TRAIN FEVER

Urban Games GmbH

(04.09.2014)


"Woah, der braucht aber ganz schön lange, um die kleine Karte aufzubauen. Gut, dass ich vernünftig war und nicht gleich mittel oder groß gewählt habe. - Ah, nun geht das endlich los... ACH DU LIEBER HERR GESANGVEREIN, wie geht die Musik aus?!? Autsch, autsch, meine Ohren, meine Nerven. Puh, gefunden - nun so ganz ohne Anleitung (Steamversion) zieh ich mir besser mal die Tutorials rein."

Fünf Minuten später: "Diese beiden Tutorials sind alles? Habe ich gerade was massiv übersehen? Die haben ja nicht mal alle Icons erklärt... hallo?!? - Vielleicht gibt's auf Steam direkt eine Anleitung... *such* *such* nee, wohl nicht. Wieso ruckelt das hier eigentlich alles so stark, wenn ich nicht direkt von oben auf die Karte gucke? Kann ich mit den Einstellungen noch irgendwie runter... keine Einstellung für Sichtweite... na, herzlichen Glückwunsch, Jungs, Geld für Euch, Alpha für mich..."

Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt...

Zu diesem Zeitpunkt hätte ich eine Auszeit nehmen und erst einmal ein, zwei Stunden im Internet nachlesen können, was die beiden Minitutorials alles nicht verraten haben. Aber seien wir mal ehrlich: Es ist ziemlich schnell offensichtlich, dass "Train Fever" zwar größere Ähnlichkeit zu "A-Train 9" (2012) als zu "Sid Meier's Railroads" (2006) aufweist, aber trotzdem kein vollwertiges "A-Train" ist, und daher learning by doing den meisten Spielspaß verspricht.

Es gibt da nur ein Problem: Die absolut megagrottige Performance! Ja, mein seit 2010 nicht mehr aufgerüsteter PC ist sicherlich nicht schlecht in die Jahre gekommen, aber bisher konnte ich mit kleineren Abstrichen selbst Blender wie "Bioshock: Infinite" (2013) problemlos spielen. "Train Fever" schafft es jedoch, ohne dabei auf maximalen Details besonders schön zu sein, meinen PC auf zwei, drei Bilder pro Sekunde zu drosseln, wenn ich mal von der Seite auf die Spielwelt gucken möchte. Dass die Macher keine empfohlene Konfiguration nennen, wundert dann nicht mehr.

Gleiches gilt natürlich für die Bedienung, die mit abnehmender Framerate so ätzend wird, dass man die Maus am liebsten aus dem Fenster werfen möchte. Die Bedienung wäre unter normalen Umständen schon nicht zum Jubeln, weil wenig auf Anhieb von der Hand geht und immer irgendwelche total sinnfreien Fenster einen den Blick auf das Wesentliche zu versperren scheinen. Irgendwann versteht man dann, wie die eine oder andere Sache gedacht ist, aber es bleibt das "my way or the highway" Gefühl zurück, dass ich bei Aufbau- und Globalstrategiespielen so hasse.

Handlung? Anspruch? Rembrandt? Ägypten?

Jetzt könnte man ja denken, wenn man sich an die Spieltiefe von "A-Train 9" nicht rantraut aber auf dem Cover stehen hat: "Entwickle eine Region von 1850 bis heute", dann sollte man doch wenigstens etwas mehr Handlung auf den Rippen haben, als dies "Sid Meier's Railroads" hatte. Fataler Irrtum. Die Jungs von Urban haben einfach noch drei Containerschiffe mehr Sand geordert als die von Artdink und werfen mir ein lupenreines Sandbox Spiel ohne KI Gegner und ohne irgendwelche Form von Persönlichkeiten innerhalb der Spielwelt vor die Füße.

Dass da einer im Hintergrund das Geld zählt und der Nahverkehr auf der schwierigsten Stufe wie in der Realität nicht aus den roten Zahlen kommt, gut und schön, aber eigentlich interessiert das Geld in größeren Mengen doch kein Schwein, denn ich kann nichts tolles dafür kaufen. Wenn eine Route funktioniert, kloppe ich einfach noch mehr Lastwagen drauf oder hänge noch ein paar mehr Hänger an die nächststärkere Lok und auf geht's. Doch letztlich wozu? Für ein paar Errungenschaften? Großartige Gleiskonstruktionen sind weder gefragt noch zweckmäßig, dafür gibt es nämlich einfach viel zu wenig verschiedene Resourcen, die man überhaupt transportieren könnte.

Für ein Spiel von allem zu wenig

Auf der kleinsten Karte (aus Performancegründen habe ich ja keine andere Wahl) gibt es etwa sieben Städte und vier zweistufige Produktionsketten, die zu Anfang funktionieren. In Städten, in denen tatsächlich Güter ankommen, was zu mehr Arbeitsstellen in der Industrie führt, baut man dann den Nahverkehr nach Schema F auf, gibt den Leuten die Möglichkeit zum Bahnhof zu fahren und verbindet die Städte mit Wachstum untereinander. Und dann war's das auch schon. Kann man immer wieder so machen, kann man aber auch genauso gut nach zwei, drei Spielen massiv lassen.

Bei "Sid Meier's Railroads" verteilten sich damals im Schnitt peinliche elf Lokomotiven auf 139 Jahre - und somit konnte jeder Vollidiot die richtige Lokomotive auswählen. Genauso macht es "Train Fever" auch - ebenso bei den Anhängern, Bussen, Straßenbahnen und LKWs. Linien einzurichten und vor allen Dingen veraltete Fahrzeuge auszutauschen, was sehr oft passiert, da die Spielzeit rast, hat nichts spielerisches: Es ist Arbeit pur. Da passt es dann leider auch ins Bild, dass man keine Industrien selbst bauen oder wenigstens kaufen kann.

Gute Ansätze

Wer soviel wie ich bisher auf dieses Spiel einschlägt, der sollte aber auch genauso die guten Punkte nennen - denn die gibt es tatsächlich. "Train Fever" simuliert anders als etwa "SimCity" (2013) (Btw: Welche 26 Auszeichnungen, die jetzt auf dem Cover angepriesen werden, will der Rotz bekommen haben?) jeden einzelnen Bewohner der Spielwelt mit vier für ihn wichtigen Orten: Wohnen, Arbeit, Freizeit und Einkaufen - und jeder der Bürger läuft bzw. fährt auch tatsächlich durch die Spielwelt, auch wenn er jeweils nur geringe Zeit auf der Arbeit usw. verbringt und zu viel Zeit mit dem Reisen.

Außerdem ist die Spielwelt von "Train Fever" auch in der Vertikalen so feingliedrig aufgebaut wie andere Spiele nur in der Horizontalen (daher auch die riesigen Savegames), so dass das Streckendesign extrem organisch wirkt und auch tatsächlich so organisch gehandhabt werden kann, wenn man alle Kniffe der Bedienung erst einmal verstanden und einige Workarounds entdeckt hat. Bei den Straßen ist man leider noch nicht ganz soweit, was sicherlich auch daran liegt, dass die KI genauso wie in "A-Train 9" (manchmal in haarsträubender Weise) mitbauen soll, wenn der Spieler zu faul oder zu geizig ist, die Straßen rechtzeitig zu verlegen.

Ohne wenn und aber loben muss ich den Ansatz die Häuser aus verschiedenen Einzelteilen zusammengesetzen und nicht immer wieder identische Häuser nebeneinander in die Städte zu pflanzen. Zwar gibt es jetzt in jeder einzelnen Epoche nicht so viele Möglichkeiten, aber selbst wenn zwei ansonsten identische Hochhäuser wenigstens zwei unterschiedliche Dächer haben, dann wirkt das schon viel besser als exakte Kopien wie in anderen Spielen 20 Mal auf dem Bildschirm zu haben.

Als Modelleisenbahnersatz brauchbar?

Ich gehöre zu denen, die leider nie eine vernünftige Modelleisenbahnanlage ihr Eigen nennen konnten, obwohl sie dies immer wollten. Insofern habe ich bei allen Eisenbahnspielen, seit ich 1990 auf dem Amiga "Sid Meier's Railroad Tycoon" gespielt habe, auch immer die Hoffnung, wenn ich schon kein herausragendes Spiel erwische, dass ich wenigstens einen guten Ersatz für meine fehlende Anlage in den Händen halte. Als 2003 "Railroad Tycoon 3" veröffentlicht wurde, war die 3D Grafik leider noch nicht soweit - und ich habe mich mit Entsetzen abgewandt.

Gut zehn Jahre später ist nun "Train Fever" endlich soweit, dass es zwar längst nicht fotorealistisch ist, aber immerhin doch fast wie ein Modell aussieht. Es macht mir daher Spaß (und würde mit besserer Performance eben noch viel mehr Spaß machen) fast nichts zu tun und einfach nur das Treiben zu beobachten oder Strecken unnötigerweise übereinander zu führen oder mit langen Brücken zu versehen, weil dies dann besonders schön aussieht. Leider ist die Klangkulisse im Gegenzug sehr mager ausgefallen und die wenigen vorhandenen Soundeffekte eher nervig als atmosphärisch.

Fazit:

"Train Fever" kann ich den meisten Spielern nicht mit gutem Gewissen empfehlen. Aufgrund meiner langjährigen Affinität zu dem Thema bin ich bereit dem Spiel so einiges zu verzeihen, aber realistisch betrachtet ist das Spiel weder fordernd, rund, originell oder in einem technisch guten Zustand (siehe hierzu zwei Absätze weiter). Wäre eine der großen, jährlichen Marken wie "Call of Duty" oder "Assassin's Creed" so veröffentlicht worden, es hätte tote Entwickler gegeben.

Es bleibt die Hoffnung, dass die Urban Games GmbH genügend Geld mit "Train Fever" macht, um die guten Ansätze möglichst bald in einem Nachfolger weiterzuverfolgen. Neben der Beseitigung der technischen Mängel (wie wäre es mit einem Hardwaremousecursor) würde ich mir vor allen Dingen wünschen, dass das Spiel entschleunigt und vor allen Dingen ein Tag- und Nachwechsel eingebaut wird, an dem sich dann auch meine Fahrpläne zu orientieren haben. Und so ein Quentchen Handlung... also wenn das irgendwo rumliegt, dann bitte rein damit beim nächsten Mal.

Performance Boost mit Build 4519:

Kaum ist mein Review drei Tage online, bringen die Jungs von Urban doch noch tatsächlich ihren versprochenen und von allen erhofften Performance Boost an den Start. Und auch wenn hier keine Wunderheilung erfolgt, so ist dies doch eine so deutliche Verbesserung für Handling und Grafik, dass ich von 3 auf 5 aufwerten kann. Aber mal ehrlich: Warum nicht besser gleich so? Hätte ich "Train Fever" sofort nach Release gespielt und nicht vorher "Tales of Xillia 2" (2014), wäre ich vermutlich schon weitergezogen.

Anmerkung:
Die Screenshots (außer dem letzten) sind auf der Einstellung hoch für Texturen und Farbtiefe geschossen, auf denen das Spiel bei meiner GeForce GTX 460 auch nach dem Performance Boost nicht mehr ganz flüssig lief, aber zwischen mittleren und maximalen Details liegen am Ende optisch keine Welten.



  POSITIV:
  - Bewohner werden simuliert
  - freier Streckenbau


  NEGATIV:
  - extremer Hardwarehunger
  - und dabei nicht mal schön
  - Musik zum Ausschalten
  - kaum Soundeffekte