Sid Meier's
CIVILIZATION IV

Firaxis

(04.11.2005)


04.11.2005 - Clash of the Titans: "Civilization IV" gegen "Age of Empires III", Runde gegen Echtzeit, aber auch irgendwie sehr gutes Konzept gegen sehr gute Qualitätssicherung...

Keine Frage: Das Augenkrebsduell hätte "Age of Empires III" auch dann nicht gewinnen können, wenn es lediglich mit 800 x 600 Pixeln und ohne alle Details angetreten wäre. "Civilization IV" ist so ziemlich das hässlichste namhafte Computerspiel, das ich seit dem Vorgänger gesehen habe. Dies wäre leichter hinzunehmen, wenn das Spiel als Minimalkonfiguration nicht schon einen Computer mit 1,2 GHz und 64 MB T&L Grafikkarte bräuchte, auf dem Rennspiele wie "Need for Speed: Underground" oder "Race Driver 2" flüssig laufen.

Kauft doch schon mal die Beta

Auch Abstürze, Grafikfehler, falsche Tooltips (anstatt Interfacetooltip gibt es eines zum darunter verborgene Spielfeld), Soundprobleme insbesondere bei den Videos und ein Browser für Multiplayerpartien, der nicht vernünftig nach oben und unten scrollen kann, machen deutlich, dass das Spiel noch mehrere Wochen bis einige Monate Bugfixing gebraucht hätte.

Da man solche Bolzen nicht übersehen kann und auch rein gar nichts mit meiner Konfiguration zu tun haben, wurde hier also im vollem Bewusstsein mal wieder der Betatest geoutsourced. Dem Verantwortlichen drohe ich hiermit die Tracht Prügel seines Lebens an. Ich würde sagen, für schlappe 45 € kann ich Dir so lange in die Fresse schlagen, bis es mir besser geht und Du Dich nie wieder traust, Betaversionen zu veröffentlichen!!!

Inhaltliche Fortschritte

Gemessen am Vorgänger war mir unabhängig von diesen Ärgernissen nach nicht mal 90 Minuten klar, dass es sich bei "Civilization IV" um einen Schritt nach vorn handelt. Anders als bisher kapiere auch ich endlich, was ich richtig und was ich falsch gemacht habe. Nunmehr kann ich durchgängig anhand einfacher +/- Listen ablesen, warum eine Stadt nicht mehr wächst, warum ein anderer Herrscher mich hasst usw.

Und anders als bei der Echtzeitkonkurenz führen gleich sechs Wege zum Sieg: Punktsieg (Punktewertung nach maximaler Rundenzahl), Eroberungssieg (alle andern Städte plätten oder erobern), Herrschaftssieg (mit Abstand größte Zivilisation), Kultursieg (drei Städte mit legendären Status), Weltraumwettrennen (wer hat als erstes ein Raumschiff fertig) und Diplomatischer Sieg (UN entscheidet sich für Dich). Allerdings sollte nicht verschwiegen werden, dass es trotzdem immer eines sehr großen Militärapparates bedarf, um überhaupt ein paar Jahrtausende durchzuhalten.

Pass bloß auf den Nachbarn auf!

Je nach Ziel muss sich meine Strategie grundlegend unterscheiden. Will ich z.B. das Raumschiff bauen, muss ich die verschiedenen benötigten Technologien schnellstmöglichst erforschen, also so viel Geld wie möglich in die Forschung pumpen, so dass keine Mittel vorhanden sind, um sich gegen mehr als einen kriegerischen Nachbarn zu verteidigen.

Überhaupt gilt es seinen Nachbarn im Auge zu behalten, Bündnisse zu schließen und zu brechen und in die Tischkante zu beißen, wenn man sich gerade vor Rom in Stellung gebracht hat, während Napoleon in meine Hauptstadt einmarschiert, weil er wie Caesar ebenfalls Christ ist und daher seinem Glaubensbruder - wenn auch nicht ganz so selbstlos wie er behauptet - mal schnell geholfen hat.

Im Detail

Im Großen und Ganzen steht einem das Interface beim Herrschen hilfreich zur Seite. Von dem Tooltipproblem, das leider nicht vollständig gepatched wurde, abgesehen, ging Bruderherz und mir eigentlich nur auf den Senkel, dass in der Zivilopädie (Onlinehilfe und Nachschlagewerk) in der zweiten Ebene z. B. auf unbeschriftete Einheitenbilder anstatt auf Einheitennamen geklickt werden muss, um Informationen zu erhalten. Aus etwa 50 anscheinend beliebig angeordneten Icons das Richtige herauszusuchen nervt schon schwer, es existiert jedoch ein Workaround.

Die Soundeffekte reißen sich kein Bein aus, gehen aber noch in Ordnung, und die Musik von z. B. Bach, Beethoven, Brahms und Mozart entspannte mich sehr angenehm. Dass Caesar und die anderen Gegner nicht sprechen war vielleicht bei "Civilization III" noch akzeptabel, aber Ende 2005 liegt die Messlatte definitiv woanders.

Es ist extrem ernüchternd, wie hässlich und schlampig die Grafik dieses Prestigeprojektes des Publishers programmiert wurde. Das Spiel läuft auf einem Athlon XP 3000+ mit GeForce 4 Ti 4200 wesentlich langsamer als auf einem Athlon XP 2600+ mit GeForce 6600 GT, obwohl ich nicht einen Effekt ausmachen kann, den z. B. das besser animierte "WarCraft III - Reign Of Chaos" drei Jahre früher nicht in vierfacher Geschwindigkeit gebracht hätte. Auf der vom Hersteller empfohlenen Konfiguration wird niemand viel Freude mit dem Spiel haben.

Abgesehen davon, dass das Spiel bereits auf den einfachen Spielstufen keinerlei Fehler verzeiht, wurde die Attraktivität aller Spielelemente jenseits des Militärs gegenüber den Vorgängern stark verbessert, insgesamt hat das öde Einheiten umherschubsen aber immer noch zuviel Gewicht. Durch die bereits erwähnten +/- Listen können auch endlich wieder Neulinge eine Partie "Civilization" spielen, wenn auch nicht gewinnen. Die Zivilopädie oder alternativ das Handbuch bleiben aber unverzichtbar und reißen immer wieder aus dem Spielfluss heraus.

"Civilization IV" ist ein globales und sehr variables Strategiespiel und verzichtet anders als z. B. packjende "X-COM: UFO Defense", das genau eine Alieninvasion zum Thema hat, im Gegenzug darauf, neben den nackten Zahlen noch irgendwelche Anreize zu liefern. Selbst in den Szenarios wird kein Ansatz unternommen mittels der Anführer eine Geschichte zu erzählen. Nach der Bauchlandung mit "Alpha Centauri" (1999) hat Firaxis vermutlich eingesehen, dass sie in dem Bereich zu wenig auf dem Kasten haben.

Bei der Komplexität kann man abhängig vom Standpunkt begeistert sein oder dies ablehnen. Die Spielmechanik ist völlig fiktiv (Weltumseglung dauert 2.000 Jahre) und kann allein mit dem gesundem Menschenverstand nicht erfasst werden. Wenn man sich jedoch etwas mit dem Regelwerk beschäftigt hat, ist das Gesamtkonzept schlüssig und nachvollziehbar. - Aufgrund der zu erwartenen Attentate von religiösen Fanatikern mussten übrigens die verschiedenen Religionen leider alle gleich behandelt werden.

Fazit:

Trotz der (üblichen Firaxis) Mängel wieder ein Zeitfresser. Der Multiplayermodus ist in meinen Augen aber immer noch komplett unbrauchbar (lernt endlich von "Master of Orion II"), da man stundenlang aneinander vorbeispielt - und dann in wenigen Zügen abräumt oder abgeräumt wird.



  POSITIV:
  - inhaltlich genial


  NEGATIV:
  - technisch katastrophal