F1 2010

Codemasters
Birmingham

(23.09.2010)

auch veröffentlicht auf
PlayStation 3 und Xbox 360


Zwei Monaten nach der Veröffentlichung bin ich mit meiner Kritik etwas spät dran, aber da ich den ersten Patch unbedingt abwarten wollte (u. a. DirectX 11 Unterstützung), ging es einfach nicht schneller. Codemasters hinterließ bei mir zuletzt immer wieder einen zwiespältigen Eindruck (z. B. 2008 mit "Race Driver: GRID") und so war ich gespannt, wie groß die Katastrophe beim ersten F1 Spiel auf dem PC seit Jahren werden würde, nachdem der von Sumo Digital entwickelte Vorgänger 2009 für PSP und Wii erschienen war.

Und ich denke nichts könnte geeigneter für dieses Vorhaben sein, als die Anleitung mit dem zu vergleichen, was man dann tatsächlich im Spiel vorfindet. So heißt es: "Nimm Platz hinter dem Steuer der großartigsten Autos der Welt und rase Rad an Rad mit der Konkurrenz über alle 19 Kurse im Kalender der 2010 FIA Formula One World Championship in atemberaubener Grafik und echtem HD."

Autos im Plural kann man vielleicht gerade noch so gelten lassen, bei Rad an Rad bekommt man dann aber schon Lachkrämpfe. Die Computergegner in "F1 2010" fahren leider nicht real über die Strecke, sondern um einen herum werden lediglich grafische Platzhalter eingeblendet, um die Illusion aufrecht zu erhalten. Besonders lang hält diese nicht an, mir kamen die ersten Zweifel als ich jemanden überholte, dieser aber genau in dieser Runde eine bessere Rundenzeit als ich fuhr, was sich logischerweise gegenseitig ausschließen sollte.

Kurz darauf erzählte mir Jens von weiteren Patzern, die im Internet die Runde machten... und tatsächlich erlebte ich später selbst solche Bolzen, wie dass die KI Kollegen die erste Runde trotz stehenden Startes schneller fahren als die zweite. Oder etwa komplett unmögliche Linien fahren können, um etwa noch irgendwie die Einfahrt der Boxengasse zu erreichen, an der sie eigentlich schon mit dem üblichen Renntempo vorbei waren.

Vor dem Patch war es auch immer schön, wenn man als Führender in die Boxengasse einbog und diese als Letzter erst wieder verlassen dürfte, weil die eigene Boxencrew erstmal aus Sicherheitsgründen alle anderen Wagen vorbeiziehen ließ. Wer so mal eben 40 Sekunden verloren hatte, konnte das Rennen nur noch neu starten. So einige Plätze kann man auch jetzt noch verlieren, aber das liegt unter der Wutgrenze.

Den Patch überlebt hat hingegen die Macke, dass gewisse KI Kollegen den vorgeschriebenen Boxenstop erst gar nicht einlegen. Wenn man nach zwei Dritteln des Rennens zwischen Vettel und Schumacher auf Platz 18 liegt, dann darf man langsam die Befürchtung hegen, dass es mal wieder soweit ist und überraschend viele Fahrer am Ende von Startplatz 20 und schlechter es doch noch in die Top Ten geschafft haben. Ein Bock dieses Ausmaßes ist bei Release schon peinlich, nach dem ersten Patch, für den man wochenlang gebraucht hat, ist es aber ein Zeichen von Armut.

Bei der Grafik gilt das Gleiche: Besonders die Regenrennen sind optisch stark, das Pappkameradenpublikum befindet sich aber am anderen Ende des Spektrums. Und echtes HD braucht keine achtfache Kantenglättung, um keine Flimmerorgie zu sein. Solch massive Kantenglättung braucht es nur, wenn man von 800 x 600 Pixeln auf alles andere skaliert anstatt eine saubere Berechnung an den Start zu bringen. Und überhaupt: Wer keinen 16:9 Monitor hat, der braucht auch keine Rückspiegel. So einfach ist das!

"Erweise Dich als würdige Nummer 1 im Team und lerne, die Entwicklung deines Autos in die richtige Richtung zu lenken. Arbeite gemeinsam mit deinem Renningenieur an einer Vielzahl von Fahrzeugvariablen, um das letzte Quäntchen Leistung aus dem Auto zu kitzeln, oder überlass die Details deinem erfahrenen Team und fahr direkt raus auf die Strecke."

Den ersten Satz relativiert man selbst ein paar Seiten weiter: "Wenn du die Nummer 1 im Team bist, kannst du [...] einmal pro Saison die Entwicklungsrichtung für Upgrades festlegen." Also ich bin im 14. von 19 Rennen und warte immer noch auf diesen Moment. Wahrscheinlich muss ich dann wieder eine bestimmte Rundenzeit unterbieten, um die Entwicklung in Gang zu bringen. WAAAHAHAHA!

Noch schöner finde ich aber "gemeinsam arbeiten". Das sieht in der Realität so aus, dass der Renningenieur mit dem Rücken zu einem steht und wenn man das Setup verstellt, sagt er: "Jungs, lasst uns sofort das Setup anpassen." Das ist um so witziger, als dass Codemasters in "ToCA Race Driver" aus dem Jahr 2003 bereits in der Lage war durch den Renningenieur die Strecke kurz zu beschreiben und dann die generelle Richtung des Setups zu empfehlen.

So richtig beschränkt wird es dann, wenn man sich die Fahrzeugvariablen anguckt. Flügel, Stabilisatoren, Bodenfreiheit und Federhärte gehen bis 11 (Spinal Tap Anspielung?!?). Die Gänge hingegen werden als Höchstgeschwindigkeit in km/h angegeben - natürlich sind die Angaben falsch, weil von weiteren Faktoren abhängig - um dann auf einmal bei der nicht so einfach zu verstehenden Spurtreue für Radsturz und Spur die echten Winkelmaße aufzufahren.

Diese Inkonsequenz wird aber gnadenlos getoppt, indem der deutsche Hilfetext (siehe Screenshot oben) zusätzlich für Neulinge noch jede Klarheit beseitigt. Ein genau senkrecht stehendes Rad hat keinen Sturz. Negativer Sturz ist, wenn das Rad oberhalb der Radmitte zum Fahrzeug nach innen neigt, was bei einem F1 Auto immer der Fall ist. Obwohl in der Notation der Wert von -2,5 auf -3,5 abnimmt, erhöht sich also der Sturz und damit die Kurvenstabilität.
Ergebnis: Hilfetext = verwirrende Scheiße

Der letzte Halbsatz "oder überlass die Details deinem erfahrenen Team und fahr direkt raus auf die Strecke" ist dann korrekt, wenn man darunter versteht, dass man in der Lage ist, unter sieben halbgaren, vorgegebenen Setups noch das beste herauszufiltern. Ein echter Anfänger ist dazu oft nicht in der Lage, hat entsprechend mit dem falschen Setup nicht den Hauch einer Chance und der fortgeschrittene Spieler braucht diese Hilfe nicht.

Dann kommt der absolute Paukenschlag: "Bring dich bei anderen Teams ins Gespräch, indem du Fahrerlegenden wie Schumacher, Hamilton, Button und Alonso schlägst. Stell dich den Medien, um dein Profil zu schärfen, mach deinen Standpunkt klar und lass anschließend deine Agentin mit neuen Teams verhandeln."
Meine erste Reaktion war logischerweise: Boah! Wie geil ist das denn?!?

Es ist nur sehr schade, dass das, was dann tatsächlich im Spiel passiert, nichts mit dem gemeinsam hat, was sich 99,9 % der Leser dieser Sätze darunter vorgestellt haben. Die Interviews, die mind. nach jedem Rennen eingeschoben werden, bestehen aus zwei oder drei von vier Fragen mit leichten Variationen: "Werden Sie Weltmeister", "sind Sie besser als Ihr Teamkollegen", "sind Sie mit der Leistung des Autos zufrieden" und "stimmt es, dass Sie das Team wechseln wollen?" Und die möglichen Antworten sind immer "ja", "nein" und "sag ich nicht".

Das ist wirklich unendlich erschöpfend und irre profilschärfend. Warum kann ich lediglich, wenn ich als 20. ins Ziel komme, zugeben, dass ich schlecht gefahren bin, dass ich es ganz allein versaut habe, indem ich z. B. kein Setup finden konnte. Warum nicht auch, wenn ich Fünfter werde, aber Erster hätte werden müssen. Die Angelegenheit wird so lieblos und sinnentleert runtergespult, dass ich mich frage, warum das Feature dann nicht einfach ganz gestrichen wurde.

Gleiches gilt für die Agentin. Die Dame auf dem Bild oben verfolgt mich wie auch alle anderen Mitarbeiter, egal zu welchem Team ich wechsel. Ich bezahle sie anscheinend dafür mir zu sagen, dass ich eine Email erhalten habe. Oder aber das Bild zeigt eine Verhandlung und ich bin nur zu dämlich zu erkennen, dass einer der Kleiderbügel rechts im Bild in Wahrheit Ron Dennis ist. Unter einer Verhandlung verstehe ich, dass ich z. B. versuche ein dickeres Gehalt herauszuholen. Ich habe jedoch nur die Möglichkeit, das Angebot in Form einer Textnachricht genauso anzunehmen oder eben nicht.

Das Interesse der Teams an mir steuert sich über eine Punktewertung gespeist aus meinen Rennergebnissen. Das Balancing ist jedoch so bescheuert, dass man mit dem schlechtesten Auto im Feld Weltmeister werden kann, sich aber trotzdem keines der großen Teams für einen interessiert. Spieltechnisch gesehen macht das sogar Sinn. Was will ich mit einem schnelleren Auto, wenn ich mit dem langsamsten schon gewinne? Was will ich mit mehr Geld, wenn ich mir davon im Spiel nichts kaufen kann?

Fazit:

"F1 2010" bietet tatsächlich eine Meisterschaft über alle 19 Kurse der 2010er F1 Meisterschaft mit passablen Fahrmodell und meist guter Grafik. Alle anderen Features gehören in den Bereich der Fabel, aber in keinen Preview, auf keinen Verpackungstext, ja eigentlich meist nicht einmal ins Handbuch.

Codemasters hat es versucht so aussehen zu lassen, als wenn "F1 2010" mehr zu bieten hätte als bisherige F1 Spiele oder auch "GTR Evolution" (2008), um die Zielgruppe um möglichst viele Need for Speedler zu erweitern, war aber nicht bereit auch nur etwas mehr als das Allernötigste an Arbeit hierfür zu investieren. Unterm Strich wird einem hier "Race Driver: GRID" im Gewand eines F1 Spiels erneut verkauft.

Das Kernspiel übertrifft die Klassikern in diesem Bereich wie etwa "Grand Prix 4" (2002) nur grafisch, es bleibt somit ein fader Nachgeschmack. Und wenn man eine Meisterschaft einmal mit der Kampagne aus "StarCraft II - Wings of Liberty" (2010) vergleicht, dann wird einem erst richtig klar, wie armseelig Codemasters Veröffentlichung mit einem Drumherum aus drei Schiebereglern wirklich ist.

Aber nicht nur "F1 2010" sondern fast das ganze Genre tritt seit Jahren auf der Stelle. Wenn man die Grafik einmal außen vorlässt, unterscheidet sich das Autorennspiel des Jahres 2000 nicht gravierend von dem des Jahres 2010. Da passt es nur zu sehr ins Bild, dass EA mit "Need for Speed: Hot Pursuit" seinen 1998er Polizeiwagenkegler jetzt neu auflegt...



  POSITIV:
  - ganz gute Grafik


  NEGATIV:
  - verbuggte Mogelpackung
  - Drumherum zum Fremdschämen
  - für Neulinge ungeeignet