WARCRAFT III GOLD

(08.09.2005)

Blizzard


"Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann." (Antoine de Saint-Exupery)

Wenn ich nur einen Satz über "Warcraft III - Reign Of Chaos" verlieren dürfte, dann hätte ich mich für genau dieses Zitat entschieden.

Seit 1995 die Echtzeitstrategiespiele immer mehr in Mode gekommen und somit kurzzeitig zum wahrscheinlich zweitbeliebtesten Genre auf dem PC hinter den Egoshootern aufgestiegen waren, gab es bei allen Entwicklern nur eine einzige Tendenz: MEHR!

Herr über ein tausende von Einheiten

Mehr Einheiten, mehr Gebäude und mehr Resourcen bedeuteten in meinen Augen nur leider nicht automatisch auch mehr Spielspaß. Eigentlich war es meist so, dass überhaupt keine Alternative (Deinstallation mal ausgenommen) dazu bestand als jedes einzelne Gebäude zu bauen und den gesamten Forschungsbaum durchzukauen, da die letzten Einheiten und die Abwehranlagen viel zu stark waren, als das man bereits mit den einfachen Einheiten irgendwas hätte reißen können.

So hockte man also die ganze Zeit in der eigenen Basis und produzierte sich einen Wolf, um nach einer Stunde dann die erste und auch schon letzte Schlacht zu führen, während derer die Einheiten aber des eigenen Zugriffs entzogen waren, da die CPU keine Zeit mehr für den Mauszeiger erübrigen konnte.

Als ich dachte, dass man diesen konzeptionellen Schwachsinn nicht mehr überbieten kann, kamen einige Entwickler auf die Idee, dass man Einheiten nicht mehr einzeln, sondern lediglich in Verbänden steuert. Anstatt also einer Einheit mit 400 Hitpoints ruckelten jetzt 20 Flöhe - Verzeihung - Soldaten mit je 20 Hitpoints über den Polygonrasen. Vielleicht hilft das ja irgendwelchen Leuten ganz am Anfang der Nahrungskette ihre Allmachtsfantasien auszuleben, ich habe jedenfalls nur noch Kakao gebrüllt, als ich diesen Scheiß gesehen habe.

Weniger ist eben doch mehr

Was für ein Segen war es da, als bekannt wurde, dass Blizzard mit "Warcraft III - Reign Of Chaos" aus diesem Rennen ausgestiegen war und erstmals ganz gezielt den taktischen Kampf kleiner Gruppen (genannt Mikromanagement) in den Vordergrund rückte.
So wurde zwar die Anzahl der spielbaren Parteien gegenüber den zwei bei "Warcraft II - Tides Of Darkness" und den drei bei "StarCraft" (1998) noch einmal auf vier erhöht, es gibt pro Volk aber nur neun (Orcs und Elfen) bzw. zehn (Menschen und Untote) Gebäude, je drei Heldeneinheiten und etwa je 10 normale Einheiten und ganze zwei Rohstoffe.

Auch wenn die Erweiterung "The Frozen Throne" mit zusätzlichen Gebäuden, Einheiten und Helden wieder etwas mehr von allen auftischte, kann man noch nicht vom genretypischen Overkill sprechen.

Geniestreich Helden

Wie die Helden umgesetzt wurden, ist in meinen Augen dabei das Glanzstück des Spiels, sorgt dieses Feature doch in erster Linie dafür, dass es endlich mit der Stubenhockerei vorbei ist. Durch die Steigerung der Fähigkeiten und dem Sammeln von Gegenstände kann ein Held tatsächlich zum Herzstück einer Armee werden, muss hierfür aber zwangsläufig die eigene Basis verlassen. Sollte er dabei einmal umkommen, so kann man ihn gegen Gold aber wiederbeleben.

Effekt dieser Reduktion auf das Wesentliche: Niemand ist ein Lückenfüller und der Mix macht's. Kaum eines meiner Battle.net (Multiplayerplattform, excellent programmiert, geniale Matchmakingfunktion) Spiele dauerte über 45 Minuten, aber mehr als fünf Schlachten waren keine Seltenheit. Wer sich auf eine Einheitenart versteift und dabei erwischt wird, ist tot, wer sich einigelt in seiner Basis, wird keine 30 Minuten überstehen, und wer nicht weiß, was der Gegner macht, wird schnell überrascht.

Zur Klarstellung: Nur weil das Spiel nicht durch Massen von Einheiten, Rohstoffen und Gebäuden zugemüllt ist, bedeutet dies nicht, dass es nicht ungeheuer komplex wäre. So haben z. B. die Einheiten verschiedene Rüstungstypen, die wiederum gegen die verschiednen Angriffsarten besonders widerstandsfähig oder empfindlich sind.

Upkeep, die beste Idee aller Zeiten

Außerdem hat mir besonders ein Feature gefallen, dass sich im Original Upkeep (Kosten) nennt und neben den Helden dazu beiträgt, dass man nicht erst mit dem Kämpfen beginnt, wenn man die maximale Truppenzahl erreicht hat. Normalerweise holt ein Arbeiter 10 Gold pro Arbeitsgang aus einer Goldmine. Ist die Armeestärke jedoch auf über 40 Esseneinheiten (50 in der Erweiterung) angewachsen, so erhält man nur noch 7 Gold. Die anderen 3 werden zur Versorgung der Armee aufgewendet. Ab 71 Essenseinheiten (81 in der Erweiterung) erhält man sogar nur noch 4 Gold pro Gang. Dies hat zur Folge, dass ein Riesenheer das Gold verschlingt, dass man für Upgrades braucht. Um dies zu verhindern, kann man entsprechend expandieren, wird dadurch aber wiederum verwundbar, weil man nicht überall gleichzeitig sein kann.

Was der Einzelspielerkampagne naturgemäß an spielerischer Dynamik fehlt, macht sie durch die bisher besterzählteste Geschichte des Genres wett. Die Ingame Cinematics sind einfach unglaublich. Wer sich deren comichaften Charme verschließen kann, tut mir schon fast leid. Ich wollte einfach nur weiterspielen, um zu erfahren, wie alles ausgeht.

Vielleicht bin ich dabei etwas rigoros vorgegangen (mehrere Städte ausgelöscht, Verbündete hintergangen, Soldaten in den sicheren Tod geschickt, etc. pp.), aber ich konnte gar nicht anders als dem jeweiligen Gegner zu zeigen, wer hier der Boss ist. Dabei störte es mich ehrlich gesagt nicht die Bohne, dass ich eben noch den Untoten zum Sieg verholfen hatte und nun mit den Elfen gegen sie auszog. Im Gegenteil: Nur so lernte man ja für den Multiplayermodus alle Parteien schon kennen.

Im Detail

Überhaupt ermöglicht hat ein derartiges Spielerlebnis erst ein Interface, das keine Wünsche offen lässt. Die Bedienung ist vorbildlich übersichtlich, hat alle sinnvollen Shortcuts, automatisiert die richtigen Zauber und brachte unter anderem als Neuerung, dass man innerhalb der gewählten Einheiten per Tabulatortaste zwischen verschiedenen Einheitentypen wechseln kann, so dass es möglich ist, auch im dichtesten Gedränge noch einen ganz bestimmten Effekt auszulösen.

Während es im Original kein Grund zu klagen gibt, ist die deutsche Synchronisation wieder mal teilweise für die Füße. Während die Einheitenbestätigungen noch recht gut sind, wenn sie auch nicht mehr zwingend den gleichen Sinn haben, bekommt man akuten Kackreiz, wenn man sich die Ingame Cinematics mal direkt nacheinander in Deutsch und dann im englischen Original anhört. Hier im Beispiel sind die deutschen Stimmen an sich nicht mal schlecht, aber die Betonungen bleiben weit hinter der englischen Aufnahme zurück.

Musikalisch ist jedes Lied für sich betrachtet ein Volltreffer, aber insgesamt und auf Dauer - so angebracht dies thematisch auch ist - geht einem die steril wirkende "Auf in die Schlacht"-Mucke zu sehr auf den Puffer.

Sterben in Regenbogenfarben

Grafisch spaltete und spaltet "WarCraft III" die Echtzeitfans. Während ich den Comiclook trotz der geringen Polygonanzahl stimmig finde und die wiederholte Weitsicht bewundere, damals ein Spiel zu veröffentlichen, das auf Computern lief, die bereits in großer Stückzahl verkauft wurden, wollten viele nicht in einer quietschbunten Welt spielen, in der sie vermuteten der Osterhase würde jederzeit um die Ecke kommen und seine Eier verteilen.

Die flexiblen Auflösungen der 3D Engine und der eigenwillige Comicgrafik Stil verhindern, dass der Zahn der Zeit zu sehr nagt. Aufgrund des Baukastensystems wirken die Landschaften trotz zahlreicher Details und netten Animationen allerdings mehr wie Übersichtskarten.

Balance nah der Perfektion

Die Statistik der Battle Net Server zeigt deutlich, dass nicht alle Helden gleich oft gespielt werden. Da die allermeisten Spieler sehr pragmatisch ihre Helden aufgrund der größsten Erfolgschance auswählen, bedeutet dies, dass ein geringes Ungleichgewicht zwischen den Helden besteht. Die mit der Erweiterung "The Frozen Throne" eingeführten Helden haben sich jeweils als zweitbeliebteste Wahl etabliert, hier hat Blizzard also ein gutes Händchen gehabt.

Das Spiel verfügt nicht umsonst über ein Tutorial. Die rudimentären Funktionen lernt man dort und während der Kampagnen zwar kennen, jedoch kann man im Multiplayermodus mit diesem Wissen noch keinen Blumentopf gewinnen. Die weiterführenden Informationen der offiziellen Website sind in meinen Augen unerlässlich.

"The Frozen Throne" will in der Einzelspielerkampagne zuviel Inhalt in zu wenig Missionen unterbringen und wird durch die häufige Wendungen zuweilen wirr. Ich vermute stark, dass hier die Parallelentwicklung von "World of Warcraft" (2004) eine Rolle gespielt hat, so nach dem Motto, was wäre gut, wenn wir das schon mal erwähnen.

Fazit:

Sicherlich kann sich die Komplexität eines Echtzeitstrategiespiels nicht auf allen Gebieten mit der eines Rollenspiels messen, schließlich muss man die Zusammenhänge in wesentlich kürzerer Zeit erfassen und zum eigenen Vorteil nutzen. Aber "Warcraft III" ist verdammt nah dran. Insbesondere bei den Spezialfähigkeiten der Helden und Einheiten sind andere Spiele des Genres noch weit von der Augenhöhe entfernt.

Über den Daumen gepeilt hat man den Einzelspielermodus nach jeweils etwa 30 Stunden durch. Danach kann man sich - je nach Vorliebe und Fähigkeit - recht kurz oder auch recht lange mit dem Multiplayermodus beschäftigen. Ich persönlich merke immer wieder, wie ich selbst nach sieben Jahren und sicherlich bald 600 Stunden Nettospielzeit noch besser werde.

Es gibt auch nichts Schöneres, als gegen menschliche Gegner zu gewinnen. Und da meine Erfolgsbilanz eigentlich immer negativ ist, kann ich versichern, dass das Spiel sogar Spaß macht, wenn man - erm - nicht ganz so oft gewinnt. ;)

Bei all dem Lob möchte ich aber auch ein deutliches "PFUI" an Blizzard loswerden:

Wie kann man so geizig sein, dass man für die Videos keine zweite CD spendiert und statt dessen die Videos bis zur Unkenntlichkeit im DivX Format heruntergerechnen, damit sie mit dem Spiel auf eine CD passen? Dies ist gelinge gesagt bei einem Produkt, das damals allein 4.500.000 Vorbestellungen hatte, hochgradig lächerlich.

So schlecht kann es Blizzard gar nicht gegangen sein, dass man die Produktionskosten um maximal 25 ct drücken musste, dafür aber die Renderarbeit von mehreren Jahren für den Normalkunden zu Nichte macht. Nicht einmal auf der DVD, die z. B. der limitierten Sammleredition beiliegt, kann man die Videos in ihrer ganzen Pracht sehen, weil anscheinend keiner in Amerika in der Lage ist, die Videos für die europäische DVD dem PAL Fernsehformat mit glatten 50 Hz anzupassen.



  POSITIV:
  - Benchmark
  - seiner Zeit weit voraus
  - astreine Kampagne
  - perfekter Multiplayer


  NEGATIV:
  - etwas bunt
  - Videos versaut