestellt wird. Auf einer DVD (das Spiel passt echt noch auf eine CD-ROM) wären dafür noch mehr als sieben Gigabyte Platz gewesen. Die werden bei Artdink doch wohl kaum von vornherein mit diesen Matschtexturen gearbeitet habe...

Vorsicht! KI baut mit!

Während in alten "A-Train"-Versionen Schienen, Häuser usw. lediglich alle 45° ausgerichtet werden konnten, geht dies nun in 22,5° Schritten. Sieht in Verbindung mit sanften Kurven etwas netter aus, bringt spielerisch aber mal rein gar nichts, weil so viele unterschiedliche Faktoren die Streckenführung bestimmen, dass ich auf die Optik meist nur pfeifen kann, und die Bedienung wird nur unnötig verkompliziert. Richtig schlimm wird's jedoch, wenn die KI anfängt eigene Straße zu verlegen.

Das macht die KI immer dann, wenn sie der Meinung ist, dass ich längst eine Straße hätte bauen sollen. Mache ich aber aus finanziellen Gründen nur sehr selten, weil die Grundstückskosten sich gegenüber "A-Train HX" mindestens vervierfacht haben und Straßen die gleichen Grundstückskosten (genaugenommen Nutzungskosten) verursachen wie alle anderen Bauten. Da kann es dann schnell passieren, dass eine ganz kurze Straße, deren Baukosten nur 150.000 beträgt, insgesamt mit satten 15 Millionen zu Buche schlägt.

In einfachen Systemem wie Schach schlägt mich jeder Computer, aber hier versagt die KI jämmerlich. Mal baut sie hier 50 Meter, dann leicht versetzt dazu einen Monat später weitere 100 Meter und ein halbes Jahr später wird noch möglichst der Rest der freien Fläche versiegelt. Platz für Häuser ist jetzt keiner mehr da, aber irgendein fehlgeleiteter Algorithmus ist zufrieden, weil jetzt das Verhältnis zur Einwohnerzahl oder was weiß ich stimmt.

Fazit:

"A-Train 9" ist nicht schön, klingt nicht besonders schön und bedient sich teils nicht schön. Wäre "A-Train 9" ein Popcorntitel, würde es vielleicht nicht mal die 4er Marke knacken. Doch "A-Train 9" ist genaugenommen nicht mal ein klassisches Aufbauspiel, das mich mit ein paar Warenketten und einfachen Abhängigkeiten bei der Stange halten will.

"A-Train 9" ist eines dieser nur noch sehr seltenen Komplexitätsmonster, in dem wie in der Realität alles mit allem zusammenhängt. In dem ich nicht mal eben Wohnungen für 5.000 Menschen bauen kann und - ZACK - wie aus dem Nichts hat meine Stadt 5.000 Einwohner mehr, sondern jedem einzelnen davon muss ich eine Perspektive bieten, bevor er zuzieht. Wer sich dieser und vergleichbaren Aufgaben stellen will, wird ein auf einmalige Art und Weise unterhaltsames Spiel vorfinden. Alle anderen machen besser einen großen Bogen.

Anmerkung 1:
Artdink bzw. die UIG Entertainment GmbH geben für die CPU (AMD Phenom, I5 oder besser) recht hohe Anforderungen an. Diese beziehen sich wohl darauf, dass "A-Train 9" auch noch flüssig zu bedienen sein soll, wenn man die Zeit mit 70facher Beschleunigung verstreichen lässt.

Anmerkung 2:
Auf meinem Laptop hatte das Spiel Probleme beide CPU Kerne zu nutzen und ruckelte dadurch so stark, dass es unspielbar war (Core 2 Duo T5500 (1,66 GHz), Windows XP). Da ich in keinem Forum von ähnlichen Problemen gelesen habe, ist es vielleicht ein Einzelfall.



  POSITIV:
  - DAS Komplexitätsmonster
  - alles beeinflusst alles
  - stundenlanges Knobeln


  NEGATIV:
  - sieht nicht schön aus
  - klingt nicht besonders
  - Bedienung wechselhaft