RACE DRIVER: GRID

Codemasters

(30.05.2008)

auch veröffentlicht auf
PlayStation 3 und Xbox 360


Das Codemaster Racing Team ist so ein Fall für jeder bekommt drei Chancen. Nachdem ich von "Race Driver 3" total genervt war und es nicht verstehen konnte, warum irgendwer es geil finden konnte in "Colin McRae: DIRT" Luftkissenboote in Zeitlupe umherzuschubsen, wollte ich sehen, was an dem Hype für "Race Driver: GRID" dran ist.

Codemasters haben sich nach der katastrophalen Performance der PC Version von "Colin McRae: DIRT" anscheinend auf den Hosenboden gesetzt und gute Arbeit geleistet. Das Spiel läuft auf der empfohlenen Systemkonfiguration bei maximalen Details und 8x Kantenglättung jederzeit 100 %ig flüssig. Allerdings sollte nicht verschwiegen werden, dass sich die Engine ganz offensichtlich einer ganzen Reihe von Tricks bedient, indem sie Objekte im Hntergrund entfernt oder zumindest die Details drastisch runterregelt.

Voll auf die Augen

Es dauert keine drei Minuten, da fallen einem zwei Kandidaten aus der Abteilung nett gedacht aber nicht nett gemacht auf - und zwar der Effekt für das Überleuchten und die Bewegungsunschärfe. Das Überleuchten bei Sonnenschein wird immer noch wie vor drei Jahren, als der Shader mit "Need for Speed: Most Wanted" (2005) in Autorennspielen auf dem PC aufkam, über die gesamte Strecke geklatscht, so dass es einem die Tränen in die Augen treibt und man vor dem nuklearen Niederschlags flüchten möchte.

Der Bewegungsunschärfeeffekt wird so massiv eingesetzt, dass er praktisch alle Details vernichtet und außerdem verstärkt zum Brillenkauf motiviert. Die gute Nachricht: Die Bewegungsunschärfe lässt sich anders als das Überleuchten deaktivieren - zumindest auf dem PC, denn auf den Konsolen darf man bei den Grafikdetails bekanntlich nicht selbst Hand anlegen. Ich habe hier einmal eine besonders üble Szenen abgebildet, um zu zeigen, dass auch tatsächlich jeder diesen Unfug deaktivieren wird.

Mit der Steuerung allein gelassen

Die Steuerung ist bei einem Rennspiel natürlich viel wichtiger als bei jeder anderen Art von Spiel, denn die Steuerung des Autos ist ja das eigentliche Spiel. Bei der Konfiguration des Eingabegerätes habe ich die elementarsten Funktionen wie die Empfindlichkeit bzw. Verzögerung von Lenkung, Gas und Bremse jedoch vermisst. Wie bitte soll ich mit Gamepad oder Tastatur ohne Fahrhilfen vernünftig fahren, wenn ich so extrem binär unterwegs bin?

Zwar funktioniert das Gamepad am PC nach dem ersten Patch etwas besser, aber wer zur Tastatur greifen muss, braucht viel guten Willen und die Bereitschaft manche Rennen zur echten Herausforderung werden zu lassen. Ich will hier nach wie vor nicht in Haarspalterei verfallen und ein Aktionrennspiel wie "GRID" mit einer Simulation wie "GTR 2" vergleichen, aber auf der Xbox 360 ist ein sanfter Lenkeinschlag mal gar nicht möglich, so dass ich die Autos mit Straßenzulassung regelmäßig auf die Seite werfe.

Luftkissenboote fahren

Dass das gesamte Menüsystem komplett von der Konsole stammt, ist für die meisten Spieler sicherlich vollkommen okay, denn es bedient sich diesmal recht flott und übersichtlich. Aber das Verhalten der Autos ist streckenweise nur noch lächerlich, wobei die schnelleren Schlitten, die im Verlauf des Spiels auftauchen, sich mangels Sichterschütterung dann leider doch wieder wie Luftkissenboote fahren. Da passt es auch, dass es soetwas wie ein Setup nicht gibt. Allerdings ist es vom Produzenten schlichtweg gelogen, dass man vom Spiel sowieso das perfekte Setup erhält.

Absoluter Tiefpunkt und bester Beweis dafür ist der Circuit de la Sarthe in Le Mans mit seinen langen Geraden in Verbindung mit dem absolut grottigen Setup der Autos. Da der größte Gang eine zu geringe Übersetzung hat, donnert man minutenlang im Windschatten seines Vordermanns mit der maximalen Drehzahl hinter diesem her, ohne ihm dabei auch nur einen Meter näher zu kommen. Ich kann mich nicht daran erinnern in jüngerer Vergangenheit etwas öderes gespielt zu haben. Glücklicherweise kann man fast alle Rennen ohne große Nachteile auf dieser Strecke umgehen, die eigentlich eine gute Abwechslung zu den anderen Strecken wäre.

Economy Class Sound

Auch nach dem ersten Patch ist der Soundbug noch drin, der Motoren gern mal klingen lässt, als wenn eine Bohrmaschine und ein Fön zusammen singen. Aber auch sonst klingen die Autos nicht die Bohne fett, sondern als wäre einer zur Digitalisierung mit seinem Handy angerückt, was dann im Ergebnis eine V8 Machine klingen läßt wie einen großen Rasenmäher. Gleiches gilt für die Musik während der Wiederholungen, die man einfach nur ausmachen muss, wenn man nicht auf Spechtkonzerte für drei Casios steht.

Aber der Oberkomiker ist die Stimme aus dem Off während der Rennen. Keine Ahnung, wer das ist, denn bezahlen tue ich ihn nicht und eingestellt habe ich ihn auch nicht, obwohl ich ja angeblich Manager und Fahrer meines Teams in Personalunion bin. Also der Mann aus dem Off sagt so tolle Sachen wie: "Du bist jetzt Vierter. Wenn Du noch einen Platz gut machst, bist Du in den Top 3." "Echt jetzt", denkt man sich und dann sagt er ein paar Kurven später: "Du bist jetzt Vierter. Mach noch einen Platz gut, dann bist Du Dritter."

Überhaupt mag er die vierte Position gern, also wenn man als Vierter startet und nach der ersten Kurve immer noch Vierter ist, dann sagt er: "Du bist jetzt Vierter." Meist liegt er mit seinen Kommentaren aber falsch, weil er nicht so der Schnellste ist. Wenn ich z. B. jemanden überhole und dann mit 200 Sachen in die Mauer gehe, lobt er mich: "Das war ja ein fantastisches Manöver! So gewinnt man Rennen!" Am schönsten ist es aber, wenn er bei Driftrennen gefühlte 80 Mal sagt: "Je näher Du an die Fahne fährst, desto mehr Punkte bekommst Du."

Balancing outgesourced

"GRID" bietet dem Spieler die Möglichkeit für jedes Rennen die Schwierigkeit und damit den Prestigegewinn selbst zu bestimmen. In Kombination mit der Tatsache, dass immer aus einer ganzen Reihe von Rennen ausgewählt werden kann, wird potentiell Frust und Langeweile vermieden. Andererseits bedeutet dies aber auch, dass man die Arbeit des Balancing damit auf den Spieler abgewälzt hat - nicht so schön.

Neben der Gegnerstärke können etwa die verwendeten Fahrhilfen wie ABS, Stabilitäts- und Traktionskontrolle selbst festgelegt werden. Dies macht bei einem 1970er Mustang noch Sinn, denn der hatte solche tollen Sachen nicht, bei modernen, sauteuren Luxuskarossen oder Prototypen, die diese Fahrhilfen sowieso als Standardausstattung besitzen, ist die Nummer aber einfach für die Tonne. Schnelle Kurven kann man ohne Stabilitätskontrolle aufgrund des übertriebenen Untersteuerns nicht in der gleichen Geschwindigkeit wie der Computergegner nehmen, womit das Rennen dann logischerweise gelaufen ist.

Und mit Nichtwissen behaupte ich, dass in der Realität bei Tempo 250 auch keiner die Handbremse zieht, um diesen Umstand auszugleichen. Mit der Zeit wird also offensichtlich, dass der Spaß am Fahren antiproportional zur Geschwindigkeit der Autos ist. Während man den Mustang noch wunderbar im Grenzbereich bewegen kann, verkommen die Autos mit 300 km/h und mehr Spitze einfach nur noch zum Reaktionstest, bei dem es auch rein gar nichts zu gewinnen gibt, wenn man das erste Mal auf einer Strecke unterwegs ist. Da hilft einem das Zurückspulen auch nichts mehr...

15 Strecken für die Ewigkeit

Zuerst ist man also glücklich, dass es nur 15 Strecken gibt. Dann ist man schnell ziemlich genervt, weil so spannend sind die meisten davon auch nicht, schon gar nicht, wenn man immer wieder mit vergleichbaren Autos unterwegs ist. Nicht umsonst dreht man selten mehr als drei Runden auf einer hintereinander. Mit Schrecken erinnere ich mich noch an die Open-Wheel-Rennen aus "Race Driver 3", die ich über 50 Mal neustarten musste, weil mir die Gegner andauernd die Räder wegsemmelten. Hier hat Codemasters eine einfache wie "geniale" Lösung gefunden: Die flachen Flitzer sind jetzt einfach die widerstandfähigsten Autos im ganzen Spiel. WAAAHAHAHA!!!

Zeit für eine gute Nachricht: Die Rennen in Japan sind nicht alles nur Driftrennen und selbst das Driften machte mir meistens großen Spaß. Was in Japan seltsam wirkt, sind die Nachtrennen mit superschnellen Flitzern auf Kursen in der Innenstadt, die so eng und kurvig sind wie eine Parkhausauffahrt. Das passt in meinen Augen vorne und hinten nicht und macht einfach keinen Spaß.

Sponsorenwahl als Spielelement

Nun habe ich die anderen "Race Driver"-Spiele ja alle gespielt und hatte logischweise mit den praktisch immer gleichen Zusammenhängen auch beim vierten Mal keine Probleme, aber ich denke, dass selbst ein sog. Casual Gamer vorbildlich an jedes Element (es sind etwa drei) des Spiels herangeführt wird. Das Handbuch bietet einen guten groben Überblick, die Lektüre ist aber nicht notwenig und, da das Handbuch im Stil einer Hochglanzbroschüre gehalten ist, auch nicht empfehlenswert.

Da weder Autos noch Strecken den Anspruch für sich erheben exakt simuliert zu sein, ist es mit dem Anspruch an den Spieler auch nicht weit her. Da man an dem Handling der Autos diesmal nichts drehen darf, fällt "GRID" diesbezüglich bei der Komplexität gegenüber seinen Vorgängern sogar noch ab. Als Teammanager die richtigen Sponsoren und das weitere Teammitglied zu wählen, erfodert auch nicht viel mehr Intelligenz, als man ohnehin fürs Lesen braucht, ist aber eine nette, wenn auch nicht gerade abendfüllenge Dreingabe.

Exceltabellen sind toll

In Bezug auf die Story kann es nur heißen: Chance vergeben! Anders kann man das nicht bezeichnen. Auf der Verpackung heißt es: "Erobere eine lebendige, pulsiernde, dynamische Welt [...]". Also wo immer diese Welt, von der da gesprochen wird, hin ist, in meinem 10 GB großen Verzeichnis auf der Festplatte ist sie nicht gelandet. Ich habe nur Stimmen aus dem Off und Tabellen, Tabellen und nochmals Tabellen. Kein Leben, kein Puls, keine Dynamik, sondern Statik pur. Damit hält man eigentlich nicht mal das Niveau der Monologe des Mechanikers aus "Race Driver 3".

Codemaster muss irgendwie verdrängt haben, welche genialen Rahmenhandlungen sie in den ersten beiden Serienteilen abgeliefert haben. Anstatt, dass sich andere Rennställe nach jeder Season um mich reißen und ich mit meinem jeweiligen Teamkollegen aneinander gerate, sammel ich nur völlig unbehelligt Geld und Rufpunkte. Niemand will mit mir in die Kiste hüpfen, niemand hasst mich. Vermutlich kennen mich nicht mal meine Nachbarn, weil ich schon seit Jahren angekettet in der Garage lebe und man mich nur losmacht, wenn ich wieder ein Rennen fahren soll. Am abrupten Ende der Karriere gibt's als Belohnung die Credits mit Bildern der Entwickler - und sonst nichts.

Langes Fazit:

Die Spieldauer der Karriere ist stark davon abhängig, was ich eigentlich auf welchem Schwierigkeitsgrad erreichen möchte. Will ich nur den Abspann sehen, kann ich dies unter zehn Stunden nach etwa 30 Rennen erreichen. Will ich alle Wettbewerbe gewinnen, so können gut und gerne über 25 Stunden vergehen. Mehr als einmal und dann vielleicht ein zweites Mal mit genügend zeitlichem Abstand werde ich die Karriere aber ganz sicher nicht spielen, denn von den schnellen Autos hat man nichts und wirklich neue Streckenvarianten tauchen nach der ersten Spielhälfte auch kaum noch auf.

Der Multiplayermodus ist zwar kurzweilig, macht mir aber wie das restliche Spiel mit den langsamen Autos viel mehr Spaß. Da aber nach jedem Wettbewerb neu abgestimmt wird, welche Fahrzeugklasse als Nächstes gefahren wird, verbrachte ich am Ende mehr Zeit mit der Suche nach der richtigen Partie als mit dem Fahren selbst.

Ja, "GRID" sieht aktuell auf einem schnellen PC besser als jedes andere Rennspiel aus. Aber das ist eben nicht alles und es hätte ruhig ein Bisschen mehr Liebe zum Detail sein dürfen, wie z. B. ein paar Zuschauer in Amerika, die keine Schirmmützen tragen (siehe oben). Überhaupt sehen die Zuschauer alle aus, als hätten sie Hepatitis. Dazu kommt ein Leiden, bei dem es sich um eine Unterart des Tanzbärensyndroms handeln muss: In immer gleichen Bewegungen wird die leere Straße abfeiert.

Es gibt auch immer noch Texturen, die zu schlecht aufgelöst sind und selbst bei Kantenglättung über den ganzen Bildschirm mir immer noch entgegenflimmern, und die konsoligen Anzeigen funktionieren zwar einwandfrei, sind mir persönlich für ihren teils geringen Informationsgehalt jedoch viel zu groß und umgekehrt. Außerdem vermisse ich den virtuellen Rückspiegel und die Möglichkeit auf einem 5:4 oder 4:3 Monitor mit schwarzen Rändern in 16:9 spielen zu können. Ohne Breitbild ist die Cockpitperspektive bei den schnelleren Autos nämlich komplett unbrauchbar, weil ich nur etwa die gefühlte Sicht eines Panzerfahrers habe.

Wer nicht häufig mit virtuellen Autos unterwegs ist, für den ist "Race Driver: GRID" vermutlich genau das Richtige, denn "GRID" ist casual gaming pur! Wie in einem hightech Hollywood Actionfilm gibt es in halsbrecherischer Geschwindigkeit von Anfang bis Ende auf die Nuss und die typischen Frustmomente werden anders als bei einem Spiel mit Lernkurve durch den extrem variablen Schwierigkeitsgrad und das Zurückspulen oft umgangen. Wer sich aber mittlerweile - um beim Vergleich zu bleiben - zum europäischen Film vorgearbeitet hat, der wird nicht umhinkommen, das Spiel als das zu sehen, was es ist: Eine furchtbar seichte Krawallnummer.



  POSITIV:
  - produziert ordentlich FPS
  - Multiplayer technisch OK


  NEGATIV:
  - Überleuchten bei Sonne
  - Unschärfe auf Konsolen
  - nur 16:9 funktioniert gut
  - ziemlich binäre Steuerung
  - Luftkissenboote fahren
  - Fön anstatt Motorenklang
  - Balancing outgesourced
  - gerade mal 15 Strecken
  - viele Exceltabellen u. ä.
  - kaum Rahmenhandlung
  - abruptes Karriereende