DRAGON AGE II

BioWare

(10.03.2011)

auch veröffentlicht auf
PlayStation 3 und Xbox 360


Ein Zwerg wird unsanft in einen Stuhl geworfen. Reden soll er, und zwar schnell, ausspucken soll er alles, was er über den Champion von Kirkwall weiß. Also legt er los und ich finde mich wieder, wie ich je nach Charakterwahl mit meinem Bruder oder meiner Schwester vor Massen von Darkspawn fliehe, um am Ende dann doch von Ihnen eingekesselt und auch noch von einem Drachen besprungen zu werden. Ja, das lief schwer championhaft für mich...

Halt, halt, halt, die religiös wohl etwas verwirrte Seeker of the Chantry ist mit der ersten Version des Zwergs nicht zufrieden. Beim zweiten Mal habe ich gleich zwei sich zankende Geschwister und auch noch meine Mutter am Hacken. Wenigstens platzen die doofen Darkspawn nicht mehr gleich nach einem Schlag, trotzdem suche ich weiter nach Möglichkeiten, die irrsinnige Kampfgeschwindigkeit herunterzufahren, und finde keine. Zum Glück treffen wir auf Verstärkung in Form eines Templers und seiner wehrhaften Ehefrau. Ohne zuviel zu verraten, sind wir am Ende wieder von Darkspawn mit einem Oger im Schlepptau eingekreist worden, nur noch vier von sechs Leuten am Leben und ein Drache kam auch wieder vorbei. Das lief ja viel championhafter für mich...

Bettelarm in Kirkwall

Und so geht es dann auch weiter: Nachdem wir uns nach Kirkwall durchgeschlagen haben, weil alle dachten, wir hätten dort Grundbesitz, stellt sich heraus, dass mein Onkel wohl alles versoffen, verzockt oder beides hat und er als armer Bürger zunächst nichts für unseren Einlass in das mit Flüchtlingen überfüllte Kirkwall tun kann. Einzige Möglichkeit in die Stadt zu kommen, ist sich ein Jahr lang an eine Schmugglerin oder einen Söldnerwerber zu binden, um die Schulden für meinen "Eintritt" abzubezahlen.

Damit endet der Prolog aber nicht meine Probleme. Wenig championhaft wohnen wir in Akt I zu viert auf ein paar Quadratmetern ohne echte Fenster und schlafen in Etagenbetten, die mich fatal an die aus Konzentrationslagern erinnern. Ich habe einen Ruf als Schläger, aber damit hört's auch schon auf. Geld muss also dringend her, am besten gleich viel Geld. Aber wie stelle ich das am besten an, wenn es um meine Bewegungsfreiheit nicht besonders gut bestellt ist. Irgendwie liegen praktisch alle Orte auf meiner Karte immer innerhalb von Kirkwalls Mauern...

Mit der heißen Nadel gestrickt

Zwischen der Veröffentlichung von "Dragon Age: Origins" und "Dragon Age II" liegen gerade einmal 16 Monate, seit "Dragon Age: Origins - Awakening" ist gerade einmal ein Jahr vergangen. Daraus zu schließen, dass alle Arbeiten an dem Spiel innerhalb von zwölf bis 16 Monaten ausgeführt wurden, ist sicherlich falsch, bei allen Dingen, die BioWare nicht als sinnvolle Änderung verkaufen konnte, muss man aber schon davon ausgehen.

Und damit möchte ich es dann gleich auf den Punkt bringen: "Dragon Age II" macht viele Sachen unglaublich gut, bei denen ich so meine Zweifel hatte, aber patzt bei der optischen Abwechslung und Atmosphäre. Die Erweiterung "Awakening" bringt in etwa einem Drittel der Spielzeit mehr und ausgereiftere Grafiksettings unter und Teil 1 schafft es besonders in den Deep Roads des ehemaligen Zwergenreichs eine Bedrohung und Verlorenheit zu erzeugen, wie man sie in Teil 2 zu keinem Zeitpunkt spürt. Meine Theorie: Aufgrund der parallelen Entwicklung von "Star Wars: The Old Republic" fehlt es BioWare schlicht an Manpower.

Recycling in Ehren, aber...

Die optische Abwechslung leidet im Besonderen dadurch, dass Umgebungen recycled werden und man sich etwa 80 % der Spielzeit in ein und derselben Stadt aufhält. Zwar ist diese in verschiedene Bezirke aufgeteilt, die durchaus ihre Unterschiede besitzen, aber die Gestaltung wirkt halbherzig. Einerseits fehlt es den meisten Bezirken an einem sinnvollen Ausmaß, Struktur und Eyecatchern, andererseits sind gerade die lethargischen NPCs, mit denen keine Interaktion möglich ist, in viel zu geringer Anzahl irgendwo hingeklatscht worden, um besonders zu Beginn das Gefühl aufkommen zu lassen, dass die Stadt gerade durch einen Flüchtlingsansturm aus allen Nähten platzt.

Atmosphärisch steht Teil 2 besonders deswegen blöd da, weil er die Tendenz hat, alles in Häppchen zu präsentiert. Da die Zonen so klein sind (Sonys PlayStation 3 hat nur 256 MB RAM, also 1/8 der empfohlenen RAM Menge für den PC), wollte man wohl im Gegenzug die Auswahl, was man wann wo macht, offener als im Teil 1 gestalten. Gut gedacht, ist jedoch nicht automatisch gut gemacht, denn nun kann es einem passieren, dass man ein Dutzend Quests je zur Hälfte macht und ohne das Questlog gar nicht mehr weiß, was überhaupt Sache ist. Eine Verfolgungsjagd, die von mehreren Stunden unterbrochen wird, fühlt sich dann entsprechend kaum noch als solche an.

Konsolenversion in hässlich

Zur Ehrenrettung von BioWare und um zu zeigen, was die bei Electronic Arts doch machmal für Füchse sind, sei jedoch erwähnt, dass pünktlich zum Release für den PC hochauflösende Texturen heruntergeladen werden konnten. Natürlich hätten diese auch auf die DVD gepasst und in den Testversionen enthalten sein können, aber so gab es weniger Gründe, die PC Version zu erwerben, wenn man eine PS3 und/oder Xbox 360 besitzt.

Und wenn ich schon beim Loben bin, dann muss ich hier mal eine Lanze für all das brechen, was ausschließlich negativ als Verringerung der Komplexität durch den Kakao gezogen wurde. Einer der häufigsten Kritikpunkte: Der Hauptcharakter verfügt über zehn Ausrüstungsslots, die Begleiter jedoch lediglich über sechs. Kopf, Rumpf, Arme und Beine können nicht individuell bestückt werden, sondern lediglich über Upgrades, die man entweder beim Händler kaufen kann oder während bestimmter Quests erhält. Ebenso sind die Talentbäume in sich vereinfacht und es stehen pro Charakter weniger Talentbäume zur Verfügung.

Individuelleres Design

Für all die Itemschubser tut es mir an dieser Stelle leid, aber ich finde es Klasse, dass meine Begleiter auch im späteren Spielverlauf weiterhin auf den ersten Blick zu erkennen waren und nicht im Kampfgetümmel in ihren generischen Outfit untergingen. Außerdem erinnere ich mich noch sehr gut daran, wie ich aus der Flut an Talenten (z.B. allein zwölf nur für Zweihandwaffen gepaart mit verschiedensten Voraussetzungen) des ersten Teils versuchte die sinnvollen herauszupicken und mich dann trotzdem selbst nach dem ersten Durchspielen noch so derbe verskillte, dass der eine Damagedealer gerade mal ein Viertel des Outputs des anderen hatte.

Ähnlich sieht es bei den deutlich beschleunigten Kämpfen aus: Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass ich die langsameren, aber realistisch wirkenden Kämpfe des Vorgängers dem aktuellen Hochgeschwindigkeitsbodenturnen vorziehe, aber gerade wenn man persönlich der Meinung ist, dass dies nun wirklich ein Kampf zuviel des Guten war (und das ging mir in Teil 1 in einigen Abschnitten so), dann ist es nun angenehm, dass man sich wenigstens nicht zwingend mehrere Minuten damit aufhalten muss.

Was ist wichtig?

Und dann die isomerische Perspektive: Ach Gott, ja, was habe ich die oft genutzt (so gut wie nie), also ich weiß gar nicht, was ich ohne die nun machen soll. Ich wusste auch nicht, dass sich die Käufer von "Diablo" und "Dragon Age" so sehr überschneiden, dass die Perspektive zum kaufentscheidenen Kriterium werden könnte. Ich bestreite nicht, dass sich hin und wieder ein Flächenzauber noch etwas besser aus dieser Perspektive auslösen lässt, aber näher an der Spielfigur bedeutet einfach auch viel mehr mittendrin statt nur dabei.

Alle übrigen Unterschiede sind etwas für die Typen mit der Lupe. Mir persönlich hat die melanchonische Musik besser gefallen, als die nun manchmal fanfarenartige Untermalung, dafür spricht auch der Hauptcharakter nun und dies ist mir zehnmal wichtiger, weil er jetzt nicht immer wie das fünfte Rad am Wagen in der Kreismitte steht und alle anderen abwechselnd anschaut. Auch die Handlung des ersten Teils war an sich besser, was zum einen an den sechs verschieden Originsstories lag, aber besonders weil man im großen Mittelteil weitgehend freie Hand hatte und nicht wie in Teil 2 aufgrund von zwei Zeitsprüngen deutlich linearer seine Quests abarbeitet.

Grey Warden Story II

Im Gegenzug bleiben aber nicht zuletzt wegen dem verbesserten Questlog auch deutlich weniger Quests aus Versehen liegen bzw. man läuft sich keinen Wolf und die Handlung entwickelt sich weniger vorhersehbar. Wer eine direkte Fortsetzung oder Wiederholung der Grey Warden Story wollte, wird sicherlich schlecht bedient. Aus meiner Sicht wäre der Spielwelt "Thedas" damit jedoch ein Bärendienst erwiesen worden, denn dann wäre sie auf alle Zeit nur auf einen einzigen Aspekt festgenagelt worden - und die Darkspawn Invasion gehört nun mal nicht zum Tagesgeschäft.

Mit der Aufwertung des Hauptcharakters und dem Fehlen des Weltuntergangs geht natürlich einher, dass sich die Begleiter und ihre Motivationen verändern, sprich man zieht weniger an einem Strang. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Schreiber hier einen guten Job gemacht haben und bis auf den unerreichbaren Alistair das Niveau des Vorgängers halten, ja bei der Bandbreite der Charaktere sogar eher einen drauflegen, indem nicht mehr die Hälfte instabil und so bedrohlich wirkt, dass man fürchtet, sie könnten einen jederzeit in den Rücken fallen.

Fazit:

Partyrollenspiele westlicher Prägung sind zugunstern dieser unsäglichen "ich mach sie alle im Alleingang platt"-Spiele mittlerweile so selten geworden, dass "Dragon Age II" trotz so einiger Macken in diesem Jahr praktisch konkurrenzlos am Markt ist. Wer "Dragon Age II" unbedingt hassen und meiden will, der wird auf Facebook sicherlich seine Abscheu organisieren können.

Allen anderen möchte ich trotzdem einen etwa 40 Stunden langen Durchlauf empfehlen, auch wenn "Dragon Age II" ohne jede Frage nicht an seinen überragenden Vorgänger herankommt und man einige Areale nach dem Spiel nicht noch einmal sehen möchte.

Und ganz klar: Es wäre natürlich schön, wenn EA beim nächsten Mal nicht wieder lediglich die B-Mannschaft von BioWare mit halber Kraft werkeln lässt, sondern einfach solange mit der Veröffentlichung wartet, bis das Spiel tatsächlich fertig ist.



  POSITIV:
  - sehr gute Sprecher
  - unverbrauchte Geschichte
  - gute KI Begleiter
  - gutes Kampfsystem


  NEGATIV:
  - übelstes Levelrecycling
  - lethargische NPCs
  - alles in Häppchen