BIOSHOCK:
INFINITE

Irrational Games

(26.03.2013)

auch veröffentlicht auf PS3, PS4,
Switch, Xbox 360 und Xbox One


"Bioshock: Infinite" gilt als das teuerste Singleplayerspiel aller Zeiten. Es soll 100 Millionen für die eigentliche Entwicklung und weitere 100 Millionen für Marketing (ja, ja, Kritiken kaufen geht ins Geld) verschlungen haben. Dem Tester in mir hätte allein dies schon als Kaufgrund gereicht, aber dem Spieler ist "Bioshock" aus dem Jahr 2007 ohnehin als einer der wenigen halbwegs intelligenten Shooter seiner Zeit im Gedächtnis hängen geblieben, also führte am Ende trotz einiger berechtigter und mir bereits bekannter Kritiken an dem Spiel (dazu später mehr) kein Weg am Kauf vorbei.

Teil 2 habe ich persönlich nicht gespielt, weil alles vom ersten Preview an stark auf Recycling hindeutete - besonders die Tatsache, dass das Spiel von einem anderen Team als Teil 1 und der Multiplayermodus noch einmal von einem anderen Team zusammengeklatscht wurde (siehe Einleitung zu "Spec Ops: The Line"). Evil Jens hat "Bioshock 2" (2010) gespielt und sagt, dass er deshalb "Bioshock: Infinite" nicht gekauft hat...

Es war einmal ein Leuchtturm...

"Bioshock" begann im Spieljahr 1960 mit einem Leuchtturm und "Bioshock: Infinite" tut dies 1912 auch. "Bring us the girl and wipe away the debt", hämmern unbekannte Auftraggeber meiner Spielfigur Booker immer wieder ein - und um zu unterstreichen, dass man keinen Spaß versteht, ist die einzige Person, die ich im Leutturm finde, nicht nur mausetot, sondern vermutlich besonders qualvoll gestorben. Kurze Zeit später geht es diesmal nicht mit einem Mini-U-Boot in eine beengte Stadt auf dem Meeresboden sondern mit einem Raketenritt in luftige Höhen.

Genauer gesagt in die fliegende Stadt Columbia, die mal locker das achte Weltwunder und das neunte auch noch gleich mit ist. Natürlich hat ein mir persönlich nicht bekannter Prophet oder vielmehr seine Schergen nur auf mich gewartet und die Luft wird sofort bleihaltiger, als gesund für einen ist. - VERARSCHT!!!
Denn Irrational Games tut etwas, was ich ihnen gar nicht hoch genug anrechnen kann und vielen minderjährigen Shooterfans den kalten Angstschweiß auf die Stirn treibt: Anstatt nach spätestens fünf Minuten nur noch "Hirn aus, Waffe raus", zu spammen, dauert es bis zu einer Stunde, bis ich überhaupt in einen Kampf verwickelt werde.

Auch im späteren Spielverlauf scheut sich Urgestein und Irrational Mastermind Ken Levine (z. B. "Thief: The Dark Project" (1998)) nicht davor, immer mal wieder das Tempo und die Waffen rauszunehmen. Während in der zweiten Spielstunde fast ausschließlich geballert wird, dauert es danach rund um das erste Treffen zwischen Elizabeth und Booker fast wieder eine Stunde, bis ich in der Rolle von Booker erneut gewalttätig werde.

Optisch nicht von dieser Welt

Die Mindestanforderungen von "Bioshock: Infinite" liegen für 640 x 480 Pixel bereits über der empfohlenen Konfiguration für Full HD des ersten Teils - und damit auch jenseits von dem, was PlayStation 3 und Xbox 360 ohne allzu viele Kompromisse, Tricks und/oder Abstriche mit ihrem Bisschen RAM bzw. VRAM leisten können. Entsprechend war eine derart riesige Spielwelt aus einem Guss, wie sie 15 Minuten lang vollmundig in dem berühmt berüchtigten Trailer zur E3 2011 beworben wurde, um mal so richtig "Best of Show"-Awards abzusahnen, gar nicht für die aktuelle Konsolenversion realisierbar.

Der Trailer war also ganz schlechter Stil und Irrational ist völlig zu Recht seit einigen Monaten in der Kritik. Trotzdem hat sich für mich die Grafik der Spielwelt, welche sich nun immer noch im fertigen Produkt wiederfindet, zumindest auf dem PC ohne wenn und aber Applaus verdient. Denn was hier mit Hilfe einiger meist gut getarnten Polygonsparmaßnahmen auf den Bildschirm gezaubert wird, ist nicht nur technisch ausgesprochen sauber gestrickt, sondern sieht auch anders als noch bei Teil 1 die ganz überwiegende Zeit einfach nur wahnsinnig interessant und stimmig aus.

Daran ändert sich in meinen Augen auch nichts, nur weil Irrational Games irgendwann wohl die Resourcen für die Fleißaufgaben ausgingen, um etwa Klonzivilisten direkt nebeneinander oder das omipräsente "Back in 5"-Schild zu vermeiden, das mir erklären soll, warum ich auch dieses Geschäft schon wieder nicht von innen sehen darf oder kein Personal vorfinde. Natürlich wäre das Spiel ohne diese wirklich auffälligen Patzer noch schöner gewesen, aber so richtig abkotzen tut man deswegen doch auch nicht.

Zwei Ebenen - kein Treffen

Um zu verstehen, warum ich "Bioshock: Infinite" trotzdem soweit von einer 9er Wertung entfernt sehe, muss ich etwas mehr spoilern, als ich dies unter anderen Umständen und bei anderen Spielen getan hätte. Im ersten Moment scheint es, dass die Stadt Columbia mit religiösen Wahn, der Rassentrennung und der extrem gewaltbereiten Arbeiterbewegung Vox Populi mächtig auffährt und sich gleich mehrerer Themen annimmt, die ganz schön heiß für ein Computerspiel sind und daher jede Menge intelligenden "Spaß" versprechen.

Es gibt nur spielerisch keinen Zusammenhang zwischen dem total aufwendigem Überbau und der Spielfigur, weil "Bioshock: Infinite" kein Dialogspiel sondern ein Passagierspiel ist. Booker hat nur einen Hammer und damit wird jedes Problem automatisch zum Nagel oder anders ausgedrückt, kommt es einem so ein Bisschen vor, als wenn Irrational Games einem mit Columbia nur seine Briefmarkensammlung zeigen will.

Im Kern geht es tatsächlich aber um Parallelwelten, zu denen Elizabeth irgendwie Zugang hat, und die Entwickler haben in meinen Augen zu viel Energie darauf verschwendet, den Spieler immer wieder hinters Licht zu führen, welches genaue Ausmaß die Parallelwelten auf die Geschichte haben, nur um ihn ebenso immer wieder überraschen zu können und ihn somit zum Passagier degradiert. Hierbei schreckten die Storyschreiber auch nicht davor zurück, eine falsche Fährte nach der anderen zu legen, um sich ihrer Sache ganz sicher sein zu können.

Besonders verwerflich ist hierbei der ansonsten völlig uninteressante Charakter Slate, der dem Einsatz einer Blendgrante gleichkommt, da er der Einzige ist, der sowohl den Propheten als auch Booker schon lange kennt und daher für den Spieler um Spielstunde 4 herum als die mit Abstand beste und verlässlichste Quelle an Informationen erscheint. Tatsächlich hätte Slate aber spätestens bei der Szene zwei Screenshots weiter oben auffalen müssen, dass Booker 20 Jahre zu jung ist. Oder gleich mal den ganzen Plot entwirren können...

"Sie ist im gebärfähigen Alter, die Spieler werden sie lieben."

Ich weiß, dass der Aufwand, mit dem Elizabeth realisiert wurde, eigentlich eine fundiertere Kritik verdient hätte und ich bin froh, dass ihre Brüste nicht größer sind, aber im Ergebnis bleibt es dabei, dass Irrational Games ihrem Kunstwerk Elizabeth etwas zuviel zugemutet haben. Sie allein trägt weder die in meinen Augen unnötig wirr erzählte und zumindest bezüglich der Handlungen der Charaktere unlogische, aber dabei trotzdem irgendwie interessante Story, noch das Gameplay, wenn nicht gerade geschossen wird und ich stattdessen Mülltonnen durchsuche.

Wer auch sonst ausschließlich Egoshooter spielt, wird das, was zwischen Booker und Elizabeth abläuft, vielleicht für ausgefeilte Dialoge halten, aber wer glaubt, dass das Spiel durch das selten langweilige Gelaber auf den diesmal Voxophone genannten Diktiergeräten auch nur um einen Hauch bereichert wird ("Ich mache hier gerade sauber, oh Moment, jetzt sterbe ich an einem Stromschlag!"), der glaubt auch, dass junge Männer in Uniformen, die sich gegenseitig umbringen, die Probleme der Welt lösen.

Vielleicht bin ich ein Einzelfall oder zumindest in der Minderheit, aber ich habe weder zu Booker noch zu Elizabeth größere Sympathien aufgebaut, dabei setzt das Spiel vermutlich genau darauf. Konnte aber nicht klappen, denn um den Spieler mit noch ein paar mehr Twists in der Story überraschen zu können, bleiben die beiden Hauptfiguren viel zu nebulöse Abziehbildchen. Booker ist ein Ex-Pinkerton-Agent - vermutlich wäre er 100 Jahre später in einem amerikanischen Film also Ex-Stasi gewesen - und von Elizabeth wissen wir, dass sie gerne tanzt - na Klasse, das hat Eva Braun auch gern getan, aber eben auch meine Tante, also was sagt das aus?

Falsche Prioriäten?

An "Bioshock: Infinite" wurde viele Jahre geschraubt, aber beim Gameplay ist abgesehen von ein Bisschen Achterbahnfahren praktisch keine Veränderung zu 2007 zu erkennen - und dort, wo es welche gibt, seltsamerweise nicht immer zum Guten. Warum ich jetzt nur noch eine anstatt drei Arten von Munition pro Waffe habe und immer nur zwei Waffen gleichzeitig bei mir tragen kann und nicht wie früher alle, erschließt sich mir nicht. Am Ende liegen ja doch immer völlig unerklärlich irgendwelche Wummen herum. Fühlt sich für mich so an, als wenn irgendein Balanceexperiment nie so richtig aufgegangen ist.

Ebenso falsch kommt mir die Entscheidung vor, dass ich nun keine Vorräte an Medipacks und Salts (Mana) mehr sammeln kann. Keine Medipacks bedeutet letztlich, dass ich gar keine andere Wahl habe, als den Kopf einzuziehen, sobald mein wiederaufladbares Schild zur Neige gegangen ist, was im späteren Verlauf, wenn die Gegner stärker werden, zu einem sich immer wiederholenden Gameplay in den Auseinandersetzungen führt, und ohne sicheren Mananachschub traute ich mich kaum noch meine Vigors (Zauber) einzusetzen, denn wer weiß, ob ich sie nicht gleich noch nötiger gebraucht hätte.

Ansonsten hat sich die Bedienung etwas verbessert, wobei mir am wichtigsten ist, dass ich jetzt schnell wie der Blitz zwischen Waffen und Zaubern wechseln kann. Die leidlich funktionierde Übersichtskarte wurde gestrichen, allerdings funktioniert das neue "Navi" nicht immer. Etwa wenn ich durch ein Tor gehen soll, dieses Tor aber noch verschlossen ist und von mir erst geöffnet werden muss. Man sollte annehmen, dass mich das "Navi" dann wenigstens bis zum Tor führt, aber bei mir blieb es leider in einer Schleife außerhalb der Sichtweite des Tores hängen.

Fazit:

Wie schon der Vorgänger hat das Spiel so fantastische Ansätze, so ein fantastisches Design und (zumindest in der englischen Originalversion) so eine großartige Soundkulisse, aber selbst wenn die Entwicklungskosten tatsächlich "nur" 50 Millionen betragen sollten, hätte "Bioshock: Infinite" einfach besser und länger werden müssen. Zwolf Stunden ohne den geringsten Wiederspielwert sind einfach viel zu wenig, aber dann anders als im ersten Teil nicht einmal die Tränendrüse oder den Survival Horror zu finden, ist fast schon unbegreiflich.

Und weil ich mir den vermutlich besten Spoiler des Jahrzehnts aufgrund dieser einmaligen Konstellation nicht verkneifen kann, muss ich hier noch loswerden, dass "Ni no Kuni: Der Fluch der weißen Königin" (2013) praktisch die gleiche Geschichte erzählt, nur dass das JRPG dies wesentlich stringenter, reifer und ohne plakative Gewalt hinbekommt, aber psychologisch es dann doch in der eigentlichen 18er Version tut.



  POSITIV:
  - kein 08/15 Shooter
  - starke Elizabeth
  - einmaliges Design


  NEGATIV:
  - Spielmechanik schlechter
  - überforderte Elizabeth
  - Geschichte unnötig wirr
  - viel zu kurz