SPELLFORCE 2
Shadow Wars

Phenomic

(07.04.2006)


"Spellforce 2" - angeblich ein Mix aus Rollenspiel und Echtzeitstrategie - hatte ich schon eine ganze Weile, aber die Tittenelly auf dem Cover (die Pose und die Kleidung ist zum Fremschämen - selbst in der Pubertät) und der saublöde Namenszusatz "Shadow Wars" haben mich einfach zu sehr abgeschreckt, um dem Spiel bei Zeiten eine Chance zu geben. Außerdem habe ich mit den Dreingaben bei Grafikkarten bisher eher schlechte Erfahrungen gemacht...

Doch "Spellforce 2" weiß durchaus zu gefallen. In einer episch angelegten Kampagne bereist man knapp 20 große Inseln, die sich optisch angenehm voneinander unterscheiden. Dabei wechseln sich Missionen, bei denen man lediglich bis zu acht Helden - Hauptfigur, fünf Helden und zwei Begleiterhelden ohne große Interaktion zwischen den Charakteren - steuert, mit groß angelegten Schlachten, bei denen man zusätzlich die Kontrolle über ein paar Dutzend klassischer Einheiten wie Schwertkämpfer, Bogenschützen und Katapulte übernimmt, ab - teilweise auch innerhalb einer Karte sprich Insel.

Mit wenigen Einheiten besser

Bei der Steuerung gefällt mir das Spiel jedoch weniger! Zwar hält es sich an die meisten Standards im Echtzeitstrategiegenre, bietet die schöne Funktion, Arbeitern gleich beim Kauf eine Aufgabe zuzuweisen, und wartet zusätzlich mit dem "Click'n'Fight" System auf, mit dem sich im Wesentlichen die Sonderfähigkeiten der im Level aufsteigenden Helden (siehe links oben im ersten Screeny) auslösen lassen.

Die Steuerung funktioniert aber nur gut, solange man lediglich mit einer kleinen Armee eine wiederum kleine Armee bekämpft. Ab einer gewissen Truppenstärke wird man eher in die Statistenrolle gedrängt, weil es weder gelingt die eigenen normalen Einheiten zu heilen, noch die schwer anwählbaren Bodentruppen des Gegners gezielt auszuschalten. Oft hilft nur die eigene Armee wie die Sardinen zusammenzuhalten, auf den Heldenfähigkeiten Klavier zu spielen und zu hoffen, dass man als Sieger aus der Nummer hervorgeht.
Apropos: Zwar kann ein Held deutlich mehr als drei Fähigkeiten haben, aber nur beim Haupthelden sind mehr als drei auch jederzeit anwählbar. Der Sinn dahinter will sich mir ehrlich gesagt nicht erschließen.

Diese Erweiterung gibt's heute nicht!

Die vielen kleinen Probleme wie etwa mit dem Inventar, das der Gegenstandsmenge überhaupt nicht gewachsen ist, oder der Zickigkeit der Helden, wenn es darum geht, Gebäude anzugreifen, verblassen aber gegen den richtig dicken Patzer, den sich das Spiel beim Basisbau in der Kampagne gönnt.

Ganz genretypisch erhält man die stärksten Einheiten erst dann, wenn man verschiedene Gebäude maximal aufgewertet hat. Anstatt Einheiten, die ohnehin in einer Mission nicht gebaut werden können, gleich aus dem Interface zu entfernen, erfährt man aber erst massig Resourcen später vom letzten Aufwertenbutton, dass die Erweiterung nicht verfügbar ist. SPITZE!!!

Starke Technik

Beim Sound leistet sich "Spellforce 2" kaum Schwächen. Die Umgebungsgeräusche sind gut und nicht aufdringlich, die Musik ist zwar wenig originell aber dynamisch und auch die Kampfgeräusche kommen 1a. Wenn die eine oder andere Sprecherrolle nicht so furchtbar klischeehaft ohne witzig zu sein ausgefallen wäre, hätte ich auch eine höhere Note zücken können.

Die Grafik ist technisch total überzeugend. Selbst aus der Nähe sehen Einheiten und Gebäude noch detailliert aus. Die Engine meistert Tag- und Nachtwechsel inklusive etwas flackerndem Schattenwurf, die Darstellung des Wassers mit Spiegelung der Umgebung hält einem flüchtigen Blick stand und selbst die Überstrahlung, wenn man gegen das Licht blickt, wirkt echt.

Leider ist auf den mitunter recht großen Karten nicht jeder Fleck interessant gestaltet und echte Highlights lassen sich lediglich aus der sinnlosen Verfolgerperspektive ausmachen. Insofern läuft die gute Technik leider etwas ins Leere.

Kaum zu verlieren

Ist ein Spiel, bei dem ich nicht verlieren kann, besonders gut ausbalanciert oder einfach nur zu leicht? Ich habe so eine Theorie, dass ursprunglich nicht alles, was man so tun muss, vorgebetet wurde, und auf der Übersichtskarte nicht bereits alle wichtigen Orte markiert waren. Aber dann kamen entweder ein paar grenzdebile Tester oder man merkte, dass das Spiel nichts bot, wenn der Spieler vom Pfad abwich, da keinerlei Interaktivität zwischen dem Spieler und der Spielumgebung besteht.

Im Umkehrschluss hat das Spiel damit den ultimativen Test in der Kategorie Zugänglichkeit bestanden. Da meiner Version kein Handbuch beilag und das Tutorial sich in der Geschwindigkeit einer Schildkröte auf Valium wieder mal an die Freunde der gelben Frucht wandte, habe ich einfach so losgespielt und kam dabei nie ins Stocken.

Auf der Suche nach den Bösesten

Dann gibt es da noch so etwas, was wohl eine Handlung sein will: Die Hauptfigur - nennen wir sie einmal Knut - zieht aus, um Drache und Vaterland vor den Schatten zu retten. Knut hat den bösen Mann im Ohr, verbündet sich trotzdem erst mal mit den vermeintlich Guten. Aber die bringens nicht so, also wechselt Knut zu den vermeintlich Bösen. Gerade als Schwung in die Sache kommt, kann Knut aber auch noch mit den wirklich bösen Schatten verhandeln, um wen nochmal böseres direkt angreifen zu können und immer so weiter...

Garniert wird dieser saublöde und reichlich vorhersehbare Plot - vorhersehbar deshalb, weil man seit zehn Jahren in einer Kampagne immer durch alle spielbaren Völker humpelt, um für den Multiplayerteil gerüstet zu sein - mit zahlreichen Nebenquests, die einen manchmal derartig überfallen, dass sie mich nicht angesprochen haben. Gerade kommt man mit gebrochenen Knochen vom Schlachtfeld, da soll's in die Pilze oder zum Skatturnier gehen...

Rote oder grüne Mütze?

Stell Dir vor, Du sollst ein 50 m entferntes Ziel erreichen und kannst zwischen Auto, Buss, Bahn, Flugzeug, Schiff, Fahrrad etc. wählen. Du kannst Dir das vorstellen? Gut, dann kannst Du Dir auch vorstellen, vor wie viele bedeutungslose Entscheidungen Dich "Spellforce 2" stellt. Dutzende Gegenstände, aus denen man schon absichtlich den falschen wählen müsste, ein Skillsystem, das so restriktiv ist, dass sich ein Magier vom anderen erst nach gut 75 % der Spielzeit unterscheiden kann, und im Gegenzug eine Handlung, in der es - egal wofür ich mich entscheide - letztlich immer auf's Gleiche hinausläuft. So viel also zum Rollenspiel...

Die Künstliche Intelligenz lässt sich leichter ausrechnen als eine tote Fliege. Selbst in den Missionen mit Basisbau läuft es leider immer gleich ab: Man muss lediglich genügend Einheiten zur unbeaufsichtigten Basisverteidigung bauen - die gegnerischen Truppen kommen immer genau an der selben Stelle an - und mit der zweiten Armee die Produktionsstätten des Feindes einreißen, der von Basisverteidigung keine Ahnung hat.

Obwohl mein Gegner regelmäßig über wesentlich mehr Einheiten verfügt und seine Kräfte lediglich konzentrieren müsste, wartet er brav in seinen Basen, bis ich soweit aufgerüstet habe, dass ich es mit einer Basis allein aufnehmen kann. Ich muss mir nicht mal Gedanken darüber machen, mit welchen Einheiten und von welcher Seite ich angreife, denn wenn z.B. ein bestimmter Einheitentyp gefragt ist, dann wird mir das im Rahmen der Mission gesagt.

Fazit:

Wenn man wie ich eher ein gemächlicher Spieler ist und auch mal hin und wieder eine Nebenquest abschließt, dann sitzt man trotz des meist geringen Schwierigkeitsgrades knapp 60 Stunden an "Spellforce 2". Ich kenne allerdings niemanden, der das Spiel abseits der Kampagne je gespielt hat, und ich bin über ein Testspiel auch nicht hinausgekommen. Die eigenen Einheiten verhalten sich einfach zu passiv oder sollte ich sagen verbuggt? Oder ist das etwa ein Feature, dass eine magische Einheit mit Nah- und Fernkampffähigkeiten sich zwar gegen einen Nahkämpfer ebenfalls im Nahkampf verteidigt, sich aber von einem Fernkämpfer ohne jede Gegenwehr töten lässt?

Die atmosphärische Grafik macht am Ende den Unterschied aus. Wenn Dämonen effektvoll zerbersten und die ganze Luft von Pfeilen und Magie erfüllt ist, dann macht "Spellforce 2" tierisch Laune, dann fühlt man sich wie in einem Ridley Scott Film. Wer dafür auf Mikromanagement in den Kämpfen verzichten kann und keine Überkampagne wie in "WarCraft III - Reign Of Chaos" (2002) erwartet, der sollte ruhig einmal in die demnächst erscheinende Goldversion reinschauen, so der Preis denn nicht unangemessen hoch ist.

Nachträglicher Hinweis:

Ich habe mich wegen dem Addon "Spellforce 2 - Dragon Storm" bzw. "Spellforce 2 Gold" mal umgehört und es sieht leider so aus, als wenn mit der Auflösung des eigentlichen Programmierteams Phenomic wie so oft auch jeglicher Patchsupport eingestellt worden ist. Derzeit ist nach einer Installation des Addons das Hauptspiel nicht mehr lauffähig. Im Addon selbst befinden sich dickere Bugs und der Karteneditor stürzt sofort ab, aber für das Addon erschien nie ein Patch. Falls doch mal jemand online spielen möchte, wird er darüber hinaus feststellen, dass die Goldversion mit 2.00 geführt wird, das Addon aber mit 2.01 - somit kann er nur mit anderen Besitzern der Goldversion spielen. Da hier die berüchtigte Firma JoWooD Productions Software AG in der Pflicht steht, die schon mit "Gothic 3" gezeigt hat, wie man's nicht macht, würde ich auf gar nichts hoffen.

Noch nachträglicherer Hinweis:

Es hat bis zum 13. April 2017 gedauert, bis THQ Nordic sich ein Herz gefasst hat und mit der "SpellForce 2 - Anniversary Edition" eine wieder vollständig hergestellte Version von "Spellforce 2 Gold" veröffentlicht hat. Keine Ahnung, welchen tieferen Sinn das nach so elend langer Zeit haben könnte, außer vielleicht mehr Aufmerksamkeit für "Spellforce 3", das am 07. Dezember 2017 erschien, zu erhalten.



  POSITIV:
  - 60 Stunden Kampagne
  - starke Technik
  - atmosphärische Grafik
  - alles sehr verständlich


  NEGATIV:
  - Armeen schwer zu steuern
  - Interface mit Fehlern
  - auf Dauer zu leicht
  - sehr vorhersehbarer Plot
  - platte Entscheidungen