WORLD OF WARCRAFT

Blizzard

(11.02.2005)


Ich denke, wenn zehn Onlinespiele im Vorfeld zusammen soviel Presse bekommen hätten wie "World of Warcraft" allein, dann hätte sich jede PR-Abteilung bereits auf die Schultern geklopft und wäre drei Wochen vor der Veröffentlichung geschlossen in den Urlaub gefahren.

Ich muss zugeben, dass ich trotz dieser gehäuften Berichterstattung die Entwicklung des Spiels nicht aufmerksam verfolgt habe, da die Fachpresse sich sehr schnell und praktisch erstmals einig war, dass Blizzard alles richtig machen würde, was andere bislang bei Spielen dieser Art falsch gemacht haben.

Wie die Zeit verfliegt

Ich habe das Spiel jetzt knapp 24 Stunden gespielt (das sind im Schnitt acht am Tag) und habe genaugenommen noch nicht viel vom Spiel gesehen, aber selten habe ich soviel Spaß bei einem Computerspiel vom ersten Moment an gehabt.

Offensichtlich muss man Fehler mit der Lupe suchen, so dass Verzweifelte unken, dass die Grafik nicht zeitgemäß viele Polygone hat. Sowas von zweitrangig! Die Grafik ist ungeheuer stimmig und rennt (laut Presse) in 1.024 x 768 Pixeln und fast allen Details bereits mit 1,5 GHz und einer guten, alten GeForce 2.

Leider konnte ich das Spiel bisher nicht auf einem Computer testen, der noch langsamer ist als meiner (Athlon XP 2.200+ und GeForce  4 Ti 4200), denn ich muss ohne Ende questen. Erst ging's ja gegen harmlose Tiere, aber kaum hatten unsere Gnome so Level 5 und wir uns tapfer durch einen Tunnel ins nächste Gebiet gewagt, da wollte uns auch schon allerlei Getier auffressen.

Wir (mein Bruderherz und ich) haben natürlich unser Bestes gegeben, um unsere mangelnde Gnomenkörpergröße wettzumachen, aber manchmal haben wir dann doch in den Schnee gebissen.

Jede Klasse anders

Beim Spiel zu zweit wurde ganz schnell deutlich, dass sich die Klassen jeweils sehr unterschiedlich spielen. Und vor allen Dingen, dass es nicht damit getan ist einfach den dicksten Zauber zu haben und mal eben draufzuhalten. Da kann man als kleine Hexe schnell gefressen werden...

Ich bin ja jemand, der wirklich verdammt langsam lernt, aber "World of Warcraft" hat das Problem mit der Lernkurve geschickt gelöst, indem es nach und nach überhaupt erst alle Elemente ins Spiel einführt.

So wird man z. B. nicht gleich mit der Talentwahl beim ersten Stufenanstieg überfordert, sondern muss sich erstmals Gedanken bei Level 10 machen, wenn man schon eine grobe Vorstellung davon hat, was den Charakter ausmacht, und was zum eigenen Spielstil passt.

Außerdem lässt sich mit etwas Extrageld die Wahl rückgängig machen. Seinen Charakter völlig zu versemmeln ist somit unmöglich, so dass einem ein Neustart erspart bleibt, wie ich ihn noch bei "Diablo II - Lord of Destruction" (2001) einige Male bei den online gespeicherten Charakteren hinlegen musste, nachdem ich mich aus Mangel an Erfahrung oder zu viel Experimentierfreude derbe verskillt hatte.

Halt durch, Server, halt durch!

Natürlich war auch "World of Warcraft" nicht immun gegen die üblichen Kinderkrankheiten (Serverprobleme). Am Veröffentlichungstag war der Ping bereits vormittags unterirdisch, ab 15:00 Uhr konnte man keine Accounts mehr erstellen und die "Spieler gegen Spieler" (PvP) Server waren restlos überfüllt. Nach wenigen Tagen hat sich dies aber eingerenkt und das Spiel flutscht bei mir auf einem hochausgelasteten Server mit 60 ms Latenz nur so dahin.

Nach etwas mehr als einer Woche ist die Anfangseuphorie einem noch schlimmeren Zustand gewichen: Meine Augen brauchen dringend Behandlung, ich giere danach möglichst schnell eine Sukkubus beschwören zu können und bin gerade einer Kreatur über den Weg gelaufen, die so beeindruckend war wie die Harpye aus dem Trickfilm "Das letzte Einhorn".

Glücklicherweise gehen heute wie jeden Mittwoch die europäischen Server Punkt 7:00 Uhr vom Netz, sonst wäre man versucht gar nicht zur Arbeit zu gehen.

In 100 Stunden nichts erreicht

Nachdem mein Bruder und ich bereits je knapp 80 Stunden gespielt haben, sind uns gerade einmal genau zwei größere Bugs untergekommen, die aber nicht weiter problematisch waren. Bei einem Spiel dieser Größe ist dies in meinen Augen schlichtweg eine echte Meisterleistung. Außerdem geht uns die Musik immer noch nicht auf den Sack.

Nach gut 100 Spielstunden hatte ich mich soweit eingefuchst, dass ich verschiedenste Gegner in die Knie zwingen konnte, und hatte so mehr Zeit an meinen Berufen Schneidern und Verzaubern zu arbeiten. - Und dann kam die erste Instanz, ein Spielerlebnis, wie ich es außerhalb eines Onlinerollenspiels noch nicht (und danach nicht wieder) erlebt habe.

Instanzen sind Kartenabschnitte mit besonders starken und sehr gut gestaffelt stehenden Gegnern, die einzeln für jede Abenteuergruppe - sozusagen nur auf Anforderung - ins Spiel eingefügt werden.

Sterben für Anfänger

Halbwegs intelligenten Menschen wäre aufgefallen, dass für die Instanz "Todesminen" im Kartenabschnitt "Westfall" von anderen Mitspielern Level 22 Charaktere als Begleitung gesucht wurden. Doch Bruderherz und ich (beide Level 19) ignorierten dies jedoch gelassen und schlossen uns mit Level 14, 16 und 18 zusammen. Wen wunderte es da außer uns, dass wir regelmäßig von begabten Zauberern, Kämpfern und dem einen oder anderen Minenarbeiter aufgerieben wurden.

Doch auch nachdem uns dann wenigstens ein Level 22 Paladin zur Hilfe kam, gelang es uns nur langsam tiefer in die Minen vorzudringen, weil wir besser und besser als Gruppe zusammen agierten... bis wir dann auf den Goblin Shredder (links oben im Bild) stießen, dessen Pilot uns so gern hatte, dass er glatt zwei aus jedem von uns mit seinen Riesensägeblättern gemacht hat.

So wurde jedenfalls der örtliche Friedhof ganz schnell unser zweites Zuhause. Und wenn wir auch irgendwann diesen riesigen Gegner zu Fall gebracht hatten, so fielen mir doch endgültig die Augen zu, bevor wir uns ganz durch die Minen kämpfen konnten.

Der Dauer "World of Warcraft" Spielrekord meines Bruder liegt jetzt bei 21 Stunden am Stück und mehr als 36 Stunden in zwei Tagen (wonach ihm die Augen versagten), so dass ich ihn wohl demnächst auf eine Entziehungskur schicken muss.

Ein Jahr später...

Ich kann mittlerweile von mir behaupten fast alles mit Ausnahme des Pechschwingenhorts und den beiden neuen Instanzen (Ruinen und Tempel von Ahn'Qiraj) bezwungen zu haben. Ich bin auf allen Schlachtfeldern gegen meine Feinde angetreten, habe wertvollste Ausrüstung geschneidert und große Verzauberungen gewirkt. Habe Azeroth von so manchem Übel befreit und somit mehrmals den Untergang der Welt verhindert.

Von den offensichtlichen Suchtproblemen einiger Mitspieler abgesehen ist die Höhe der monatlichen Gebühr diskussionswürdig. Klar gibt es mit "Guild Wars" (2005) diesen einen erfolgreichen, gebührenfreien Titel, aber welches nicht MMORPG für eine Kaufpreis von 50 € (entspricht vier Monatsgebühren) macht denn tatsächlich vier Monate lang durchschnittlich zwei oder mehr Stunden am Tag Spaß zu spielen?

Ich jedenfalls, der ich auch für Spiele regulär zahle, habe 2005 wesentlich weniger Geld für Computerspiele ausgegeben als 2004. Und das liegt nicht in der Hauptsache daran, dass "World of Warcraft" einem keine Zeit für andere Spiele lässt, sondern dass viele andere Spiele im Vergleich so unendlich schlecht sind und man total bescheuert wäre, wenn Zeit ohnehin der limitierende Faktor ist, eben diese zu verschwenden.

Messlatte noch oben verschoben

Egal ob Instanzen, Auktionshaus, Links im Chat, Makros oder das voll modifizierbares Interface... das Spiel setzt Maßstäbe. Man ist gehalten sich zu fragen, wie andere Herrsteller überhaupt noch Leute dauerhaft an ihr vergleichbares Spiel binden wollen, wenn sie nicht endlich beim Komfort gleichziehen.

Mag die Engine auch schon veraltet sein bzw. gar nicht auf High End Rechner abzielen, bezüglich der Landschaften, der Atmosphäre und der Leistung auf vergleichsweise kleinen Computern zieht die Effektgewitterkonkurenz regelmäßig den Kürzeren. Zwar brachten die vielen spielerischen Gurken unbestritten enorme Fortschritte im technischen Bereich seit die Engine etwa 2000 entwickelt wurde, aber es wird in der Regel nichts dargestellt, was man längere Zeit betrachten möchte. Das Negativste, was mir einfällt, sind die gleichförmig aussehenden ersten zwei Gebiete bei allen Hordenrassen und den Nachtelfen.

Naja, und die säuisch schlechte Unterstützung von ATI Grafikkarten. Die Zusammenarbeit mit NVidia ist gut und schön, aber das kann nicht soweit gehen, dass eine ATI Karte auf halben Touren läuft. Auf einem ansonsten identischen Computer kommt während einer sehr komplexen Szene eine GeForce 7900 GS auf 38 FPS, eine GeForce 6600 GT immer noch auf 30 FPS und eine Radeon X1950 GT auf 20 FPS. Normalerweise rennt eine X1950 GT einer 7900 GS locker davon.

Nie fertig, immer in Arbeit

Sowohl die einzelnen Gebiete als auch die Charakterklassen untereinander sind hervorragend ausbalanciert. Wer nicht lernfähig ist, mag das anders empfinden. Bei der Balance auftauchende Probleme werden in der Regel mit dem nächsten Patch beseitigt, darüber hinaus wird jede Änderung an der Spielbalance zuvor auf öffentlichen Testservers überprüft.

Ein Problem, dass jedoch bisher nicht zu knacken ist, besteht für sog. Deftanks - typischerweise Krieger, die mehr einstecken als sie austeilen - und reine Heiler. "World of Warcraft" ist in weiten Teilen auch für das Spiel allein ausgelegt. Wenn diese Charaktertypen jedoch auf sich alleingestellt unterwegs sind, werden sie leichte Beute bzw. brauchen ewig, um ein Monster zu töten.

Wer kann alle Quests aufzählen?

Die Handlung wird in Rahmen der über 3.000 Quests erzählt. Manche Geschichten ziehen sich dabei episch durch einen großen Teil des Spiels, andere beschäftigen einen weniger als eine Stunde. Interessant sind sie fast alle.

Im Langzeittest stellte sich jedoch heraus, dass eine Gesamtübersicht der Handlung aufgrund der bruckstückhaften Erzählweise innerhalb der Questtexte nur schwer auf den Schirm zu bekommen ist. Highlights wie der Zwerg, der ohne Toilettenpapier auf dem stillen Örtchen festsitzt, bleiben sicherlich gut kleben, aber manchmal weiß man gar nicht mehr, warum man gerade wen getötet hat.

Fazit:

Die musikalische Untermalung ist manchmal gewöhnungsbedürftig aber durchweg sehr gut. Die Soundeffekte könnten nicht besser sein. Die Sprachausgabe ist im Vergleich zum Gesamtumfang eher spärlich, so dass die wie üblich schwachen deutschen Sprecher nicht ins Gewicht fallen. Das File für die deutsche Sprachausgabe lässt sich außerdem einfach durch das englische austauschen, so dass man nach Herunterladen des englischen Sprachpakets durchaus deutsche Schrift und englische Sprache haben kann.

Ein Blick ins Handbuch ist nicht nötig, auch wenn die Lektüre selbst Spaß macht. "World of Warcraft" fängt in jeder Hinsicht einfach an und bringt neue Elemente erst nach und nach ins Spiel. Wenn man sich total dumm anstellt, kann man notfalls auch die anderen freundlich Spieler fragen.

Die Kombinationsmöglichkeiten zwischen der Ausrüstung und den Fähigkeiten der Spielfigur ist praktisch unendlich. Die Komplexität der Kämpfe kann unter stereotypen Ansichten der Mitspieler ("Ohne Heiler/Magier/Krieger/meine Mutter geh ich da nicht rein!") leiden - dies will ich aber nicht dem Spiel anlasten.

Wer alles durchspielt, ist grob geschätzt zwischen 500 und 1.000 Stunden zum Zeitpunkt des Patches 1.9 unterwegs. Es gibt eigentlich immer etwas zu tun und wenn alle Stricken reißen (und man mangels Real Life so gar nicht ausmachen will), kann man das Spiel immer noch als Chatprogramm mit dem coolsten Avatar aller Zeiten missbrauchen.

Update (05/2007):

Die Frage: "Warum ein Spiel mit dieser Wertung nicht in meiner Bestenliste auftaucht", ist sicherlich gerechtfertigt. Da Onlinerollenspiele ein Sonderfall sind, existiert "World of WarCraft" durch die Erweiterung "The Burning Crusade" (2007) in der hier bewerteten Höchstform mangels Endgame nicht mehr.



  POSITIV:
  - Benchmark
  - traumhafte Bedienung
  - was für ein Spaß
  - erstklassige Instanzen
  - wunderbare Landschaften
  - ausbalancierte Klassen
  - FOR GNOMEREGAN!!!


  NEGATIV:
  - Wirkung wie eine Droge
  - Mitspieler teils schwierig
  - einige Instanzen zu lang
  - Heiler solo bestraft
  - Deftanks solo bestraft