PILLARS OF ETERNITY

Obsidian Entertainment

(26.03.2015)

auch veröffentlicht auf
PS4, Switch und Xbox One


Um nicht zu riskieren, am Ende dreimal hintereinander schlechte exklusive PS4 Spiele zu rezensieren, habe ich nach "Knack" (2013) und "The Order: 1886" (2015) lieber erst einmal das große Kickstarter Projekt "Pillars of Eternity" weitergespielt. Zwar empfand ich die "Baldur's Gate: Enhanced Edition" (2012) auf ihre Art ja auch nicht als die Offenbarung, aber verschiedene "let's play" Videos von "Pillars of Eternity" machten einen wirklich guten Eindruck, also bin ich über meinen Schatten gesprungen.

Leider habe ich mich vor dem Kauf bezüglich der Releaseversionen nicht ausreichend informiert und so ist mir eines der ganz wenigen aktuellen Spiele mit einem gedruckten, 80-seitigen Handbuch entgangen, weil ich mir etwas günstiger online einen Steamkey geschossen habe. Das ist jetzt schon ein Bisschen ärgerlich, besonders weil das Onlinehandbuch nur auf Englisch vorliegt, aber das will ich dem Spiel nicht anlasten, da ich ohnehin auf Englisch gespielt habe, weil keine deutsche Sprachausgabe existiert und mich deutsche Schrift zur englischen Sprache nur verwirrt. Allerdings hat mir "Pillars of Eternity" dann auch deutlich die Grenzen meiner Kenntnisse der englischen Sprache aufgezeigt - der Griff zum Wörterbuch blieb also nicht aus.

Verständliches Regelwerk sinnvoll implementiert

Eine der wirklich grauenvollen Erfahrungen mit der "Baldur's Gate: Enhanced Edition" war, wie ich in den ersten Spielstunden auf Charakterstufe 1 immer wieder von praktisch jedem beliebigen Monster totgeschlagen wurde. Ich atmete also sofort innerlich auf, als ich sah, dass "Pillars of Eternity" meinen Helden mit einer sinnvollen Anzahl Hitpoints ins Abenteuer schickte und auch die ganzen Charakterwerte weit weniger kryptisch waren als solche Angaben wie THAC0 oder Medium Shield +1: -2. Und wenn ich mir doch nicht sicher war, so wurde auf einen einfachen Rechtsklick der jeweilige Wert erläutert.

Auch die ersten Kämpfe gehen ohne jahrelange Erfahrung im klassischen Partykampf gut von der Hand und das Konzept der verstohlenen und aufmerksamen Fortbewegung (gemeinhin als Stealth und Scouting bekannt) wurde mir so fließend vermittelt, dass ich zu keiner Zeit den Eindruck hatte, ich befinde mich jetzt in der Tutorialphase. Allerdings erschlägt "Pillars of Eternity" am Start den eher unbedarften Spieler bei der Charakterauswahl, aber vielleicht ist das auch ein Stück weit unvermeidlich innerhalb eines Rollenspiels, in dem sich die elf Klassen und dann möglichst noch Charaktere innerhalb der selben Klasse deutlich voneinander unterscheiden sollen.

Begleiter führen in die Irre

Das Salz in der Suppe eines jeden Partyrollenspiels waren seit jeher die Begleiter, die sich dem eigenen Hauptcharakter anschließen können, über eine eigene Geschichte verfügen und sich auch gern mal ungefragt zu Wort melden. "Pillars of Eternity" hat insgesamt acht coole Typen am Start und deckt dadurch die Charakterklassen Druide, Krieger, Medium, Paladin, Priester, Sänger, Waldläufer und Zauberer ab, während ich für den Barbar, Mönch und Schurken schon irgendwie selbst sorgen muss.

Dumm ist nur, dass ich lediglich drei der ausgearbeiteten Begleiter (Krieger, Priester u. Zauberer) sehr früh rekrutieren kann und ich auch keinen Hinweis darauf erhalte, wann und wie ich weitere treffe, aber das Spiel in meinen Augen von Anfang an auf eine Party in voller 6er Besetzung ausbalanciert ist - was ich dann auch auf die ganz harte Tour lernte. Oder anders ausgedrückt: Für einen rechtzeitigen und deutlichen Hinweis, dass ich in die nächste Taverne zu gehen habe, um mir dort zwei weitere Abenteuer zu schnitzen, wäre ich irre dankbar gewesen.

Immer an den nächsten Kampf denken

Wenn man sich etwas eingefuchst hat, machen die Kämpfe großen Spaß, weil sie wirklich irre Tiefgang besitzen. Auch wenn es etwas dauert, bis man abschätzen kann, ob die Nahkämpfer eine Stelle sicher abriegeln können, und noch etwas länger, bis man jeden seiner Mitstreiter im Getümmel auf Anhieb erkennt, obwohl man Teile der Rüstung jedes Charakter individuell einfärben kann. Witziger Weise wußte ich erst wie gut das Kampfsystem wirklich ist, als ich den gleichen Kampf ein paarmal hintereinander verloren habe.

Bei der ersten Begegnung in einem neuen Gebiet war ich mir ziemlich sicher, ohne Level Up wird das nichts mehr, denn es gelang mir nicht, auch nur einen der Gegner auszuschalten. Aber beim fünften Mal habe ich vor allen Dingen die einzelnen Kämpfer weiter voneinander entfernt aufgestellt, so dass die Gegner KI Flächenschäden nicht so attraktiv fand und das Blatt wendete sich doch noch. Allerdings sollte man sich an Pseudorealismus nicht stören. Zwar heilen Wunden nur im Schlaf, aber schlafen kann ich direkt vor der Tür des Bossgegners, der nicht mal kurz rausguckt, während wir acht Stunden schnarchen.

Man kann die Zeit nur bedingt zurückdrehen

So gut die Grafik im Vergleich zu den Vorbildern Ende der 90er natürlich ist, die starre isometrische Darstellung in Verbindung mit den eher behäbigen Kämpfen hat zwei weitere ganz große Nachteile. Zum einen ist die Grafik nicht besonders atmosphärisch, obwohl sie genau dies verzweifelt sein will, aber da ist einfach zu viel Abstand zu den eigenen Figuren. Besonders Gefühle wie Furcht wie etwa im Sumpf bei "The Witcher" (2007) wollen so gar nicht aufkommen, egal wie dick oder ekelig die Monster sind oder wie viele Leichen noch in irgendwelchen Becken gefüllt mit Blut herumliegen.

Zum anderen sagt ein Blick für mich spätestens seit "Mass Effect" (2007) auch bei Videospielen mehr als 1.000 Worte. Es gibt ohne Frage ganz viele Stellen in denen die langen Beschreibungen von Obsidian Entertainment einen mindestens so guten Job wie High End Grafik machen, aber während Unterhaltungen, die völlig zufällig vertont sind oder eben nicht, wird es mir einfach zu viel. Da wird jede Geste ausufernd beschrieben, geradezu seziert, und am Ende fühle ich mich doch, als wenn da stehen würde: "Er fickte wie ein Mann mit einem großen Penis."

Mainquest

Es gibt viele Sachen, bei denen ich am Ende sagen würde, dass "Pillars of Eternity" etwas mehr Punkte liegen lässt, als notwendig gewesen wäre, aber für mich persönlich trifft dies am meisten auf den Haupthandlungsstrang zu, der eng mit meinem Hauptcharakter verwoben ist. Schon früh im Spiel, fange ich mir einen Fluch ein, der mich droht in den Wahnsinn zu treiben - und es könnte mir nicht egaler sein. Viele Nebenquest, wie z. B. die, in der ein kleiner Junge getötet wird, weil er eine Prostituierte verteidigen wollte, fand ich echt ergreifend.

Aber was mit mir, meiner Festung und genaugenommen der gesamten Speilwelt passiert, ist mir egal, denn in der Spielregionen Eastern Reach bin ich Ausländer. Und da Obsidian dies auch tatsächlich so umsetzt, habe ich mich bei einigen Quests gerade zu Anfang dann schon gefragt: "Meinen die ausgerechnet mich? Soll ich jetzt mit Level 2 in eine gut bewachte Burg eindringen?" Am Ende fehlte mir die Motivation mich noch eine weitere Stunde bis zum Endkampf durchzuschlagen. Es war nicht ganz so schlimm wie vor einem halben Jahr bei "Dragon Age: Inquisition" (2014), aber wie immer das götterschwangere Gefasel sich am Ende für meine Figur auflöst, ich werde es nicht erfahren.

Fazit:

"Pillars of Eternity" ist mir persönlich zu old school. Ich kann objektiv die vielen Qualitäten des Spiels ausmachen und es gefällt mir ganz eindeutig viel besser, als die ganzen weichgespülten Rollenspiele für den europäischen und amerikanischen Massenmarkt, aber in die Nähe der für mich besten Rollenspiele "Ni no Kuni" (2013), "Dragon Age: Origins" (2009) oder des schon erwähnten "The Witcher" kommt es nicht. Trotzdem würde ich eine gleichwertige Fortsetzung kaufen.

Bei den Angaben zu den Harwareanforderungen ist Obsidian Entertainment in meinen Augen übervorsichtig gewesen. Das Spiel lief bei mir in Full HD ohne Einbußen auf lediglich zwei Core 2 Kernen und inkl. Steamclient wurden unter Windows 7 64 keine 3 GB RAM genutzt. Und wer nicht zwingend Full-Scene Antialiasing braucht, erreicht bereits mit den frühen DirectX 10 Grafikkarten wie Radeon HD 4850 oder GeForce 8800 GT sehr gute Ergebnisse.



  POSITIV:
  - sehr tiefes Spielsystem


  NEGATIV:
  - zu old school
  - Kamera zu weit weg
  - zu unpersönlich