Sid Meier's
Civilization IV
COLONIZATION

Firaxis

(26.09.2008)


Weihnachten 1994: Der 14" Röhrenmonitor taucht mit seiner blockigen VGA Grafik von gerade einmal 320 x 200 Pixeln und 256 Farben das dunkle, ungeheizte Zimmer in ein gespenstisches Licht. Ich ziehe die Decke enger um mich, meine Gesichtszüge sind mit Blick auf den Monitor wie versteinert. Soeben haben die Tupies mich mit den Waffen und Pferden angegriffen, die ich ihnen zuvor selbst verkauft hatte, damit sie sich gegen die Spanier zu Wehr setzen können. Wer hätte gedacht, dass sie mich auch nicht leiden können. Hätte wohl nicht so expansiv auf ihrem Gebiet siedeln dürfen. Eine zweite Angriffswelle wird New Amsterdam, meine wichtigste Hafenstadt, nicht überleben. Damit ist die Revolution gegen das holländische Vaterland bereits so gut wie gescheitert, bevor ich überhaupt die Unabhängigkeit meiner amerikanische Kolonie erklärt habe.

Ein Blick auf die Uhr, es ist erst kurz nach Zwei, also auf ein Neues... vielleicht diesmal als englische Kolonie, die wegen religiösen Zerwürfnissen im Mutterland einen größeren Zulauf an Kolonisten hat...

Und nun noch einmal in HD

Herbst 2008: Mittlerweile habe ich mir angewöhnt den Raum ausreichend zu beleuchten, die mehr als fünffache Monitorauflösung ist so fein, dass einzelne Pixel kaum noch auszumachen sind, und trotz brutaler Energiepreise läuft die Heizung, wenn es nötig ist, aber die Tupies haben mir schon wieder den Arsch aufgerissen, obwohl ich als Franzose zu ihnen einen besseren Draht als andere Kolonialmächte haben sollte.

Nach dem Neustart wähle ich mir die Spanier als Nation, um einen 25 % Kampfbonus gegen die Eingeborenen zu erhalten. Doch es läuft ganz anders. Anstatt aufgrund meiner vielen Städte Radau zu machen, beschenken mich die umliegenden Indianerdörfer regelmäßig und reichlich mit Rohstoffen wie Baumwolle, Pelze, Tabak und Zucker, die ich zusammen mit meiner eigenen Ernte in meinen Manufakturen zu Stoffen, Mänteln, Zigarren und Rum weiterverarbeite und mit satten Gewinn nach Europa schiffen kann.

Selbst als sich das Einflussgebiet meiner Städte immer weiter ausdehnt, bleibt es ruhig. Häuptling Logan des Mingo Stamms beschließt sogar die Zelte abzubrechen und einfach weiterzuziehen, um meiner Entwicklung nicht im Weg zu stehen. Du Arsch! Du Riesenarsch!!! Ich wollte Dir doch endlich die Kauleiste polieren!!!

Jedes Spiel etwas anders

Von diesem friedlichen Verlauf eingelullt vernachlässigte ich mein Militär, brachte die revolutionären Kräfte in meinen Städten nicht voran und beendete das Spiel dann nach der maximalen Anzahl von 300 Zügen im Jahr 1792 mit einer wirtschaftlichen blühenden, aber unfreien Kolonie. Tja, das versuchen wir dann gleich nochmal...

Genau wie man auch 2008 den Verlauf einer Partie "Colonization" als Anfänger, der ich irgendwie ewig geblieben bin, nur schwer voraussagen kann, blieben praktisch alle Schlüsselpunkte des Originalspiels von 1994 erhalten. Zunächst steht die Wahl einer Nation an. Nach wie vor stehen England, Frankreich, Holland und Spanien zur Auswahl. Im Stil von "Civilization IV" kann aber nun pro Nation zwischen zwei Anführern gewählt werden, die jeweils einen weiteren Vorteil wie etwa höhere Produktivität oder eine automatische Beförderung militärischer Einheiten mit sich bringen.

Während man beim Original mit den zufällig erstellten Karten nicht glücklich werden konnte und lediglich die echte Amerikakarte zu gebrauchen war, erstellt das Spiel nun sehr gelungene realistische Zufallskarten, so dass problemlos jedes Mal mit einer neuen Karte und somit einmaligen Herausforderung gestartet werden kann.

Klar umrissene Aufgabe

"Colonization" wird allgemein zwar immer als der kleine Bruder von "Civilization" gesehen, hängt den großen Bruder in meinen Augen aber auf ganzer Linie ab. "Civilization" eiert seit jeher uninspiriert und fiktiv tausende von Jahren durch die Menschheitsgeschichte und bläht sich dabei auf ein 30 Städte umfassendes Imperium auf, in dem ich vor sich endlos wiederholenden Bauaufträgen und Dauerkrieg die Ziellinie irgendwann nicht mehr sehe. "Colonization" hingegen hat mit der Amerikanischen Unabhängigkeit einen klaren, geradezu realistischen Rahmen und kann auf der Standardspielstufe mit weniger als zehn Städten gewonnen werden.

Überhaupt kommt den Städten eine viel größere Bedeutung zu, denn auf lange Sicht sind die selbst produzierten Kolonialwaren die mit Abstand größte Einnahmequelle. Um diese Waren zu erstellen, bauen die entsprechend eingeteilten Kolonisten die Rohstoffe im kleinen Fenster rechts oben (siehe Screenshot unten) ab und verarbeitet sie dann im Hauptfenster weiter. Für eine optimale Produktion gilt es außerhalb der Kolonie mit Pionieren z. B. Felder anzulegen und innerhalb Gebäude zu errichten oder zu erweitern, so dass mehr Rohstoffe pro Runde weiterverarbeitet werden können. Außerdem produzieren Meister des jeweiligen Berufs die jeweils doppelte Menge. Diese Meister muss man häufig aus normalen Kolonisten heranschulen oder dem Mutterland für einen saftigen Preis abgekaufen, wenn sie nicht freiwillig auswandern wollen.

Möge die Rebellion gelingen

Dem Rathaus jeder Stadt kommt eine besondere Bedeutung zu. Es produziert Freiheitsglocken, eine logischerweise nicht handelbare Resource. Freiheitsglocken stehen für die rebellische Haltung der Stadt. Je rebellischer die Haltung, desto mehr haben die Menschen in den Kolonien das Gefühl für sich selbst zu arbeiten und arbeiten somit härter.

Beträgt die rebellische Haltung kolonieweit mind. 50 %, kann ich meine Unabhängigkeit erklären. Doch dieser Schritt will sehr wohl überlegt sein, denn der König schickt all seine verfügbaren Truppen (und das können schon mal knapp 100 Einheiten sein), um meine Kolonie einzudampfen und meine Vernichtung als abschreckendes Beispiel anderen rebellischen Kräften präsentieren zu können.

Schon früh müssen also Produktionskapazitäten in die Waffenherstellung (Gewehre, Kanonen, Kriegsschiffe) umgeleitet werden oder, solange der König sich unserer separatistischen Umtriebe nicht sicher ist und denkt, wir würden Indianer oder andere europäische Mächte bekämpfen, diesem erfahrene Soldaten und anderes Kriegsgerät abgekauft werden.

Viele Stellschrauben

All dies beschreibt nur den Kern des Spiels, sprich eine ausführliche Beschreibung aller Spielelemente und damit möglicher taktischer Möglichkeiten würde einfach jeden Rahmen sprengen. Folgende Elemente spielen aber auch noch eine wichtige Rolle:

  • Produktionsketten innerhalb der eigenen Kolonie
  • Handel mit anderen Kolonialmächten und den Indianerstämmen
  • Abkommen mit anderen Kolonialmächten und den Indianerstämmen
  • Missionierung der Indianer
  • eigene und fremde Piratenschiffe
  • Gründerväter (historische Persönlichkeiten mit bestimmten Boni)
  • Erkundung der Weltkarte (z. B. Schätze und Kontakt zu allen Anführern)

Man sieht: Auch wenn ich wieder und wieder verliere - ich habe weder das alte noch das neue "Colonization" jemals auf der mittleren Spielstufe gewonnen - gibt es genügend verschiedene Schrauben an denen man drehen kann, um es gleich noch einmal zu probieren.

Alles richtig gemacht?

Die Steuerung des Originals von 1994 war schon stark. Nun nach 14 Jahren ist sie schlichtweg perfekt. Alles geht fantastisch flott von der Hand, wenn man sich einige Shortcuts merkt, und typische Bedienungsfehler werden abgefangen (z. B. kein Produktionsabbruch mehr wegen fehlender Werkzeuge).

Mit lediglich guten Soundeffekten, aber keinerlei Sprachausgabe und der nervtötensten Musik seit Jahren schafft die Neuauflage tatsächlich das Original auf diesem Sektor zu unterbieten. Vielleicht sollte Firaxis wirklich mal langsam jemanden einstellen, der auf diesem Gebiet richtig was auf dem Kasten hat.

"Colonization" basiert auf der gleichen Grafikengine wie "Warhammer Online: Age of Reckoning" (kein Witz), sieht aber nicht annähernd so stimmig aus. Das dunkelbraune Interface der Hauptansicht ist hässlich, das Design ein Mischmasch von Stilen und das Intro wurde von Leuten ohne Kenntnisse in Animation erstellt. Es wird sogar absichtlich genau dann im Intro zur nächsten Szene geschnitten, wenn es schwer geworden wäre. Im direkten Vergleich mit der akuten Augenfolter aus "Civilization IV" geht man aber dank stark verbesserter Texturen und Transparenzeffekten als haushoher Sieger vom Platz. Klares Plus: Der Informationsgehalt der verschiedenen Spielbildschirme ist bestechend gut.

Firaxis kann es doch!

Mit Schaudern erinnere ich mich noch daran, wie Firaxis vor knapp zwei Jahren "Sid Meier's Railroads" ohne jedes Balancing veröffentlicht hat. Wie war die Erleichterung groß, dass in "Colonization" weiterhin alle Details wie ein Uhrwerk ineinandergreifen, die Karten bezüglich ihrer Resourcen und Gegner fantastisch aufgebaut sind und das Spiel entsprechend der eigenen Fähigkeiten und dem wählbaren Schwierigkeitsgrad immer herausfordernd aber fair bleibt.

Die Zugänglichkeit ist für mich diesmal etwas schwer zu beurteilen. Da ich aber nach einer Pause von zwei Jahren in eine Partie "Civilization IV" wesentlich schlechter reingekommen bin als in eine bei "Colonization", muss ich davon ausgehen, dass "Colonization" einen tatsächlich gut mitnimmt. Die Spiel interne Zivilopädie sowie die 46seitige, gedruckte Anleitung sind sehr gut aufgebaut, so dass keine Fragen offen bleiben. Der eine oder andere Blick in diese ist selbst Veteranen zu empfehlen.

Sicherlich kann "Colonization" bei der Handlung nicht mit dem packenden "X-COM: UFO Defense" mithalten, aber ständig das eigene Überleben vor Augen und einen missmutigen, geldgeilen König im Nacken zu haben, kommt im Vergleich zum tausendsten Weltkriegs- oder Evolutionsszenario richtig gut.

Fazit:

Von einem runbasierenden Spiel hat man zunächst nie einen solchen Eindruck, aber "Colonization" ist ein Wettlauf mit der Zeit. Irgendwo Siedlungen hinklatschen kann jeder, seine Resourcen so einzusetzen, dass man in 300 Spielzügen dem König eine Niederlage beibringen kann, ist eine ganz andere Herausforderung. Produziere ich alle Waren oder errichte ich nur wenige weiterverarbeitende Betriebe? Produziere ich die Endprodukte zentral oder jeweils dort, wo ich die Rohstoffe abbaue? Wie bekomme ich am schnellsten oder günstigsten mehr Kolonisten und Spezialisten? Macht es Sinn meine Küstenstädte zu verteidigen, wenn mir der König von Meer aus mein Fort zerbröseln kann?

"Colonization" funktioniert für ein rundenbasiertes Spiel hervorragend im Multiplayermodus. Aber auch ganz allein verbringt man dutzende von Stunden ohne sich zu langweilen. Hier gibt's endlich mal eine Neuauflage, an der auch Hardcorefans des Originals wenig zu meckern haben. Schön wäre es nur, wenn Brian Reynolds endlich anstatt Sid Meier im Namen geführt würde. An der Neuauflage haben zwar beide nicht mitgearbeitet, aber für das Original sollte Ehre wem Ehre gebührt gelten.



  POSITIV:
  - interessantes Szenario
  - schwer zu meistern
  - hoher Wiederspielwert
  - perfekte Bedienung
  - 46seitiges Handbuch


  NEGATIV:
  - grafisch klar aber schwach
  - keine Sprache, kaum Töne
  - extrem nervtötende Musik