Sid Meier's
RAILROADS

Firaxis Games

(26.10.2006)


Die Neuauflage von "Pirates" war okay. Auch "Civilization IV" bot unterm Strich wenig Neues und war dabei abgrundtief hässlich aber wenigstens ein komplettes Spiel.
"Railroads" jedoch ist lediglich als kurzfristiger Modellbahnersatz ganz gut gelungen, als Spiel hat es tief in die Scheiße gegriffen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es macht wirklich Spaß den kleinen Eisenbahnen beim Fahren zuzugucken und im Großen und Ganzen ging das Verlegen der Schienen bis zum ersten Patch gut von der Hand. Was jedoch fehlt ist die Herausforderung in der Spielmechanik.

Ich habe halb im Schock und halb aus Spaß "Railroad Tycoon" von 1990 installiert. Natürlich liegen da grafisch mittlerweile Welten dazwischen, aber die Bedienung war gar nicht so schlecht.

Was hatte man alles für Möglichkeiten!!!

Auf den riesigen Karten konnte man seinen Startplatz frei wählen, anstatt alles mit Mehrfachgleisen zuzubomben konnte man Signale setzen, die Bahnhöfe ließen sich viel gezielter ausbauen, der finanzielle Unterbau mit seiner wesentlich realistischeren Aktienpreisentwicklung und dem Druck der Investoren ging ab wie Sau und die KI Gegner machten einem das Leben richtig schwer.

Selbst die KI der eigenen Züge war besser, denn die KI der neuen Version verursacht nichts als Chaos, wenn sich mehrere Züge auf mehrere Bahnsteige verteilen sollen. Man einigt sich 2006 nämlich regelmäßig auf das gleiche Gleis und steht sich dann im schlimmsten Fall - je nach Schwierigkeitsstufe - für immer gegenüber. Es gibt nicht viel, was mich mehr nerven könnte.

Behauptete Komplexität

Am auffälligsten ist aber, dass die Karten beim Klassiker von 1990 VIEL größer waren und es sich lohnte, nach wirklich guten Industriestandorten zu gucken, die zudem bei jedem Start anders aber fair verteilt wurden. Bei der Neuauflage produziert praktisch jedes Holzfällercamp etc. soviel, dass man einfach die maximale Kapazität von acht Anhängern pro Zug wegfahren kann, so man denn überhaupt einen Abnehmer findet.

Nun könnte man ja wenigstens einwenden, dass die Entwickler ja auch gerade von diese masseninkompatiblen Komplexität der Tycoons runter wollten und das Spiel ja genau deswegen eben nur "Railroads" genannt haben, damit nicht so viele abgeschreckt werden.

Leider (also jetzt für Firaxis) erinner ich mich noch sehr gut, wie nach den ersten negativen Previews bezüglich der (nennen wir es mal) umfangreicheren Streichliste seitens der Marketingabteilung sofort die Reißleine gezogen wurde: Das Spiel sei doch nicht so simpel, wie zuerst dargestellt, und außerdem wird nun jede Werbung für das Spiel nicht müde aufzuzählen, wieviele verschiedene Güter und Lokomotiven es doch gibt und wie toll es doch ist, gegen die historischen Eisenbahnbarone zu spielen.

Sehr schade nur, dass letztere zwar so klangvolle Namen wie Cornelius Vanderbilt haben, aber ihr Streckennetz und den Fahrplan nicht die Bohne optimieren können. Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird immer dann offensichtlich, wenn man eine gegnerische Eisenbahn übernimmt.

Mission Impossible

Komisch auch, dass sich diese Vielzahl an Güter nicht auswirkt, da eine Vielzahl ohne Wahl gar nichts bringt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich im Südost USA Szenario gnadenlos versackt bin, weil ich in den ersten Spieljahren ausschließlich Erz heranschaffen konnte, für das man mir aber weniger zahlte, als ich an Fixkosten hatte. So trudelte ich in die Miesen ohne jemals das Geld für eine viel lukrativere Passagier-/Postverbindung aufbringen zu können.

Besonders witzig sind Situationen wie diese: Innerhalb weniger Spieljahre soll ich ein Dorf zu einer Metropolis durch Warenlieferung hochpeppeln, dieses Dorf wurde aber vom Zufallsgeneration am anderen Ende der Karte gespawned und ist von meinem ersten Bahnhof aus nur zu erreichen, wenn ich eine monumentale Brücke über einen Fluß und die Gleise zweier Gegner baue, was mir dann logischerweise innerhalb der vorgegebenen Zeit nicht gelingen kann.

Das war jetzt schwer...

Was die vielen Lokomotiven angeht, so handelt es sich schlichtweg um eine Marketinglüge, denn nicht alle Lokomotiven sind in allen Szenarien vorhanden. Im Schnitt verteilen sich elf Lokomotiven auf 139 Jahre, das macht etwa eine neue Lokomotive alle 13 Jahre oder einfacher ausgedrückt - jeder noch so große Vollidiot kann die richtige Lokomotive auswählen, weil er gar nicht viel falsch machen kann, wenn er einfach immer die Neueste nimmt.

Wie übel die Balance ist, wurde selbst bereits im Demoszenario sofort klar, aus dem der Screenshot hier stammt. Ich musste auf mittlerer Schwierigkeitsstufe lediglich meine eigenen Aktien verkaufen, zwei Depots bauen - eins in nächsten Stadt und eins im nächstgelegenen Holzfällerlager - und drei Züge auf Reisen schicken. Ein Personenzug pendelt zwischen den Städten, einer holt das Holz ran und einer fuhr das verarbeitete Holz eine Stadt weiter. Ruck Zuck konnte ich den Gegner aufkaufen und dann die restlichen Missionsziele erfüllen. Nur für die Screenies habe ich drei verschiedene Lokomotiven verwendet... ich hätte das Szenario vermutlich auch mit der Startlok gewonnen.

In Wahrheit ist also sowas wie Hinrschmalz nicht gefragt. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, Workarounds für die Programmierfehler bei der KI und die Mängel beim Gleisbau (Signale können weder manuell entfernt noch hinzugefügt werden) zu finden.

Wir haben die Engine bald soweit!

Ein Hohn ist natürlich auch die Performance der zum Vollpreis angebotenen Alphaversion. Kam mir gleich verdächtig vor, wie schnell das Spiel nach den ersten Previews plötzlich in den Läden stand. Wenn man sich überlegt, dass die Grafikengine nicht viel darzustellen hat und Firaxis ja bereits bei "Civilization IV" die gleiche Engine am Start hatte, ist die Leistung selten beschissen - und das ist noch geschmeichelt.

Kaschiert wird die grottige Leistung dadurch, dass man den Blickwinkel normalerweise nicht in der Art und Weise kippen kann, dass man z. B. die Sicht eines Menschen auf dem Bahnsteig hat. Der Blick aus lächerliche Höhe leicht schräg von oben hält das Polygonaufkommen zu jeder Zeit schön niedrig. Bilder wie auf den Screenshots, die Firaxis überall gestreut hat, kann man nicht schießen, es sei denn, man wählt die Zugverfolgunskamera. Für einen genüßlichen Blick auf seine "Modellbahnanlage" ist diese sich ständig bewegende Kamera aber völlig ungeeignet.

Im Detail

Der Streckenneubau funktioniert noch gut, der Streckenbau zwischen bestehenden Strecken ist mittlerweile fummelig. Beim Industriebau sind die Icons zu klein und bei Versteigerungen der Fabriken etc. lässt sich während der kurzen Gebotsphase gar nicht erfassen, ob es sich um eine lohnende Investition handelt. Beim Zusammenstellen der Züge klickt man leicht auf die ebenfalls zu kleinen und manchmal ähnlichen Güterhänger, da diese beim Entfernen der derzeitigen Hänger am neuesten Stopp ihre Position im Menü wechseln.

Die Soundeffekte gehen im Großen und Ganzen okay. Aber wer Countryscheiße als Hintergrundmusik erträgt, der findet es wahrscheinlich auch geil, wenn es in Filmen geigt. Grottige Performance und Darstellungfehler - Strecken (insbesondere verschiedener Höhenstufen) werden nicht korrekt miteinander verbunden - lassen einen aber nur mit dem Kopf schütteln. Schleierhaft ist mir auch, warum die entscheidenen Informationen (z. B. das Diagramm über die Geschwindigkeit einer Lok abhängig von der Anzahl und Art der Anhänger) regelmäßig so klein wie Fliegendreck dargestellt werden. Da hat wohl jemand vergessen, das Zeug als skalierbares 3D Objekt zu erstellen...

Sowas wie Balance ist sicherlich noch für die Zukunft beabsichtigt und wird evtl. noch mit einem der späteren Patches dazugefügt. Ich find's immer toll (triefende Ironie), wenn die KI des Computergegners nicht etwa eine Stufe höher schaltet, sondern ich stattdessen einfach weniger Geld für die gleiche Leistung bekomme. Das macht Sinn.

Ein Blick ins Handbuch (gut abgeschrieben beim Spiel von 1990) ist nicht nötig. Die paar verbliebenen Zusammenhänge erschließen sich einem auch so. Kampagne: Fehlanzeige! - Eigene Persönlichkeit: Fehlanzeige! - Was bleibt ist der dezente historische Hintergrund, der die wirtschaftliche Entwicklung leicht beeinflusst und die Ziele innerhalb der Szenarien vorgibt. Genaugenommen also komplett verschenkt.

Fazit:

So nach etwa 40 Stunden hat man die sieben Szenarien mit Höchstwertungen abgeschlossen. Für einen Neustart auf einer schwierigeren Stufe gibt es aufgrund der derzeit mageren Balance keinen Grund. Eigentlich gab es schon keinen Grund, überhaupt 40 Stunden durchzuhalten...

Schämt Euch - und schickt Sid endlich in Rente!!! Wenn Ihr nur Inhalte für etwa 10 € einbaut (sieben Zwergszenarien mit völlig verfuschtem Zufallsgenerator und acht dödelige Multiplayerkarten), dann nehmt wenigstens auch nur 10 €, dann meckert deswegen auch keiner. Als Spiel hat "Railroads" kläglich versagt, als Modelleisenbahnersatz ist es noch gerade so brauchbar. Wer es simpel mag und wie ich mangels Platz und Basteltalent seine Modelleisenbahn erstmal weggepackt hat, kann - zumindest sobald der Preis deutlich gefallen ist - einen Kauf vielleicht in Erwägung ziehen, aber vermutlich wird er anderswo auf Dauer glücklicher.

Patch 1.01:

Sollte jemals wer Zweifel daran gehabt haben, dass hier die Alphaversion in den Läden steht, dann muss man nur einen Blick auf die Patchnotes werfen, die Firaxis schnell wieder von allen offiziellen Seiten gelöscht hat, damit es nicht ganz so dämlich aussieht (Auszug):

Crash - Deleting the section of track right before the train will no longer crash the game.
Crash - Double left-clicking on an "Industry Buy" button no longer causes the game to crash to desktop.
Crash - Fix crash when trying to hide auction that hasn't been created yet when going into routing screen.
Crash - If user changes the route to a depot the train is just passing the game will no longer crash.
Crash - The game no longer crashes after deleting a certain segment of track from the attached save game.
Crash - The game no longer crashes when the user builds track from the Southeast tip of the map to the Southwest tip of the map.
Crash - The game will no longer crash if the player blocks AI's train track at the beginning of the game.
Crash - User can no longer crash game by holding down the increase/decrease elevation keys.
Crash - When two trains are on one track, a double track is laid and connected to original track, and original track is deleted, the game no longer crashes.
Performance - Fixed small AI memory leak when a route is valid but the AI can't afford it.
Performance - Improved city and industry placement performance.
Performance - Improved track overlap finding performance.
Performance - Improving city and stockpile track cutting, which improves track dragging by ~25%.
Performance - Increased performance of reflection and shadow generation.
Performance - Roundhouse and feature screen no longer load animations (only affects non-precached option).
Performance - Simplified track validation to improve performance.

Neun ganz gewöhnliche Spielsituationen haben also zum Crash geführt. Ins Gras beißen tut das Spiel aber weiterhin regelmäßig, also nicht wundern! Wie immer bei Firaxis laufen die Videos so früh nach der Veröffentlichung noch nicht auf allen Systemen flüssig (6600 GT APG = ja, 7900 GS PCIE = nein). JUPPIE!!!

Der Knüller dabei ist, dass "improved track overlap" und "simplified track validation" dazu führen, dass jetzt bestimmte Gleisanordnungen nicht mehr möglich sind, was insbesondere eine Verbindung zwischen Doppelgleisen zur Tortur werden lässt.

Besitzern einer AGP Grafikkarte kann ich aus eigener leidvoller Erfahrung (FPS fällt immer wieder auf etwa 3) außerdem den Tipp geben, dass man die "AGP Aperture Size" im Bios mind. so hoch setzen sollte, dass Aperture und echtes VideoRAM zusammen 256 MB ergibt.



  POSITIV:
  - scheint keiner zu kaufen


  NEGATIV:
  - Grottenolm von Spiel
  - unfertiger Schrott
  - keine Herausforderung
  - oder gleich unlösbar
  - Tod eines Franchise