FORZA
MOTORSPORT
7

Turn 10

02.10.2017


Während "Forza Motorsport 6" (2015) die Scharte des viel zu mageren Launchtitels "Forza Motorsport 5" (2013) auswetzen musste und wie erwartet auch wirklich konnte, kann "Forza Motorsport 7" bereits wieder auf einem fast perfekten Spiel aufbauen. Zu Deutsch: Entwickler Turn 10 musste jetzt nach zwei Jahren mit "FM7" eigentlich nur ein Bisschen höher, schneller und weiter liefern - tja, wenn da nicht auch noch am 07.11.2017 der Verkaufsstart von Microsofts letzten Angriff auf die PS4 mit dem leider reichlich hohlen Namen Xbox One X wäre.

Aber erst einmal zu den einfachen Sachen auf dem Papier: Mit dem neuesten Teil wird neben den drei von mir geliebten Wiederkehrern Maple Valley, Mugello und Suzuka traditionell auch wieder eine neue Fantasiestrecke ausgeliefert, so dass ich nunmehr insgesamt 30 Austragungsorte zähle. Diesmal fiel die Wahl für die Fantasiestrecke auf Dubai, aber da es sich um keine Stadtstrecke handelt, kann ich nicht sagen, ob das Ergebnis tatsächlich irgendwelche größere Ähnlichkeiten mit der Gegend rund um Dubai hat. Ich kann aber bestätigen, dass Dubai wie schon vor zwei Jahren Rio de Janeiro in einigen Layouts gerade mit Wagen ohne hohen Anpressdruck oder mit Tendenz zum Aufschaukeln in S-Kurven ein angenehm harter Brocken ist.



Mehr von Allem

Dem Gesetz der Serie in Autorennspielen folgend gibt es wieder eine Stange mehr Autos. Über 700 sind es diesmal gegenüber 460 im Vorgänger, wobei ich jetzt nicht nachgezählt habe und ich sagen muss, dass mir neben nichtssagenden Rennwagen zu viele zu ähnliche BMWs mit dabei sind aber z. B. nur ein einziger Hyundai. Und Volkswagen hat in den letzten 25 Jahren auch nicht nur einen Golf nach dem anderen gebaut. Der Weltuntergang ist das natürlich nicht und Porsche gehört jetzt endlich auch wieder zum Standardprogramm und dürfte daher auch das Cover schmücken, aber etwas mehr Originalität und eine etwas ausgeglichenere Fahrzeugauswahl wären schön gewesen.

Wichtiger ist aber, wie sich die Kisten fahren und da hat Turn 10 wieder einmal einen tollen Job gemacht. Zwar gibt es nach wie vor einige Serienfahrzeuge wie den Golf GTI 16v Mk2 von 1992, der hier auch nahe der Höchstgeschwindigkeit immer noch etwas brav und kontrollierbar rüberkommt, obwohl dieses Auto in der in der Realität auch mit vier Erwachsenen noch so rasant durch nächtliche Straßen brettern kann, dass mir anders wurde, aber die wesentlichen Parameter sind korrekt umgesetzt: Ein schweres Auto fühlt sich auch richtig schwer an, Rechtssitzen nach Linkssitzen braucht etwas Eingewöhnung, Vorderradantrieb unterscheidet sich deutlich von Hinterradantrieb und Bremsen bergab ist anders als bergauf.



Meister aller Klassen?

Um den vier bis sechs Rennen eines Wettbewerbs einen halbwegs klangvollen Namen wie etwa "Historic Road Racing" verpassen zu können, hat Turn 10 die über 700 Autos in knapp 60 Klassen unterteilt und einer Homologation (also Tuning auf etwa gleiche Leistung) unterzogen. Teilweise werden diese Rennklassen aber doch recht mutwillig über verschiedene Jahrzehnte geschnürt. Der Tacho des Honda NSX-R von 1992 geht nur bis 180 km/h, das Auto wird aber auf über 300 km/h Spitze und damit über die Leistung des 2005er Serienmodells (Tacho 280 km/h) hinaus getuned, dass sich natürlich ebenfalls getuned mit nunmehr ähnlicher Höchstgeschwindigkeit in der gleichen Rennklasse befindet.

Etwas stutzig machen mich Menüpunkte mit "Coming Soon" wie z. B. beim Auktionshaus. Wann es denn soweit ist, erfahre ich aus dem Spiel heraus nicht. Ohne das Auktionshaus kann ich aber Autos, die ich als Belohnung erhalten habe (etwa 80 meiner 108 Fahrzeuge), derzeit nicht zu Geld machen. Auch an anderer Stelle fehlte am Ende die Zeit, weil der Fokus vermutlich auf der 4K Ultra HD Version für die Xbox One X liegt. Die Sitzposition stimmt bei so einigen Autos noch nicht. Elemente der Standardtür verhindern etwa einen Blick in den Außenspiegel oder bei Rennwagen die Werbung auf der Frontscheibe den Blick nach vorn. Auch begingen zwei Drivatare in jeder von drei Runden exakt an der gleichen Stelle den exakt gleichen Fahrfehler gemeinsam. Außerdem ist es mir bisher nicht gelungen mit einem beliebigen Auto auf einer beliebigen Strecke zu fahren, obwohl der Menüpunkt "Freeplay" ja genau das verheißt.



Dann lade Dir doch einen!

Dass die Erstausgabe der Xbox One bei "FM7" an ihre Grenzen stößt, merkt man neben dem weiterhin nur rudimentären Klonzuschauern an den Strecken und den selten flüssigen Menüs auch an den Ladezeiten. Als ich dies hier schreibe, ist "FM7" knapp 60 Stunden bei mir gelaufen. Etwa die Hälfte davon habe ich tatsächlich mit Fahren verbracht. Die andere Hälfte (inkl. der Zeit, die das Spiel überhaupt zum Starten braucht, der Zeit direkt vor dem Rennen bis ich die Kontrolle über das Fahrzeug erhalte und wenn ich mir eine Wiederholung ansehe) hat das Spiel hauptsächlich geladen. Wer die Ladezeiten drücken will, sollte den Drivataren keine individuellen Lackierungen gönnen, denn die werden nach jedem abgeschlossenen Rennen neu aus dem Internet geladen und es kann vorkommen, dass mehrere Gegner auf einmal ihre Lackierung wechseln.

Die langen Ladezeiten sind jedoch nicht ganz so schlimm, wie es sich im ersten Moment anhört, denn Turn 10 war so smart, während des Ladevorgangs den Zugriff auf praktisch alle wichtigen Funktionen wie Optionen, Gegnerstärke und Fahrhilfen oder auch Upgrades kaufen und die Einstellungen des jeweiligen Wagens bearbeiten zu ermöglichen. Außerdem ist eine verbesserte Version des kleinen Kartenspiels (Mods) während der Ladepause mit an Bord, in dessen Rahmen sich nun nicht nur ein paar Extrakredits und Erfahrungspunkte verdienen lassen, sondern dessen Kartenpacks auch Abzeichen, Kleidung für den neuen Fahreravatar (Hampelmann) und sogar Autos enthalten können.



Werde zum Sammler

Überhaupt hat Turn 10 gut daran getan, eine weitere kleine Abhängigkeit in die Karriere einzubauen. Während man in den bisherigen Spielen früher oder später keine große Motivation mehr darin sah, sein Geld für Autos auszugeben, die man weder innig liebte noch für die Karriere brauchte, wird jetzt aus der Rarität aller Autos in meinem Besitz der Wert meiner Autosammlung bestimmt. Erreicht die Wertigkeit meiner Autosammlung eine neue Stufe, so erhöht sich auch die Qualität der Belohnung, die ich nach dem Erreichen einer neuen Fahrerstufe auswählen kann. Es gibt Stimmen, die sagen, es sei zu grindig, das Geld für so viele Autos zu verdienen, aber wer sich optionalen Spielmechanismen ausgeliefert fühlt und immer alles sofort haben muss, sollte den Besuch beim Psychologen nicht mehr aufschieben.

Die Karriere baut auf den sehr guten Ansätzen des Vorgängers auf und ermöglicht jetzt auch mit relativ schlechten Platzierungen das Durchspielen. Man fährt dann einfach ein paar Rennen mehr. Die Rennlänge - *Tusch!* - kann erstmals grob angepasst werden. Extralang entspricht einer realistischen Rennlänge, lang einem Drittel davon und normal 10 %. Viele Rennen haben auf lang eindeutig mehr Spaß gemacht, weil ich die fast gleichwertigen Gegner nicht innerhalb weniger Runden überholen musste, weil das Wetter und die Lichtverhältnisse sich langsamer - also realistischer - verändern konnten. Natürlich war es frustrierend, wenn ich nach knapp 20 Minuten in der letzten von neun Runden den Wagen in die Wand gesetzt habe. Hätte ich besser mal das Zurückspulen aktiviert, gell?!?



Licht aus, Wasser an!

Die Nacht- und vor allen Dingen die Regenrennen waren bereits in "FM6" beeindruckend aber statisch. Nun gibt es das Ganze in dynamisch und in jeder denkbaren Abstufung - und darauf ist Turn 10 sichtlich und irgendwo auch zu recht stolz. So stolz, dass sie mich hin und wieder unter Bedingungen wie untergehender Herbstsonne bei aufsteigenden Nebel ohne Flutlicht fahren lassen. Was mich nicht nur dazu veranlasst hat, den "Erlkönig" aufzusagen, sondern auch unglaublich anstrengend ist, weil ich zufällig als eines der ersten Rennen den Virginia International Raceway im Dunkeln auf 50 cm genau auswendig lernen musste, um irgendwie in der Lage zu sein, den 77er Holden Torana A9X um den Kurs zu prügeln.

Im Normalfall sind diese Wetterkapriolen aber höchst willkommen, denn sie bringen eine gehörige Portion Abwechslung in die Wettbewerbe und sind meistens wunderbar atmosphärisch. Als ich mit Ayrton Sennas 88er Honda McLaren MP4/4 in Spa während eines Gewitters ran musste, bin ich sogar trotz akuter Faulheit aufgestanden, um mehr Bass in den Subwoofer zu drehen, damit der Donner noch etwas echter klingt. Hat mich selbstverständlich fünf oder sechs Anläufe gekostet (und der restlichen Familie ordentlich Nerven), dieses Rennen bei bescheidener Sicht zu gewinnen, aber was für ein Spaß und Ohrenschmaus.



Apropos Sound

Der fortschrittliche Soundmixer ist endlich wieder da. Nun kann ich wieder haargenau einstellen, wie laut ich meinen Motor hören möchte. Nur leider hat sich in den Motorenklang einiger Autos - insbesondere bei Porsche ist mir dies aufgefallen - ein Fehler eingeschlichen. In Situationen, in denen z. B. verstärkter Hall auftreten soll, fängt der Motorensound an zu stottern, so als wenn die Konsole ein Problem mit dem Interrupt hätte oder nicht genügend Soundkanäle zur Verfügung stehen. Unfreiwillig komisch sind so einige Kommentare, die "Berühmtheiten" während des Ladebildschirms von sich geben. Spontanität ist ja was Schönes und besser als vom Blatt abgelesen, aber so gerade nach dem Aufstehen mit entzugsbedingten Ausfallerscheinungen muss dann vielleicht doch nicht unbedingt sein.

Kein Fehler und auch nicht wirklich schrecklich aber sicherlich mehr als nur eine Geschmacksfrage ist die diesmal rockige Instrumentalmusik. Einige Stücke sind gar nicht schlecht und laden zum Headbangen ein, aber insgesamt finde ich die Musik im Vergleich zu vor zwei Jahren nicht besonders passend. Und wie bei Rockmusik seit praktisch 20 Jahren üblich findet sich unter den Verantwortlichen immer jemand, der meint er müsste mittels Kompressor noch ein Bisschen nachhelfen und die Dynamik auf unter 3 dB senken, damit die Schlagzeugbecken auch ja kein perkussives Moment haben und so klingen, als wenn ein Elefant in einem Lastwagen voller Kochtöpfe randaliert.



Fazit:
So ein Bisschen war ich versucht "auch veröffentlicht auf Xbox One X" zu schreiben, aber das würde "FM7" dann doch nicht gerecht werden. Auch ohne die angebliche Supergrafik hat der neueste Spross eine ganze Menge an Bord und selbst wenn ich nur auf die Veränderungen gegenüber "FM6" schaue, würde ich einen Kauf von "FM7" zum Vollpreis empfehlen. Die Karriere flutscht wie nie und abseits des Hauptspiels gibt es wie üblich Herausforderungen (Rivalen) und den wie immer sauber laufenden Multiplayer - nur fahren da so kurz nach der Veröffentlichung (wie bei jedem Autorennspiel der letzten Jahre) noch zu viele Autoskooter.

Gerade auf Konsolen bin ich sicherlich flüssigere Menüs gewohnt, aber ich habe auch schon viel schlimmere Sachen erlebt. "FM6" läuft nach zwei Jahren und einem großen Patch zwar derzeit etwas runder und hat die schönere Musik, aber das dynamische Tageszeit- u. Wettersystem von "FM7" ist wirklich gut. Und die Möglichkeit jetzt auch längere Rennen zu fahren, wann immer ich das will, ist so ziemlich genau das, was der Serie noch gefehlt hat. Mit "FM7" hat Turn 10 es erneut geschafft, dass ich fast jedes einzelne Auto gern gefahren bin, weil die Eigenschaften der Wagen gut mit den jeweiligen Herausforderungen der Strecke kombiniert wurden und weil ich nicht zum Siegen in jedem einzelnen Rennen verdammt war.



Nur wenn ich über den eigenen Tellerrand hinausschaue, mache mir weiterhin Sorgen, wie das Spiel auf Neulinge wirkt. Natürlich ist die Karriere schon recht einladend gestaltet und die ganzen zunächst standardmäßig aktivierten Fahrhilfen ermöglichen am Ende auch jemanden im weitesten Sinne Rennen zu fahren, der horizontal völlig digital und mit klemmenden Gaspedal unterwegs ist. Nur fürchte ich nach Test an meiner Schwägerin, dass die allermeisten Neulinge ohne besondere Affinität auch nach 20 Stunden weiterhin mit allen Fahrhilfen unterwegs sind, weil Ihnen einfache physikalische Zusammenhänge nicht nahegebracht wurden wie z. B. Reifenhaftung, die ich zum Bremsen nutze, kann ich nicht noch einmal zum Einlenken nutzen, und dass ein Frontspoiler daran verdammt wenig ändert.

Ich erinnere mich noch gut an "Grand Prix 2" (1996), das von meinem Pentium 90 MHz ganz gut gewuppt wurde. So genial wie es damals auch war, ist es heutzutage im Vergleich mit "FM7" auch in Bezug auf die Fahrzeugphysik nur zweiter Sieger. Trotzdem wurden damals auf zehn Seiten des 150 Seiten Handbuchs das Verhalten des Fahrzeugs in einer Kurve, richtiges Bremsen, typische Kurven und Kehren, Kurvenfahrten bei Nässe, Windschatten ausnutzen, wie man einen Konkurrenten ausbremst und häufige Fahrfehler erklärt: "Wenn [...] der Fahrer erkennt, dass es zu einer Kollision kommen wird, [...] muss [er] seine Füße von den Pedalen nehmen, sich, so gut es in dem engen Cockpit möglich ist, zusammenkauern und im letzten Augenblick das Steuer loslassen, um zu verhindern, dass der Aufprall seine Handgelenke bricht."


Steuerung (15%):
Grafik (15%):
Balance (15%):
Handlung (15%):
Sound (10%):
Zugänglichkeit (10%):
Komplexität (10%):
Spieldauer (10%):