FORZA
MOTORSPORT 4

Turn 10

(14.10.2011)


Mit dem Review zu "Forza Motorsport 4" feiert meine erste Kritik zu einem Xbox 360 exklusiven Spiel ihre Premiere. Und - soviel sei ruhig verraten - ich bin froh, da ich auf der Xbox (360) nichts annähernd so viel gedaddelt habe wie die drei Vorgänger, dass ich hier keinen Verriss präsentieren muss.

Während "Forza 2" (2007) wenig mehr als die grafisch aufgebohrte Xbox 360 Version des ursprünglichen Xbox Hardcore-"Forza" (2005) war, machte "Forza 3" (2009) mit Komfortfunktionen wie dem aus "Race Driver: GRID" (2008) bekannten Zurückspulen und auf Wunsch sogar automatisiertem Tuning aus einem Spiel, das im Kern eine Simulation ist, ein massentaugliches Produkt.

Wo ist die Karriere?

Logisch, dass die Verantwortlichen hinter "Forza 4" diese Profitschere noch weiter öffnen wollten, leider ist ihnen in meinen Augen dabei ein größerer Fehler unterlaufen. Hinter dem Menüpunkt "World Tour" der Karriere verbirgt sich ein nicht mal 20stündiger, zugleich wilder und automatisierter Zickzackkurs über alle Rennstrecken und -klassen des Spiels, was nicht weiter schlimm wäre, wenn

a) sich die Gegnerstärke erhöhen bzw. dem eigenen Können anpassen ließe und
b) deutlicher wäre, dass dieses überlange Tutorial nicht die gesamte Karriere ist.

Punkt a) ist umso unverständlicher, als dass überall anders im Spiel nicht mehr wie bisher nur drei sehr unterschiedliche, sondern vier besser abgestufte Gegnerstärken zur Verfügung stehen. Ich war mir so sicher, dass ich die Einstellung lediglich übersehen habe, dass ich innerhalb der ersten Woche bestimmt fünfmal verzweifelt danach gesucht habe.

Wo ist die Herausforderung?

In den ersten Stunden gefiel mir "World Tour" eigentlich besser als das ähnliche "Season Play" aus "Forza 3". Die Fahrzeugauswahl sowohl für die Rennen und erst recht bei den Bonusautos nach einem neuen Fahrerlevel ist freier gestaltet und auch die Abfolge der Strecken, obwohl noch statischer als zuvor, sagte mir um einiges mehr zu, weil ich mich nicht mehr so oft mit PS-Monsters durch Amalfi Coast und Fujumi Kaido quälen musste und nicht gefühlt ein Viertel aller Rennen auf dem Circuit de Catalunya stattfand.

Was fehlt ist jedoch jede Art von Herausforderung, was nicht nur an der Gegnerstärke liegt, sondern auch daran, dass "World Tour" zwar aus zehn Abschnitten von Amateur bis Legend besteht, jedoch innerhalb dieser Abschnitte nicht etwa eine bestimmte Anzahl Punkte oder Podiumsplätze erreicht werden muss. Auch wenn man alle Rennen verlieren würde, geht das Spiel einfach kommentarlos weiter. Der Sinn dahinter will sich mir nicht erschließen. Struktur verleiht es dem Spiel nicht.

Mein schrägstes Erlebnis

Punkt b) zeigt deutlich, dass ein gedrucktes Handbuch, auch wenn es sich lediglich auf Menüerklärungen beschränkt, gar nicht so dumm ist, wie ich bisher immer gedacht habe. Insbesondere wenn die gesprochene Benutzerführung auf wirklich jeden anderen Menüpunkt hinweist, nur ausgerechnet auf "Eventlist" nicht, hinter dem sich gar keine simple Liste sondern - nicht in Ohnmacht fallen - mit mal eben 290 Wettbewerben der Löwenanteil der Karriere verbirgt.

Als ich dies bemerkte, hechtete ich sofort über den Kaffeetisch, warf die "Forza 4"-DVD aus, riss die "Forza 3"-Hülle aus dem Regal und schob mit zitternen Fingern den Vorgänger in die Box. Was soll ich sagen... in "Forza 3" war es schon GENAUSO!!! Heilige Scheiße, ich habe Dutzende von Stunden mit "Forza 3" verbracht und dabei das eigentliche Spiel nicht gefunden, nur weil die Benutzerführung an dieser Stelle patzt!!! Wie absolut oberkrank ist das denn, die gleiche Nummer wieder zu bringen?!?

Einmalig auf Konsolen

Nachdem mir nun überdeutlich vor Augen geführt wurde, wie leicht ich in die Irre zu führen bin, möchte ich zu den positiven Aspekten des neuesten Teils kommen: Viele hätten - weil offensichtlich - jetzt bestimmt als erstes die Grafik genannt, aber die entscheidene Änderung befindet sich etwas zu unscheinbar für meinen Geschmack neben vielen anderen Optionen bei der Wahl des Schwierigkeitsgrad unter Steuerung: Dort kann neben "Unterstützt" und "Normal" nun auch "Simulation" gewählt werden...

Was "Forza 4" mal eben fast das Fahrmodell von der Qualität eines "GTR Evolution" (2008) beschert und somit ein Stück von dessen Komplexität und Spieltiefe gleich mit. Es ist in diesem Modus einfach eine wahre Freude, die Kontrolle über eine tonnenschwere amerikanische Heckschleuder zu verlieren und mit Wucht in die Streckenbegrenzung einzuschlagen!!!

Schlüsselerlebnis Force Feedback

Großer Anteil an dieser Freude hat zu meiner Überraschung das Force Feedback durch das Rütteln des Controllers. Was ich bisher als eher witziges Beiwerk abgetan habe, funktioniert hier einfach nur in perfekter Synchronität zum Geschehen auf den Bildschirm und liefert mir wichtige Hinweise, um auch solche selbstgezüchteten brutalen Monster wie den BMW Z8 mit 200 PS extra noch auf der Strecke zu halten.

Und wäre der "World Tour"-Modus nicht so zersägt, dann ich hätte "Forza 4" über den grünen Klee für sein Balancing loben können, denn der Performanceindex der Autos wurde so überarbeitet, dass z. B. ein C-Klasse Auto, auch wenn es einige Jahrzehnte alt ist, tatsächlich immer eine C-Klasse Performance erreicht und dafür, dass im Schwierigkeitsgrad jetzt eingestellt werden kann, dass die Computergegner auch ihre Autos auf den Maximalwert der jeweiligen Klasse tunen, was die Rennen fairer (aus Sicht der Computergegner) und spannender gestaltet.

Wichtig ist auf der Strecke

Auch wenn ich hier etwas ins Schwärmen gerate, aber ganz große Klasse sind auch die neuen Strecken wie die Fantasiestrecke in den Alpen, Hockenheim, Indianapolis und besonders der Infineon Raceway (früher Sears Point Raceway, nun Sonoma Raceway), den ich wegen seiner unorthodoxen Streckenführung mit teils nach außen abfallenden Kurven in mein Herz geschlossen habe.

Keine Frage des Geschmacks sind die grafischen Verbesserungen im Bereich der globalen Beleuchtung. In der Cockpitansicht bewegt sich der Schatten täuschend echt durch das detailierte Innere des Wagens und auch in der Außenansicht funktioniert das Selfshadowing der Automodelle nun auf Niveau von "Gran Turismo 5" (2010). Dass die Xbox 360 dafür an ihre absolute Leistungsgrenze gehen muss, hört man ihr allerdings auch an. Kein anderes Spiel lässt die Kühlung sofort und permanent auf Maximum laufen.

Multiplayer? - Läuft!

Der Multiplayermodus funktioniert wie gewohnt vorbildlich und fair, ohne jede Leistungseinbußen und nunmehr mit bis zu 16 Spielern. Ehrlich gesagt, fand ich's mit acht Spielern besser. Letzter von acht zu werden, tut nicht so weh wie letzter von 16. Wer im Multiplayermodus etwas reißen möchte, muss schon einige Zeit investieren, um die Kombination von Streckenkenntnis und speziell abgestimmten Auto zu einem optimalen Paket zu schnüren.

Obwohl über 500 Autos zur Auswahl stehen, schmerzt es den Porschefan in mir, dass Electronic Arts aufgrund einer exklusiven Porschelizenz bis Ende des Jahres 2011 verhindert hat, dass in der Standardausgabe des Spiels bis auf ein teuflisch schnelles Modell des Veredlers RUF keine Zuffenhausener Krawallbürsten vertreten sind. Trost spenden mir da nur der 66er Ford GT40 MK II und der 2006er Lamborghini Miura Concept.

Fazit:

Trotz unverständlicher Patzer ist Turn 10 weiterhin bezüglich des Kernspiels voll auf der Erfolgsspur und hat der "Gran Turismo"-Serie (sorry, Playstationboys) nun zum wiederholten Mal gezeigt, wo der Hammer hängt. Wenn es den Jungs beim nächsten Mal gelingt, einen Ansatz von Handlung und Struktur in die Karriere zu bringen, spricht auch nichts dagegen dann 9 Punkte zu vergeben. Allerdings ist mir schleierhaft, warum die gröbsten Fehler nie rausgepatcht wurden. Das scheint mir nicht unmöglich.



  POSITIV:
  - perfektes Handling
  - riesiger Umfang
  - starke Grafik


  NEGATIV:
  - grottige Benutzerführung
  - World Tour zu leicht


Die B-Note:

Die gute Nachricht gleich zu Beginn: Seit September 2015 können die verschiedenen DLCs für "Forza 4" nicht mehr erworben werden, weil die Lizenzen mit den Autoherstellern abgelaufen sind. Es gab den "Season Pass", der nichts anderes tat als für 30 € innerhalb von sechs Monaten 60 weitere Autos zur Verfügung zu stellen, und natürlich trotzdem noch irgendwelche anderen Car Packs, die dann meistens je fünf Autos enthielten. Brauchte kein Mensch und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Masse damals zugeschlagen hat.

Etwas anders sah es beim "Porsche Expansion Pack" aus, das am 22.05.2012 veröffentlicht wurde. Da im Grundspiel Porsche ja noch mit Abwesenheit glänzen musste, erschienen 10 € für 27 verschiedene Wagen zunächst gar nicht schlecht. Durch kleine Einleitungen bot man hier etwas mehr als nur die pure "Eventlist", letztlich bretterte man aber durch das selbe alte Spiel. Etwas aufwendiger wiederholten sich dann das selbe Spielchen knapp vier Jahre später am 07.03.2016 für "Forza 6" (2015).