PARAWORLD

SEK

(SpieleEntwicklungsKombinat)

(12.09.2006)


"Paraworld" war trotz teils sehr guter nationaler und teils guter internationaler Wertungen der vermutlich größte Ladenhüter des Weihnachtsgeschäfts 2006. Mir fällt spontan mit "Earth 2160" nur ein weiteres Spiel ein, das jemals so schnell in der Originalverpackung für einen Zehner zu haben war. Auch nach bald drei Jahren gibt es nirgendwo abgespeckte Neuauflagen, weil sich die Erstauflage nicht mal ansatzweise verkauft hat. Da wundert es nicht, dass SEK bereits im Januar 2007 in Insolvenz ging...

Ich vermutete immer, dass es "Paraworld" im Wettbewerb als Neuling einfach am großen Namen gefehlt hat, den z. B. "Lord of the Rings: Battle for Middle Earth II" oder auch der nationale Konkurrent "Spellforce 2" auf der Habenseite verbuchen konnten, obwohl es bereits vor Release in die Netzstatt Gaming League und Electronic Sports League aufgenommen wurde. Also habe ich einfach mal den Zehner gestreckt und zugegriffen...

Himmel! - Was ist das?

Es dauerte nicht lange - genau genommen nur bis zum Introvideo der Kampagne - und ich begann mich zu fragen, ob die mir bekannten Wertungen nicht viel zu hoch gegriffen waren. Dermaßen schlecht animierte und vertonte Videos kannte ich in diesem Jahrtausend nur von Firaxis wie zuletzt in "Sid Meier's Civilization IV - Colonization" (2008), nur dass die Jungs von Firaxis es nach dem Introvideo für den Rest des Spieles dann gut sein lassen.

"Paraworld" - das war mir sofort klar - würde hingegen immer wieder auf diese vermatschten Werke zurückgreifen, die jede GZSZ Folge wie einen oscarprämierten Film erscheinen lassen. Jeder einzelne Charakter ist für sich genommen schon verdammt unoriginell, aber spätestens wenn der extrem dickbusige, hellhäutige weibliche Hauptcharakter permanent halbnackt durch die pralle Sonne läuft, ohne dies jemals zu thematisieren, will man nur noch schreien.

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Vor dem totalen Untergang bei der Handlung bewahrt das Spiel zunächst einzig und allein die Tatsache, dass der Rahmen - drei Forscher werden wegen ihrer Funde auf eine Parallelwelt verschleppt, auf der die Dinosaurier noch nicht ausgestorben sind - im positiven Sinne an Filmklassiker der eigenen Kindheit erinnert und andererseits besonders im Bereich der Echtzeitstrategie noch nicht ausgetretenen Pfaden folgen muss.

Dann folgte die erste Überraschung, sobald das eigentliche Spiel startete: Die Grafik. Also mit Nichtwissen behaupte ich, dass "Paraworld" auf dem gleichen Grafikgerüst wie das fünf Monate zuvor veröffentlichte "Spellforce 2" basiert. Die optischen Übereinstimmungen verbunden mit dem Problem, eine einzelne Einheit im Getümmel anzugreifen, sind zu offensichtlich, als dass ich da an Zufall glauben mag, gerade wenn auch noch in beiden Produkten die Marketing Spezialisten von Deep Silver involviert sind. Angeblich ist die PEST genannte Engine zwar ein SEK Eigengewächs, bei insgesamt weniger als drei Millionen Entwicklungskosten wäre das aber eine absolute Meisterleistung.

Gut geklaut ist halb gewonnen

Überhaupt kann man "Paraworld" weniger Eigenständigkeit bescheinigen, als man dies zunächst aufgrund der Saurier vermutet, denn die Viecher spielen sich letztlich kein Stück anders als beliebige andere Einheiten. Vom Army-Controller abgesehen, der tatsächlich für so einigen Komfort sorgt, gezielte Einheitenaufwertung ermöglicht und andererseits die maximale Einheitenanzahl mit 52 inkl. Arbeitern noch im Rahmen hält, erinnert "Paraworld" stark an "Age of Empires II" (1999) und "Age of Mythology" (2002) mit einem Schuss "WarCraft III" (2002).

Die ersten fünf Missionen waren enttäuschend, da "Paraworld" bis dahin nicht annährend die Spieltiefe der Klassiker erreicht, geschweige denn es schafft den Spieler vor irgendwelche Herausforderungen zu stellen. Wie schon in "Spellforce 2" fährt man am besten damit, wenn man die eigenen Truppen möglichst eng beisammen hält, hauptsächlich auf Fernkämpfer setzt und ansonsten die dümmliche und träge KI der eigenen und gegnerischen Truppen sich gegenseitig umbringen lässt.

KI tut sich schwer

Geradezu in fataler Übereinstimmung mit "Spellforce 2" bekommt es der Computergegner in der Einzelspielerkampagne nur über Masse gebacken, das eigene Lager unter Druck zu setzen. Auf die Idee, einfach mal an der Verteidigung vorbei zu reiten oder wenigstens nur eine Bresche zu schlagen, anstatt alle Abwehrtürme verzweifelt abräumen zu wollen, kommt die KI erst gar nicht, so dass - sollten nicht extrem viele und starke Einheiten anrücken - man spielend Angriffswelle nach Angriffswelle abwehren kann.

So verwundert es mich dann auch nicht, dass sich schon nach wenigen Stunden trotz der ansprechenden Präsentation während des eigentlichen Spiels eine Motivationsflaute ergibt. Es sah ganz so aus, als wenn es am Ende jedes Kampagnenabschnitts sowieso wieder nur heißen würde: "Auf zur nächsten Karte, weil da jemand wohnt, der wissen soll, wie wir nach Hause kommen!" Da können von mir aus ja gerne insgesamt fünf verschiedene Klimazonen bereist werden, die sehr stimmig gestaltet sind - nur hab ich's nicht so sehr mit digitalen Steinen, Büschen und Bäumen, dass ich mich endlos danach verzehre. Es fehlt einfach an großartiger Architektur zur Abwechslung.

Learning by doing?

Doch - und das ist die zweite Überraschung - "Paraworld" fängt sich nicht nur, sondern dreht richtig auf. Nicht nur, dass die Geschichte eine größere Dimension erhält, indem es nicht mehr nur darum geht, seinen Arsch wieder nach Hause zu bringen, sondern auch die SEAS (Society of Exact Alternative Sciences) aufzuhalten, die eine Welt auszubeuten, um auf der anderen mehr Macht zu gewinnen. Nein, es gelingt der Handlung tatsächlich sich nach dem mauen ersten Drittel von Höhepunkt zu Höhepunkt - wie den Bau und anschließendem Flug mit einem Segelflugzeug oder einem Kampf vor vollbesetzter Arena - zu hangeln. Auch die Sprecher scheinen im Verlauf der Geschichte mit ihren Rollen wärmer zu werden und selbst die brutalen Animationen in den Zwischensequenzen werden weniger häufig.

Entscheidend ist jedoch, dass ab der sechsten Mission das Kartendesign und die damit verbundenen Aufgaben vielfältiger und besser werden. In der achten Mission macht mich der Computergegner selbst auf der mittleren Spielstufe mehrmals platt, obwohl ich nicht schlecht gespielt habe, denn er kommt endlich nicht immer nur aus einer Richtung (nutzt auch Seewege), ist selbst einigermaßen befestigt und die Resourcen sind so weiträumig auf der Karte verteilt, dass ich mich nicht mehr einigeln und hochrüsten kann. In der elften Mission müssen die drei Forscher sich einem Gottesurteil in einer Arena stellen und sich taktisch klug und vor allen Dingen schnell gegen eintreffende Gegner zu Wehr setzen. Mit anderen Worten: Jetzt geht bei "Paraworld" endlich die Post ab!!!

Im Detail

Insgesamt lässt sich das Spiel, nicht zuletzt wegen dem Army-Controller gut bewältigen, richtig flott geht es aber nicht von der Hand, da in der eigenen Basis aufgrund verschiedenster Limits immer wieder eingegriffen werden muss, die Häuser sich aber häufig zu ähnlich sehen. Sehr ärgerlich ist, dass man es aufgrund des zu flachen Blickwinkels kaum schafft, einzelne Gegner in der Hektik des Gefechts gezielt anzugreifen.

Beim Sound ist mir schwer gefallen, mir eine abschließende Meinung zu bilden. Sehr gute Musik und gute Umgebungs- und Kampfgeräusche stehen Sprechern gegenüber, die ihre Sache zunächst nur mäßig bis grauenhaft bewältigen, sich dann aber etwas steigern. Letztlich verbringt man aber mehr Zeit mit dem gelungenen Teil.

Technisch steht "Paraworld" gut da! Wie schon in "Spellforce 2" sehen die Einheiten selbst aus der Nähe noch detailliert aus. Der Schattenwurf ist dynamisch, wenn er auch häufig mal etwas verrückt spielt, und das Wasser sieht wunderschön aus. Was hier fehlt, ist einfach das letzte Bisschen Eyecandy anstatt nur verschieden warmer und feuchter Landschaften - auch wenn dies thematisch noch so angebracht erscheint. Naja, und dann muss man wohl noch einen weiteren Punkt für die Animationen in den Zwischensequenzen wegknicken.

Letztlich viel richtig gemacht

Die Einheitenbalance scheint zu stimmen, jedenfalls können keine drastischen Fehler vorliegen, die mir dann auch im Einzelspielermodus sofort aufgefallen wären. Weniger schön ist der gerade anfangs zu seichte, in dieser Art vielleicht auch unbeabsichtigte Schwierigkeitsgrad durch die hilflose KI, und das mich die Kampagne auf zu vielen Karten für jeden Schritt wie einen Dreijährigen an der Hand nimmt, so dass ich brav meine Bauklötzchen einsortieren kann. Immer wenn ich mich selbst für einen Platz für meine Basis entscheiden musste, waren die Missionen am packensten.

"Paraworld" hat ein gut gestaltetes, farbiges Handbuch, von dem sich knapp 70 Seiten mit der Bedienung und den Einheiten beschäftigen, sowie ein großes Poster mit Technologiebaum, Bedienkniffen und Tastaturshortcuts. Das zum Spielen unbedingt Notwendige wird einem aber auch einfach im Spiel vermittelt, ohne dabei zu aufdringlich zu sein. Das haben die Jungs von SEK ganz hervorragend gelöst.

Fazit:

Die für ein Echtzeitstrategiespiel originelle Ausgangslage wird gerade zu Beginn durch die lieblose Umsetzung insbesondere in den Zwischensequenzen geschlachtet. Ausgerechnet die drei Hauptcharaktere sind so klischeebeladen, dass es nicht mehr witzig ist. Die drei spielbaren, verschiedenen Pateien Nordvolk, Wüstenreiter und Drachen-Clan bleiben für den Spieler leider vollkommen unbekannte Handlungsgerippe. Diesbezüglich erhellt auch das Handbuch wenig. Zum Glück tritt dies immer mehr in den Hintergrund, je mehr die Inszenierung an Schwung gewinnt, die Szenen Filmklassikern ähneln und der eigene Hass auf die SEAS zunimmt.

Zum Glück verstrickt sich "Paraworld" nicht in die aufgesetzte, rollenspielartige Komplexität eines "Spellforce 2" und zwingt einen somit nicht an Stellen stundenlang herumzupuzzeln, die viel Fleiß und aber wenig Hirn benötigen. Ähnlich wie in der "Age of"-Serie werden immer teurere Ausbaustufen, was gleichbedeutend mit stärkeren Einheiten ist, im jeweiligen Haupthaus freigeschaltet. Die ganz große Herausforderung stellt sich trotz des Overkills mit fast 20 Gebäuden und etwa 30 Einheiten je Partei aber auch nicht ein, denn mit fünf oder sechs verschiedenen Einheitentypen und den drei vorgegebenen Helden gewinnt man auch, wenn man für etwas Heilung sorgt.

Um einmal ganz gemütlich in knapp 40 Stunden durch die Kampagne zu spielen, ist "Paraworld" genau richtig. Alles Weitere käme einer Verzweiflungstat gleich, denn es bleibt nur das Spiel gegen den Computer (das tut man sich vielleicht zwei Mal an), da im Internet keine Server mehr existieren.

Zusammengefasst:
Viele gute Ansätze treffen auf einige Detailschwächen. Insgesamt rettet sich das Spiel mit zunehmender Dauer aber locker in den befriedigenden Bereich und ist somit für einen Zehner eine gute Investition.



  POSITIV:
  - Dinosaurier
  - überraschend gute Grafik
  - Innovation Army-Controller
  - nettes Geschichtchen



  NEGATIV:
  - zu Anfang richtig schlecht
  - flacher Blickwinkel
  - zu änliche Basisbauten