GRID AUTOSPORT

Codemasters

(27.06.2014)

auch veröffentlicht auf
PlayStation 3 und Xbox 360


Natürlich ist es kein gutes Zeichen, wenn man die Einleitung zum bescheidenen Vorgänger "GRID 2" vom Vorjahr praktisch übernehmen könnte, aber 2014 war so selten arm an guten Veröffentlichungen wie kaum ein Jahr zuvor, dass ich mir "GRID Autosport" für gut einen Zehner praktisch schon gönnen musste, wenn ich die Feiertage mit einem relativ neuen Spiel verbringen wollte.

Wenigstens hatte dies den Vorteil, dass ich nicht allein nur aufgrund des Vorgängers mit einer äußerst geringen Erwartungshaltung an das Spiel herangegangen bin. Sich einem Spiel von unten zu nähern ist immer besser als von oben, hehehe.

Sparflamme als Entwicklungsprinzip

Wären DLCs ein faires Geschäft, dann wäre "GRID Autosport" ein DLC für etwa 5 € für "GRID 2", aber die Welt ist nicht fair und deshalb ist es ein Vollpreistitel (gewesen). Strecken und Autos sind nahezu komplett aus "GRID 2" und "F1 2013" recycled. Da verwundert es schon, dass die Realsatire pur in Form der paar matschigen, grenzdebilen ESPN Videos (zwei Kleiderständer dreschen Phrasen) nicht auch wieder mit am Start ist.

Ein Riesenspaß ist jedoch die Cockpitperspektive (siehe oben), die von einigen Spielern vermisst wurde (nun nicht mehr). Ich weiß nicht, was dieser unscharfe Panzerfahrer Scheiß auf Niveau von "ToCA Race Driver 3" (2006) sein soll, aber wenn es Codemasters' Ziel war, dass sämtliche Kritiker darüber abkotzen, wie selten schlecht die Umsetzung ist, und herausstellen, wie verlogen es ist, zu behaupten: "Wir haben jetzt wieder eine Cockpitperspektive", dann war's ein voller Erfolg. Also mich hat's jetzt nicht gewundert, als ich von Entlassungen bei Codemasters gelesen habe...

Und überhaupt - wenn man mich bitten würde das Drumherum von "Autosport" mit einem Wort zu beschreiben, dann würde ich "lieblos" wählen. Insbesondere die Sprachsamples sind selten hingeklatscht. Das Geplapper in den Menüs habe ich schon besser im Einkaufszentrum und im Fahrstuhl gehört und während des Rennens ist's auch nicht besser. Plazierungen kann der Sprecher nur bedingt nennen, so dass mein Teamkollege und ich immer vor, im oder hinter dem Hauptfeld sind, obwohl bei "Autosport" ausschließlich im Pulk gefahren wird.

Namen hat der Sprecher lediglich für die acht Ravenwest Fahrer drauf, alle anderen sind meine Eventrivalen (klingt wie der Kampf am Buffet). Ob mein Eventrivale wie fast immer männlich ist oder ausnahmsweise mal weiblich, geht dem Sprecher auch völlig ab, denn ob der Sprecher von ihm oder ihr redet, würfelt ein Zufallsgenerator aus, der mir regelmäßig falsch Bruno, Peter und Heinrich als die Frau der Stunde präsentiert. Da fragt man sich schon, ob Codemasters tatsächlich eine komplette Manschaft von Trotteln am Start hat, von denen jeder einzelne zu doof ist, eine einfache wenn... dann... Abfrage für genau eine binäre Variabel zu coden, um das richtige Sprachsample ablaufen zu lassen.

Überraschung!

Alles, was ich bis hierher aufgezählt habe, lässt sich nicht wegreden, aber - so unglaublich das auch erstmal klingt - "Autosport" ist ein viel besseres Spiel als "GRID 2" geworden, denn es lässt als erstes Codemasters Rennspiel seit über zehn Jahren ein Feature von "ToCA Race Driver" (2003) wieder auferstehen - das mit Abstand wichtigste: Man darf am Setup des eigenen Autos herumspielen. Dass die Möglichkeiten bzw. wie genau ich Einstellungen vornehmen kann, von der Teamwahl am Saisonbeginn abhängig sind, verwässert den Ansatz zwar wieder etwas, aber besser als nichts.

Ebenso begrüsst habe ich, dass Qualifyingrunden gefahren werden und alle Fantasie-Punkt-zu-Punkt-Strecken realen Rundstrecken weichen mussten. Die Fantasiestrecken sahen natürlich eine ganze Ecke schöner aus als die realen Strecken mit ihren grauen, baumlosen Auslaufzonen, aber die Fantasiestrecken im Dunkeln mit den Raketenautos des Vorgängers zu befahren, war eine einzige Strafe. Bei entsprechender Auswahl der Wettbewerbe (Touring, Endurance, Open Wheel, Tuner u. Street) kann ich auch den eher drögen Stadtstrecken aus dem Weg gehen. Und nunmehr 20 anstatt nur 14 Kurse zu haben, ist natürlich auch nicht schlecht.

Der absolute Wahnsinn ist jedoch etwas unscheinbar in den Optionen für die Schwierigkeit versteckt. Ganz unten kann die normale Renndauer verdoppelt, verdreifacht oder sogar verfünffacht werden. Seit knapp 20 Jahren warte ich auf das Feature, das mich in Spielen wie "Need for Speed", "Gran Turismo", "Forza Motorsport" oder eben "Race Driver" von dem Zwang befreit, innerhalb von wenigen Runden das gesamte Feld aufrollen zu müssen - und jetzt ist es endlich da!!!

In meinen Augen hätte "Autosport" also allein für diese Freiheit eine gute Wertung verdient, aber leider, leider sind die Sprünge zwischen den einzelnen Stufen für die KI-Schwierigkeit (gemeint ist, wie gut die Computergegner fahren) zu groß. Während ich auf "Mittel" nicht verlieren kann, kann ich auf der nächsten Stufe nur noch gewinnen, wenn mir Auto und Strecke sehr liegen und ich (für meine Verhältnisse) fehlerfrei fahre. Und daran ändert sich auch nichts, völlig egal ob ich zwei, vier, sechs oder zehn Runden unterwegs bin, aber zum Glück geht das Spiel auch weiter, wenn ich nicht unter den ersten Drei lande.

Verbessertes Handling, übler Bug

Je schneller die Wagen in Spielen von Codemasters wurden, desto mehr hatten sie die Tendenz sich wie Luftkissenboote anzufühlen. In "GRID 2" lagen viele Autos schon recht nachvollziehbar auf der Straße und vermittelten einen guten Eindruck ihres Gewichts, in "Autosport" ist man einen weiteren, kleinen Schritt dem fantastischen Handling von "Forza Motorsport 4" (2011) näher gekommen - solange man nicht den Kardinalfehler begeht, die Stabilitätskontrolle zu aktivieren.

Dann fühlt man sich nämlich, als wenn man gerade Milch ausfahren würde, weil die Kurvengeschwindigkeit so unglaublich absinkt. Wer sich einen richtigen Spaß gönnen will, der sollte einmal mit relativ langsamen Autos ein kurzes Rennen bestreiten und dabei absolut alle Fahrhilfen aktivieren. Ich fuhr durchgehend auf der Ideallinie, rollte aber unter Lachtränen abgeschlagen als Letzter ins Ziel. Ich weiß jetzt nicht, ob auf diese Art und Weise Einsteiger motiviert werden können, noch lange weiter zu spielen, denke aber eher nicht.

Überraschend genial - und somit viel besser als z. B. in "F1 2013" - fahren sich die Open Wheel Karren der Formel 3 und Formel 2 Klassen in "Autosport" mit dem Gamepad, denn trotz aktivierter Traktionskontrolle sind sowohl kontrollierte Slides möglich als auch Dreher in der Kurve, wenn man zu viel Gas gibt. Es war echt das erste Mal seit "Grand Prix 3" (2000), dass ich wieder großen Spaß daran hatte, Open Wheel zu fahren. Dafür möchte ich Codemasters aufrichtig danken.

So gar kein Dank geht an meinen Teamkollegen bzw. an den Deppen, der auf die Idee kam, dass mein Teamkollege sich immer in der hinteren Hälfte des Feldes zu tummeln hat. Es ist ziemlich beknackt, wenn ich immer und immer wieder als Sponsorenziel eine gute Teamplazierung aufgedrückt bekomme, aber die Punkte dafür praktisch allein einfahren muss, weil ich keinerlei Einfluss darauf nehmen kann, was der Typ im anderen Auto macht. Hier wären die frei käuflichen Teamkollegen aus "Race Driver: GRID" (2008) eine tolle Sache gewesen, aber "Autosport" kennt keine Währung außer Erfahrungspunkte.

Fazit:

"GRID Autosport" macht beim eigentlichen Fahren endlich wieder alles richtig: Tolles Handling, gute Streckenauswahl (abgesehen von dem grauenvollen Circuit of the Americas) und ich persönlich finde sogar, dass die KI Gegner Klasse fahren. Die Grafikengine - ursprunglich gestrickt für die PS3 und die Xbox 360 - ist zwar in die Jahre gekommen, dafür braucht es aber auch keinen topaktuellen Computer und wirklich hässlich sieht's trotzdem nicht aus, wenn man die Hände von der Cockpitperspektive lässt.

Katastrophal dürftig ist das Drumherum. Die Präsentation entspricht genaugenommen dem 2006er Hardcoreprodukt "GTR 2" - das sind schlappe acht Jahre Stillstand und einen anderen Fokus hat das Spiel auch noch. Da wunderte es mich wenig, dass ich "Autosport" nicht sozusagen durchgespielt habe, was vermutlich an die 100 Stunden dauern könnte, sondern nach 30 Stunden ausgeeiert bin, weil jede Art von Karotte vor meiner Nase fehlte. Es ist aber gut möglich, dass ich später immer mal wieder einfach so ein paar Runden drehen werde...



  POSITIV:
  - tolles Handling
  - gute Streckenauswahl
  - klasse KI Gegner
  - Wahl der Rennlänge


  NEGATIV:
  - Cockpitperspektive
  - arg dürftiges Drumherum
  - Fahrhilfen keine Hilfen