MASS EFFECT 3

BioWare

(09.03.2012)

auch veröffentlicht auf
PS3, Wii U und Xbox 360


2011 war für mich mit "Dragon Age II" und besonders dem Prequel "Deus Ex - Human Revolution" das Jahr der völlig unnötig vergeigten Fortsetzungen ganz großer Rollenspiele. Die bange Frage lautete also, würde es BioWare bei "Mass Effect 3" (ME3) nun besser machen?

Spulen wir zunächst ein gutes Jahr zurück: "Mass Effect 2" (ME2) erscheint mit einem Jahr Verspätung für die PS3, der erste Teil ist noch nicht auf der PS3 erschienen [wurde erst Ende 2012 veröffentlicht]. Damals las ich, dass "ME2" für die PS3 bereits die Engine des dritten Teils nutzt, und habe mir erstmal gar nichts schlechtes dabei gedacht. Als ich jedoch vor ein paar Wochen die Demo zu "ME3" spielte, konnte ich meinen Augen nicht trauen, weil besonders die Beleuchtung einfach nur bescheiden im Vergleich zu den Vorgängern war.

Lead Platform PS3

Als dann bei Veröffentlichung von "ME3" bekannt wurde, dass sich das Gesicht des Spielcharakters, wenn es bereits im ersten Teil erstellt wurden, nicht übernehmen lässt (es gibt bisher lediglich ein halbgares Fanworkaround), war mir klar, dass hier aus Kostengründen PC und Xbox 360 die abgespeckte Engine der lead platform PS3 genießen dürfen. Es ist mir unmöglich die richtigen Worte zu finden, um den Grad von Peinlichkeit zu beschreiben, dass für das Gesichtsproblem nicht rechtzeitig eine Lösung gefunden werden konnte, obwohl die Übernahme des Spielstandes von Teil zu Teil seit jeher als eines der elementaren Features angepriesen wird. [Nachdem der Gesichtsimport per Patch nach einem Monat endlich nachgereicht wurde, habe ich die Wertung um einen Punkt angehoben.]

Verschlimmert wird der Grafikschock dadurch, dass die Beleuchtung in der PC Version mit mehreren Lichtquellen während der Dialogsequenzen den Hauptcharakter regelmäßig leichenblaß aussehen lässt und die Gesichter der wichtigsten NPCs eine bessere Textur erhalten haben. Was an der besseren Textur schlimm ist? Ich zitiere einmal John Wendl, den Art Director der "Forza Motorsport"-Serie: "Manchmal, wenn man sehr realistisch aussehende Dinge direkt neben Dingen plaziert, die nicht denselben Realismus erreichen, schadet es mehr, als es hilft". Und ausgerechnet die Hackfresse meines selbsterstellten Alter Egos ist so ein Ding - in jeder einzelnen gottverdammten Dialogszene!

Nach dem schwachen Anfang...

Wenn man über die Grafikböcke und den für mich schwächsten Anfang der Serie hinweg ist, beginnt "ME3" zum Glück im großen Stil seine Stärken auszuspielen. Besonders das noch einmal leicht verbesserte Kampfsystem und die abwechslungsreichen Umgebungen, in denen der Gegner mich oder ich den Gegner manchmal besser flankieren kann als bisher üblich, machen die bewaffneten Auseinandersetzungen für mich zum klaren Highlight des Spiels. Da wundert es dann auch nicht, dass sogar der kooperative Multiplayermodus, den ich als bloße Dreingabe schon abgehakt hatte, jede Menge Laune macht.

Positiv überrascht bin ich auch davon, dass es BioWare gelungen ist, die Talente- und Waffenauswahl - der Hauptcharakter kann nun unabhängig von seiner Klasse jede Waffe benutzen - im Vergleich zu "ME2" wieder etwas aufzubohren, ohne in der aufgesetzten Komplexität, total fummeligen Bedienung und somit letztlich Zeitverschwenung des ersten Teils mit hunderten von Waffen, Verbesserungen, Rüstungen und zehn Bildschirmen langen Inventarlisten zu (ver)enden.

Das ist das Ende

Während der ersten richtigen Mission auf dem Mars beginnt "ME3", wie ich es von der Serie gewohnt bin, seine Story zu entfalten. Es sieht nicht gut für mich und den Rest der Galaxis aus, die Reaper sind tatsächlich da und sie machen keine halben Sachen. Einzig der Bau einer Wunderwaffe scheint Erfolg zu versprechen, doch die Zeit arbeitet gegen uns. Wollen wir überhaupt eine Chance haben, dann müssen wir alle zusammenhalten, was Ceberus in Form meines guten, alten Kumpels Illusive Man aber schon mal grundsätzlich ablehnt.

Wer die Spielwelt bereits kennt, reibt sich nun innerlich die Hände, denn es gilt mehrere Parteien, die sich schon seit Jahrhunderten nicht aufs Fell gucken können und die jede für sich beansprucht im Recht zu sein, an einen Tisch bzw. in eine Flotte zu bringen. Zum Glück ist dabei nicht nur diplomatisches Geschick (oder je nach Vorliebe auch äußerstes Ungeschick) gefragt sondern auch jede Menge Munition, wenn ich z.B. einen General mitten aus einem Kriegsgebiet extrahieren muss.

Nach fünf Stunden...

Diese Euphorie hält etwa fünf Stunden lang an. Dann muss man sich eingestehen, dass "ME3" zwar massig Aktion auf der Pfanne hat, aber sowohl atmosphärisch wie auch erzählerisch nicht ganz an die Vorgänger heranreicht, was in erster Linie daran liegt, dass sowohl persönlich als auch global keine Entwicklung stattfindet. Die Reaper und Ceberus hauen mir in den ersten Minuten aufs Maul und sie hauen mir nach zehn Stunden immer noch aufs Maul. Alle anderen haben mich hingegen viel zu gern, als dass ich noch groß Ärger vom Zaun brechen könnte.

Das Ende der Triologie beschränkt sich zu sehr darauf das Ende zu sein und bringt meinen Spielcharakter teils schon zwanghaft mit allen Figuren (lobenswerterweise auch denen aus Downloadcontents) zusammen, die er jemals zuvor getroffen hat. Nach etwa einem Drittel des Spiels kann man bereits mit ziemlicher Sicherheit am Anfang der Mission vorhersagen, wen man treffen wird. Ich mache mir da nichts vor, viele Spieler woll(t)en genau das, unter Spannung verstehe ich aber etwas gänzlich anderes als z.B. andauernd mit Admiral Hackett oder Anderson die unverändert beschissene Lage zu bequatschen.

Musste es wieder schnell gehen?

Hinzukommen kleine Patzer wie Verschlimmbesserungen: Im Vorgänger konnte sich kaum jemand dafür erwärmen, ewig lange nach Resourcen für bessere Waffen, Rüstungen etc. zu suchen. Nun sucht man ähnlich lange in ähnlicher Fleißarbeit nach War Assets (Artefakte, Schiffe, Armeen), nur um einen platten Punktestand (Spoiler: Wenn Anderson nicht exekutiert wird, reichen 4.000 sonst 5.000 für das "beste" Ende) zu erhöhen. Spektakulär! Ebenso schleierhaft ist mir das Questlog, dass keine Hinweise mehr gibt und daher seiner Funktion beraubt wurde, oder das gesparte Handbuch. Zitat: "Vielen Dank, dass du unsere Anstrenungen unterstützt, die in unseren Produkten enthaltene Papiermenge zu reduzieren." FU!

Zugegeben: Bis hierher war es eigentlich Meckern auf ziemlich hohem Niveau und das Spiel immer noch in Richtung einer hohen 80er Wertung unterwegs, aber selbst wer sich nicht weiter für "ME3" interessiert, hat bestimmt schon gehört, wie viele Fans gegen die angeblich 16 Enden Sturm laufen. Wer Completist ist, braucht gut 20 Stunden, wer einfach nur die etwa 15 Hauptquests erledigt, braucht kaum zehn Stunden, bis er den Abspann sieht. Egal welcher Spielertyp man ist, 20 Minuten vor dem Abspann ist man noch begeistert.

Auf der Zielgerade ruiniert!

20 Minuten später nicht mehr, denn was BioWare hier als Finale präsentiert, ist lächerlich. Lächerlich, weil BioWare nicht einmal ansatzweise in der Lage ist, wenigstens ein Ende zu konzipieren, welches sich die Mehrzahl der Spieler erhofft hat. Lächerlich, weil das Finale nicht nur unlogisch in Bezug auf die Raumflugmechanik, sondern auch in sich selbst ist. Der Gipfel ist, dass Crewmitglieder, die eigentlich halbtot in London herumliegen müssten, sich auf einmal an Bord eines Raumschiffes in der Erdumlaufbahn befinden.

Achtung! Spoilerabsatz: Das Ende mit seinem gekünstelten Überbau (niemand war vor Dir hier, aber ich habe für den Fall der Fälle vor einer Million Jahren zwei kirchenorgelgroße Konsolen gebaut, weil zwei kleine Knöpfe ja nach nichts aussehen - DÖÖHHT!) und der Auswahl blaue, grüne oder rote Scheiße zu essen, ist so unbefriedigend, dass sogar die Theorie existiert, dass die letzten 23 Minuten lediglich im Kopf des Hauptcharakters stattfinden, der nun dem Einfluss der Reaper erlegen ist. Eine Interpretation, die ich total sympatisch fände, wenn nicht auch dies auf die gleiche Logikhürde innerhalb der letzten paar Minuten treffen würde - sprich wer halbtot in London liegt, wandert nicht auf der Citadel Raumstation rum bzw. muss davon abgehalten werden, den falschen Knopf zu drücken.

Fazit:

Nur wer so leidensfähig ist wie ich oder sich wenig aus der Story macht, was ich mir aber irgendwie nicht vorstellen kann, wird "ME3" sofort nach dem ersten Durchlauf noch einmal durchspielen. Otto Normalverbraucher hat sich vielleicht vorher schon zu fünf Stunden Multiplayer aufraffen können, mehr als insgesamt 25 Stunden wird er jedoch in der Regel in dieses Spiel nicht investieren, was "ME3" zum effektiv kürzesten Vergnügen der Serie werden lässt.

Da wir im Zeitalter des Downloadcontent leben (ich tippe fest eingeplant ist seit jeher die Befreiung Omegas), wird die spannende Frage sein, ob BioWare, die von der Heftigkeit ihres Fehlgriffs wohl tatsächlich überrascht sind, die dicke Delle im Lack innerhalb der nächsten Monate tatsächlich noch ausbügeln können und wieviel Geld EA sich dann dafür von den enttäuschten Käufern bezahlen lassen will.



  POSITIV:
  - Kampfsystem verbessert
  - sehr bedrohliche Stimmung
  - kooperative Multiplayer


  NEGATIV:
  - schwacher Abschluss
  - Lead Platform PS3
  - Inhalte für DLCs entfernt
  - katastrophales Ende



Die B-Note:

DLCs - und kein Heilmittel in Sicht! - Nachdem nun BioWare verlauten lassen hat, dass mit dem DLC "Citadel" nach ziemlich genau einem Jahr "ME3" endgültig abgeschlossen wird, wurde es Zeit für einen Kontrollbesuch. Und bevor ich hier gleich durchs Dach gehe, möchte ich sachlich noch loswerden, dass der kostenlose "Extended Cut" zwar tatsächlich die größten Logiklücken stopft, aber das Ende dadurch nur unwesentlich erträglicher wird. Ehrlich gesagt, war das auch nicht zu erwarten, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Nämlich genau hier: Die vier (Kleidungsramsch mal außen vor) kostenpflichtigen DLCs "From Ashes", "Leviathan", "Omega" und "Citadel" bringen es auf keine zehn Stunden Spielzeit und kosten für den PC zusammen satte 40 €, ja für die Leadplattform PS3 sogar unglaubliche 50 € - ey, Jungs, die komplette Triologie gibt's für den PC für 30 € inkl. Porto.

Hat hier noch irgendwer außer mir auf einmal den Geruch druckfrischer Scheine in der Nase?!? Fühlt sich sonst noch irgendwer so, als wenn ihm gerade Hörner und ein Euter gewachsen wären?!? Was mich aber als Fan schmerzt, ist nicht so sehr die Tatsache, dass hier reichlich Asche verlangt wird, sondern dass die fast durchgängig hochwertigen Inhalte zwingend ins Hauptspiel gehört hätten.

Es ist ja nicht nur so, dass ich der Wunschkunde, der das Spiel im Original am Tag der Veröffentlichung erwirbt, erstmal ein Jahr auf das komplette Spiel warten soll (oder meint da irgendwer ehrlich, ich spiele alle paar Monate gern mal einen im Schnitt zweistündigen Happen?!?), sondern "From Ashes" und "Leviathan" sind für die Story der gesamten Triologie extrem wichtig und "Omega" und "Citadel" räumen Aria und Ceberus den Platz ein, der ihnen im "Mass Effect"-Universum gebührt.

Ich bin davon überzeugt, dass man sich mit solchen Geschäftspraktiken langfristig selbst ins Bein schießt. Nach z. B. "Diablo III" und dem Echtgeldauktionshaus verspürte ich bisher keine Lust "StarCraft II - Heart of the Swarm" zu kaufen, ein absolutes Novum bei einem Spiel von Blizzard. Kurzfristig verdienen EA und BioWare sicherlich gut an den relativ wenigen Käufern der DLCs, aber mal sehen, wie die nächsten ein, zwei Veröffentlichungen von BioWare sich innerhalb der ersten Wochen verkaufen. Nach "Dragon Age II" (wo die DLCs zur optischen Auflockerung auch ins Hauptspiel gehört hätten), "Star Wars: The Old Republic" und jetzt "ME3" dürfte der Fanbonus langsam aber sicher aufgebraucht sein.

EA hatte bereits in den 90ern mit z. B. Origin ("Ultima" u. "Wing Commander") und Bullfrog ("Syndicate" u. "Theme Park") Studios mit ganz großen Namen unter seinem Dach und war in der Lage diese innerhalb von etwa sieben Jahren zu Grunde zu richten. BioWare hat jetzt sechs Jahre unter EAs Flagge hinter sich - und es sieht wirklich nicht danach aus, als hätte EA aus früheren Fehlern sehr viel dazugelernt.