THE WITCHER 2
Assassins of Kings

(17.05.2011)

CD Projekt RED

auch veröffentlicht auf
Xbox 360
sowie Xbox One X Enhanced


Manchmal frage ich mich, ob Unfähigkeit nicht das zentrale Problem der Menschheit ist. Da hat CD Projekt RED eines der zehn meisterwarteten Spiele für 2011 auf der Pfanne und kommt auf die Idee als Kopierschutz eine Onlineaktivierung zu verwenden, ohne aber für eine Serverstruktur zu sorgen, die auch tatsächlich den Ansturm eines weltweiten Release verkraftet. Gut, dass auf den Servern außerdem noch das polnische Sprachpaket, der erste kostenlose Downloadcontent und die Bonusgegenstände lagern und der Launcher bei dem Versuch einen Downloadcode zu verwenden anstatt "keine Verbindung" lieber "falscher Code" meldete.

Im schlimmsten Fall (es gibt als Zugabe noch einige Probleme mit fehlenden C++ Komponenten) konnten also schon mal ein paar Tage vergehen, bis man "The Witcher 2" tatsächlich zum Laufen brachte, nur um als Fan des Vorgängers "The Witcher" (2007) festzustellen, dass man zwar ein PC Spiel erworben, aber eigentlich eine Konsolenfassung erhalten hat. Ich verstehe durchaus, dass man schon früh in der Planung einige Kompromisse bei einem Multiplattformtitel eingehen muss, aber für den Xbox 360 Release gibt es nicht mal ein konkretes Datum, geschweige denn eine Ankündigung für die Playstation 3, da wird mir schon ein Spiel verkauft, das komplett darauf ausgelegt wurde, mit einem Gamepad bedient und vom Sofa aus gespielt zu werden.

Bedienung für Panzerfans

Die Bedienung war schon in der Ursprungsversion des ersten Teils ein ziemlicher Klops und brauchte fast ein Jahr intensives Bugfixing. Nun treffe ich auf ein dermaßen durchgestyltes Interface, dass ich mir keine Hoffnungen mache, dass es nach einigen Patches zu konzeptionellen Änderungen kommen wird. Sprich: Mit der Übersichtlichkeit des Inventars bzw. Händlermenüs auf dem Niveau eines Panzerfahrers und mit den plumpen Hotkeyhinweisen (wie z.B. hier springen, hier klettern) an jeder Ecke werde ich mich wohl für immer arrangieren müssen.

Noch ärgerlicher ist jedoch, dass die Fortsetzung nicht etwa das absolut geniale, taktische Kampfsystem des Vorgängers übernimmt, sondern ein schnelles aber eher simples 08/15 Kampfsystem bietet, wie man es in den letzten zehn Jahren schon dutzende Male etwa in "Elder Scrolls", "Gothic"/"Risen" oder auch "Two Worlds" implementiert gesehen hat. Wer den ersten Teil nicht, aber dafür die anderen Spiele ausführlich gespielt hat, ist deshalb klar im Vorteil im Vergleich zu mir, weil er sofort klarkommt. Ich habe in Anlehnung an den ersten Teil fast zehn Stunden gebraucht, ehe mir klar wurde, dass ich tatsächlich zweimal in der Sekunde eine Angriffstaste klicken muss und im Kampf gegen mehrere Gegner nach spätestens drei Schlägen zunächst den außerhalb meines Sichtbereichs lauernden Gegner in meinem Rücken beschäftigen sollte, wenn mir mein virtuelles Leben lieb ist.

Einfach nur beeindruckend!

Diese zwei in meinen Augen recht elementaren Böcke sind um so ärgerlicher, weil "The Witcher 2" nicht nur wie von mir erhofft eine Story zum Niederknien bietet, die in ihrer Komplexität und bei der Ausarbeitung gleich eines knappen Dutzend von Charakteren alles übertrifft, was in einem Computerspiel jemals geboten wurde, sondern auch tatsächlich auf einer Grafikkarte der aktuell unteren Mittelklasse wie der GeForce GTX 460 so unglaublich gut aussieht, dass man versucht ist, gleich von mehreren eigenen Screenshots Poster zu bestellen.

Erstaunlich ist dabei, dass die Grafik nicht durch eine Engine mit DirectX 10 oder gar neuester DirectX 11 Technologie beeindruckt, sondern vor allen Dingen dadurch in ihren Bann zieht, dass es den Leveldesignern ganz anders als BioWare in "Dragon Age II" durchgehend gelingt ein Fantasymittelalter sowohl landschaftlich und architektonisch als auch bezüglich der Kleidung der Figuren zu modellieren, wie es kaum realistischer aussehen könnte. Manchmal geht dieser Pseudorealismus in meinen Augen zwar etwas zu weit, etwa wenn ein unrealistischeres Ausmaß einer Höhle oder eines Stollen die Kämpfe darin deutlich erleichtert oder zumind. übersichtlicher gestaltet hätte, aber trotzdem gebührt dem Grafikteam, auch wenn nicht jede Animation sitzt, standing ovations für ihr Werk.

Gleiches gilt eigentlich auch für die Soundmannschaft, die nur ganz selten aber dafür dann richtig heftig zur falschen Musik gegriffen hat. Leider sind die Jungs am Ende schlicht und ergreifend an der Mammutaufgabe der Qualitätskontrolle gescheitert, jedes einzelne Sample der fünf Sprachversionen Englisch, Deutsch, Russisch, Französisch und Polnisch - und wir reden hier von vermutlich je rund 15 Stunden Sprachaufnahmen (zehn Filme!!!) - auf die richtige Lautstärke gegenüber Musik und Geräuschen abzustimmen. Bis ein Patch hier Abhilfe schafft, bleibt nur die Möglichkeit, die wunderschöne Musik vorsichtshalber stark runterzuregeln.

Nahtlos weitergemacht!

Doch zurück zur Story: Hier zeigt "The Witcher 2" besonders erneut im Vergleich zum zwei Monaten früher veröffentlichten "Dragon Age II", wie man eine Fortsetzung strickt, die durch die "2/II" im Namen keine falschen Erwartungen weckt. Die Geschichte knüpft nur einen Monat nach dem Ende des Vorgängers an und mit anknüpfen meine ich nicht, dass da irgendwo ein einzelner Faden von dem aufgenommen wird, was Hauptfigur Geralt von Rivia im Vorgänger erlebt hat, sondern, wie zuvor nur in "Mass Effect 2" (2010) erfolgreich realisiert, dass die komplette Welt weitergesponnen wird und ihre Facetten noch stärker ausgeleuchtet werden.

Wie üblich ist es schwer, etwas über die Geschichte zu erzählen, ohne massiv zu spoilern, aber es darf sicherlich erwähnt werden, dass man nun wesentlich mehr Informationen über den Zusammenschluss der Magierinnen erhält, endlich etwas von Wert zu dem Phänomen "Die Wilde Jagd" erfährt (mein Wunsch wäre hier in Teil 3 den Schwerpunkt zu setzen) und Geralt in diesem Zusammenhang große Teile seines Gedächtnisses wiedererlangt. Überhaupt wird diesmal im Verlauf der Handlung wesentlich deutlicher, über welches enorme Fachwissen Geralt bezüglich seiner Profession als Monsterjäger bzw. Exorzist verfügt.

Den Schreibern des CD Projekt Teams gelingt es dabei erneut, fast vollständig auf Klischees (es sei denn, es bietet sich einfach zu sehr für einen Witz an) zu verzichten und ohne platte Schwarzweißmalerei auszukommen. Natürlich gibt es viele Figuren, die sofort eher positiv rüberkommen, oder Charaktere, denen ich am liebsten gleich die Zähne möglichst tief in den Hals schieben möchte, aber selbst diese sind keine motivationslosen, eindimensionalen Trottel, sondern haben Gründe für ihr Verhalten, die oft über Vorhersehbares wie mehr Macht, mehr Geld und/oder mehr Sex hinausgehen.

Licht und Schatten

Positives gibt es auch für die Itemschubserfraktion zu berichten: "The Witcher 2" bietet nicht mehr nur einen Körperrüstungs- und - nennen wir ihn mal besser - Talismanslot, auch Handschuhe, Stiefel und Hose lassen sich nun individuell bestücken. Zum Glück muss ich persönlich sagen, hat man es weiterhin mit einem sinnvollen und übersichtlichem Maß an Gegenständen zu tun, so dass es nicht zur wichtigsten Heldenaufgabe wird, das Megatötschwert zu finden, dass wenig glaubhaft bei einem Bauern seit acht Generationen auf dem Heuboden lagert und gegen die Ausrottung aller Kakerlaken in der Küche und Beschlafung aller weiblichen Familienangehörigen bereitwillig an uns abgetreten wird.

Nicht ganz so perfekt sieht es bei der Balance aus: Auch während des zweiten Anlaufs ist mir beim besten Willen keine Möglichkeit eingefallen, wie ich die Anzahl meiner Bildschirmtode zwischen dem Charakterlevel 6 bis etwa 13 drastisch reduzieren könnte, da ich praktisch talentfrei häufig gegen Gruppen von Gegnern antrete, die sehr schnell in meinen Rücken gelangen und dort 200 % Schaden anrichten, und andererseits gegen mind. vier sehr starke Einzelgegner zu kämpfen habe, für die mir während der längeren Auseinandersetzungen (ich streichel die Gegner zu Tode) vor allen Dingen die Nehmerqualitäten fehlen, um auch mal ein paar Schläge mehr einstecken zu können.

Probleme mit der Skillung

Schade ist auch, dass es zwar in der Charakterentwicklung drei Spezialisierungen (Schwertkampf, Alchemie und Magie) gibt, sich mit der Alchemie aber kein Blumentopf gewinnen lässt. Das liegt zum einen daran, dass man Tränke nicht mehr während des Kampfes einwerfen kann, sondern im Voraus trinken muss, was mangels hellseherischer Fähigkeiten meinerseits zu Try, Error und Savegame laden führte, andererseits die erhaltenen Boni viel zu marginal sind. Wenn ich etwa mit Hilfe eines Skills in der Mitte des Alchemieskilltrees (frühestens auf Charakterlevel 13 erreichbar) alle Waffenöl um 35 % verbessern kann, bedeutet dies etwa bei einem Öl, das ursprünglich 10 % mehr Schaden ermöglicht, dass ich nunmehr bei insgesamt 113,5 % Schadensoutput bin. Wohlgemerkt für ganze drei Minuten und 45 Sekunden...

Wenn ich im Schwertkampfbereich aber bereits mit Level 10 den Schwertschaden um 20 % verbessern kann, liege ich schon bei 120 % und kann die Zutaten, die ich ansonsten für das Öl bräuchte, auch noch zu Geld machen. Hinzukommt etwas, was für mich schon in Richtung Bug geht: Während der Dialoge tickt die Uhr für Tränke, Öle und andere Buffs gnadenlos weiter runter. Dies führt an einigen Stellen in denen Dialoge direkt in Kämpfe übergehen dazu, dass lediglich durch punktgenaues Einnehmen direkt vor dem Dialog überhaupt noch etwas von der Wirkung des Trankes über ist. Natürlich kann man sich damit behelfen, dass man erst speichert, dann redet, wieder läd und nochmal den Dialog in Rekordzeit durchklickt, aber das ist doch wohl nicht Sinn der Sache.

Dumme Patzer!

So sehr mich der Inhalt der Verpackung mit seinem rund 30 seitigem Handbuch und fast 100 seitigem, sehr gut geschriebenen Lösungsbuch erfreut, so sehr habe ich mich darüber geärgert, dass ich aus manchen Dialogen nicht entnehmen konnte, was ich denn nun als Nächstes konkret tun sollte. Normalerweise hilft in solchen Situationen dann das Questlog weiter, aber es gibt einige, wenige Fälle in denen nicht mal der Kunstgriff zum Questlog etwas brachte. So soll ich z.B. vier unterirdische Monsternester zerstören. Hinweise, wie das gehen soll, gibt es gleich mal gar keine. Es irgendwann mit Bomben zu versuchen, ist noch relativ naheliegend, das genau eine Sorte Bomben die Lösung ist, dann wieder nicht.

Ganz unglücklich ist ein Patzer, der eher dem Marketing als der Realität geschuldet ist. "The Witcher" besteht aus fünf Akten eingebettet in einen langen Prolog und kurzen Epilog. "The Witcher 2" besteht lediglich aus Prolog, Epilog und zwei Akten. Zwei im Vergleich zu fünf klingt in keinem Preview gut, es musste mind. eine drei her, also wurde der Epilog etwas aufgeplustert und zum dritten Akt erhoben, was natürlich nur solange funktioniert, wie keiner den dritten Akt tatsächlich spielt, denn dann fällt schnell auf, dass dort keine zehn Stunden oder mehr Spielzeit auf einen warten, sondern lediglich drei. Und psychologisch ist mal klar, dass ein Epilog, der länger dauert als angenommen, besser ankommt als ein Akt, der sich als sehr kurz herausstellt.

Fazit:

Ich kann es drehen und wenden wie ich will: Am Ende kann ich "The Witcher 2" nicht besser bewerten als seinen Vorgänger. Trotzdem würde ich den Kauf von "The Witcher 2" jedem Rollenspieler nahelegen. Dies liegt nicht in erster Linie daran, dass ich (gegen alle Wahrscheinlichkeit) hoffe, dass CD Projekt in den nächsten Monaten per Patch die Qualität noch steigert, sondern weil "The Witcher 2" bei der Grafik allen Spielen gleichen Baujahrs davonläuft und bei der Handlung schlichtweg neue Maßstäbe setzt.

Als Spieler kann ich in "The Witcher", "Dragon Age: Origins" (2009) und "Mass Effect 2" zwar größeren Einfluss darauf nehmen, welche Personen mir wohlgesonnen sind, wesentliche Unterschiede im Spielablauf ergeben sich aber nicht. "The Witcher 2" geht einen ganzen Schritt weiter und präsentiert mir ab Ende des ersten Aktes zwei völlig unterschiedliche Sichtweisen der weiteren Geschichte, weil ich nur von den Leuten alle Informationen erhalte, mit denen ich dicke bin. Zwar gibt es einige Überschneidungen, aber auch viele Abschnitte und Quests, die ich beim einmaligen Durchspielen erst gar nicht zu sehen bekomme.

Außerdem ist CD Projekt RED einfach die Firma, die es zu unterstützen gilt. Während Electronic Arts sich mittlerweile schon eine andere Farbe auf dem Cover als Sondereditition bezahlen lässt, gibt es hier zusätzlich zu Spiel und Anleitung ohne Aufpreis eine Making-Of DVD, den offiziellen Soundtrack zum Spiel auf CD, eine Weltkarte, ein Lösungsbuch, zwei Papercraftbögen, einen Brief und eine verfluchte Münze. Und es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass wie beim Vorgänger wieder alle Downloadable Contents für lau auf die eigene Festplatte wandern und man - ohne den Publisher zu fragen - dessen DRM rausgepatcht hat, hahaha.

Wie schon beim ersten Teil veröffentlichte CD Projekt elf Monate nach dem ursprünglichen Release eine Enhanced Edition. Verglichen mit der Ursprungsversion sind die Änderungen diesmal weniger dramatisch und bewegen sich mit einigen zusätzlichen Quest, leicht verbesserter Bedienung und zusätzliche Ein- und Überleitungen eher auf Patchniveau. Leider enthält die Schachtel gegenüber der ursprünglichen Verkaufsversion nur halb so viele Extras und ist auch nur halb so dick, kostet aber derzeit das Doppelte. PC Spieler kaufen also lieber das Ursprungsspiel und ziehen sich das mindestens elf Gigabyte große Update.

Wesentlich interessanter ist die Veröffentlichung der Enhanced Edition und damit die Erstveröffentlichung von "The Witcher 2" für die Xbox 360. Wie schon erwähnt verfügte das Spiel von Anfang an über konsolige Züge, was dem Spiel nun aber zu Gute kommt. Die Bedienung mit dem Gamepad schlägt für mich klar die Bedienung mit Maus und Tastatur. Über die Grafik möchte ich nur soviel sagen: Die Xbox 360 Hardware kämpft, aber die Engine und das Design knallt einfach alles weg, was auf Konsolen der damaligen Generation bisher zu sehen war.

Fast ebenso beeindruckend ist die Soundkulisse, die zwar vereinzelt immer noch mit zu leisen Sprachsamples aufwartet, aber in CD Qualität vorliegt. Sollte eigentlich logisch sein, werden jetzt einige denken, doch wer z.B. "Kingdoms of Amalur: Reckoning" (2012) gehört hat, dessen Samplequalität reduziert ist, damit neben dem Kopierschutz noch alles auf eine DVD passt, weiß, dass man auf der Xbox 360 in dieser Richtung schon mal ganz, ganz böse Überraschungen erleben kann.

Hinweis:
Die sog. Xbox One X Enhanced Version in 2.160p, die sich Besitzer des Xbox 360 Originals kostenlos herunterladen können, wird von Digital Foundry als technologisches Meisterwerk auf Grundlage eines technologischen Meisterwerks gepriesen. Wer "The Witcher 2" nicht auf PC spielen kann, sollte daher unbedingt zu dieser Version greifen.



  POSITIV:
  - unglaubliches Design
  - unglaubliche Grafik
  - zwei Geschichten in einer


  NEGATIV:
  - 08/15 Kampfsystem
  - Balancingprobleme
  - maues Interface