PIKMIN 3

Nintendo EAD
Group No. 4

(26.07.2013)


Zu der "Pikmin"-Serie bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind: Da ich immer mal wieder eine Pause von meinem dreijährigen Sohn brauch(t)e, aber eine weitere Runde "Elefant blau" ("Sendung mit der Maus"-Clips) nicht ertragen konnte, kam ich auf die (in der Retrospektive reichlich bescheuerte) Idee, ihn immer mal wieder verschiedene Let's Plays des gerade erschienenden "Pikmin 3" gucken zu lassen. Was nicht nur zur Folge hatte, dass mein Sohn ein riesiger Fan der seltsamen Wesen wurde, sondern auch öfter "bang his head" oder noch schlimmer "hau ihm ab der Schnauze" (sic!) zu unpassenden Zeitpunkten (z. B. an der Supermarktkasse) skandierte. Notiz an Gehirn: Wähle demnächst nur noch Let's Plays, die mit "no comment" gekennzeichnet sind.

Nachdem ich mich zur Strafe durch die immer noch überraschend schön anzusehenden GameCube Titel "Pikmin" (2001) und "Pikmin 2" (2004) mit meinem Sohn auf dem Schoß kämpfen musste (seine Lieblingsszene ist der Kampf gegen den großen Pilz, den ich immer verkacke) - wobei der erste Teil für mich atmosphärisch den ansonsten besseren zweiten aussticht - war klar, dass es zumindest einen Grund gibt, sich eine Wii U zuzulegen. Naja, und da es für die Xbox One und PS4 in meinen Augen noch gar keinen gibt, wenn man einen halbwegs flotten PC hat, bot sich Weihnachten in Verbindung mit einem guten Angebot bei Amazon einfach an...

Für alle, die "Pikmin" gar nicht kennen: In "Pikmin" verschlägt es immer uns nicht unähnliche, raumfahrende Wesen - allerdings mit einer Körpergröße von zwei Zentimetern - auf die Erde (im Spiel besser bekannt als PNF-404). In "Pikmin 3" ist auf dem Planeten Koppai eine verheerende Hungersnot ausgebrochen und Charlie, Alph und Brittany sollen nun als letzte Rettung Früchte bzw. ihre Samen heimbringen, was aber gar nicht so einfach ist, wenn Insekten und ähnliches Getier für einen furchterregende Monster darstellen.

Nun sind Charlie und Co. aber keine gut bewaffneten Krieger und können ihre Mission daher nur erfüllen, wenn sie mit Hilfe von bis zu 100 der namensgebenden Pikmin, die entsprechend ihrer Farben verschiedene Stärken und Schwächen besitzen, Rätsel lösen und sich ihrer Haut erwehren. Spieltechnisch sieht das so aus, dass man aus einer relativ weit herausgezoomten Perspektive mit einer Gruppe Pikmin im Schlepptau umherläuft und diese gewinnbringend umherwirft, denn abhängig vom Aufschlagpunkt gehen die Pikmin sofort einer Tätigkeit nach.

Mit den schwarzen, felsartigen Pikmin zerschlägt man etwa Glasscheiben oder Kristallgebilde, und mit den gelben, stromresistenten Pikmin kann man Stromkreise schließen oder Elektrozäune zerstören. Die besten Kämpfer der Truppe stellen die roten, feuerresistenten Pikmin dar, und sind daher gegen Standardgegner, die kein besonders intelligentes Vorgehen benötigen, erste Wurfgeschosswahl, es sei denn, der Gegner befindet sich im Wasser, dann sind die blauen, wasserresistenten Pikmin ganz klar zu bevorzugen.

Kinderspiel

"Pikmin 3" machte auf mich zunächst den Eindruck, dass es leichter als seine Vorgänger wäre. Jedenfalls hatten die verschiedenen Leute in den Lets Plays auf YouTube mal gar keine Probleme mit Rätseln und Bossgegnern. - Ich schon!!! Für die Kampagne brauchte auf YouTube niemand auch nur annähernd 30 Spieltage. Ich brauchte satte 48 (entspricht etwa 15 Stunden Spielzeit) - und das auch nur mit Hilfe meiner lebenden Komplettlösung, die nicht müde wurde, mir ungefragt Tipps zu brüllen. Also ich schäme mich schon ein Bisschen, die Hilfe eines Dreijährigen in Anspruch nehmen zu müssen, aber wird wohl nicht das letzte Mal gewesen sein...

Auch wenn mich dies nicht komplett rehabilitiert, einen Teil der Schuld möchte ich auch auf die Steuerung schieben, die mir erst gegen Ende der Kampagne in Fleisch und Blut überging und bis dahin von mir als weniger rund als in den Vorgängern empfunden wurde. Außerdem sind die Bosskämpfe nicht nur beim ersten Mal unglaublich spektakulär, sondern auch stark gescripted, was zur Folge hat, dass es ein, zwei wirklich gute Lösungsansätze gibt (die eben nur mein Sohn kannte) - und der Rest fast den sicheren Tod der halben bis kompletten Mannschaft nach sich zieht.

Augenweide

Wie die meisten Titel auf Xbox 360 skaliert "Pikmin 3" auf der Wii U von 720p auf 1080p, was mal mehr, mal minder starke Treppchenbildung zur Folge hat, und läuft 99,9 % der Zeit sauber mit 60 fps. Das Design der Spielfläche ist schlichtweg großartig, egal ob es nun Höhlen sind, die fast nur von fluoreszierenden Pflanzen erleuchtet werden, oder etwa ein wunderschöner Garten, durch den sich ein Bach schlängelt, den man dann via Seerosenblättern als Transportmittel nutzt. Gleiches gilt für die meist riesigen Bossmonster und das ganze anderen Getier, bei dem einfach jede Animation auf den Punkt sitzt.

Worin "Pikmin 3" aber alle Titel der letzten Konsolengeneration wirklich weit hinter sich lässt, ist die Texturequalität. Als Wii U exklusives Spiel kann es zu jeder Zeit die etwa vierfache Speichermenge nutzen (2 GB insgesamt, 1 GB steht für das Spiel zur Verfügung) und tut dies auch, um Wasser, Steine, Fliesenscherben, Pflanzen und besonders Früchte so lebensecht aussehen zu lassen, dass man schon das Schälmesser holen will. Richtige Matschtexturen gibt es überhaupt keine, 90 % der Texturen sind gestochen scharf, nur dem Boden fehlt es technisch bedingt an Bumpmapping.

Nach der Kampagne

Weil die Kampagne so cool ist, kommt sie einem noch kürzer vor, als sie tatsächlich ist. Zum Glück gibt es noch verschiedene Missionsmodi, die man wahlweise auch kooperativ (ist bei einem Dreijährigen ein etwas weiter zu fassender Begriff) zu zweit an einem Bildschirm spielen kann, sowie "Bingo Battle", bei dem man sich gegenseitig die passenden Früchte wegschnappt - und gewinnt, indem man sich selbt beim Start 30 Pikmin gibt und dem Papa nur einen. Bei den Missionen stehen noch einmal alle Bosskämpfe zur Verfügung, sowie Früchtesammeln und Kreaturenplätten. Klingt erstmal nach nichts besonderen, ist aber ziemlich geil.

Denn die Missionen sind so aufgebaut, dass man sich schon ganz schön ins Zeug legen muss, wenn man mehr als nur die Bronzemedaille erwerben will (jaa, jaaaa, ich habe bisher gerade mal so Silber bei einigen Missionen geholt, ich geb's ja zu). Also optimiert man sein Vorgehen oder versucht vielleicht mal eine ganz neue Variante usw. und wenn einen dann in Verbindung mit der weltweiten Rangliste der Ehrgeiz packt (und die Teppichratte nicht wieder alle Pikmin im unpassendsten Moment aus dem Kampf abzieht oder sich allein deswegen einen Ast freut, weil sie sich zehn Minuten lang hinter einem Heuhaufen verstecken kann), kommen noch einmal viele vergnügliche Stunden Spielzeit hinzu.

Nintendo geht mit der Zeit

Um angeblich wie alle anderen Hersteller auch Papier zu sparen, verfügt "Pikmin 3" wie die meisten neueren 3DS und alle mir bekannten Wii U Spiele lediglich über eine posterartige Kurzanleitung, die in diesem Fall nach klassischer Zählweise acht Seiten lang ist. Lustig nur, dass sich noch 20 andere Seiten mit Werbung für Club Nintendo und "wichtigen" Informationen in der Packung befinden. Dafür war der Baum es dann wert, was?!? *PRUST* Die im Spiel integrierte elektronische Anleitung taugt allerdings wirklich mal etwas, es wäre nur schön, wenn ich das Spiel nicht erst einmal zwingend starten müsste, um diese aufzurufen.

Ersteinmal ziemlich beknackt fand ich den fast Heidebrot großen Controller, der mit großem Akku richtig schwer ist und für dessen Touchscreen niemand über Demos und Minispiele hinaus so recht eine Verwendung finden kann. Niemand - außer den Machern von "Pikmin 3"! Neben der erhöhten Immersion, die dadurch erreicht wird, dass das GamePad so behandelt wird wie das KopPad, das Alph in den Händen hält (inkl. Fotos aus der Ich-Perspektive), kann ich auf der Karte des jeweiligen Gebiets per Touchscreen Marschbefehle erteilen und auch innerhalb des Spiels jederzeit Tipps und Tricks abrufen, die ich zudem zuvor real in der Spielwelt finden kann.

Fazit 2019:

Wenn man von einem Spiel in erster Linie einfach gut unterhalten werden möchte und auch noch jüngeres Publikum im Haus hat, dann ist "Pikmin 3" eine unglaublich gute Wahl. Wer so ganz und gar der "Hirn aus, Waffe raus" oder der "Zahlendrescher" Typ ist, sollte vielleicht um dieses doch sehr eigenwillige Stück Software mit Kürbiskopfhelden, Fantasiesprache und Kirmesmusik einen Bogen machen, aber ganz große und andere Kinder können bedenkenlos zugreifen. Der Trip durch die Grasnarbe kommt vermutlich mit ordentlich Shit in der Birne noch mal so gut.

Ich hätte damals kurz nach der Veröffentlichung niemals geglaubt, dass ich auch noch über fünf Jahre später immer mal wieder "Pikmin 3" auf der sowas von toten Wii U hervorhole, um noch einmal eine Nase Kampagne zu nehmen, aber vor allen Dingen, um auch die letzten Platinmedaille beim Früchtesammeln und Kreaturenplätten noch zu erspielen oder immer öfter im "Bingo Battle" auch bei fast ausgeglichenen Startbedingungen zu verlieren. Ich hoffe, die Verantwortlichen bei Nintendo geben sich jetzt endlich einen Ruck und kündigen im nächsten Nintendo Direct "Pikmin 4" für die Switch an.


  POSITIV:
  - sehr eigenwillig
  - wunderhübsch
  - absoluter Dauerbrenner
  - viele Spielmodi
  - gut genutztes GamePad


  NEGATIV:
  - kurze Kampagne
  - Steuerung braucht Zeit


Die B-Note:

Einen Trend, dem sich Nintendo damals so gar nicht mehr verschließen konnte, da bereits absehbar war, dass es mit der Wii U und damit auch finanziell nicht so laufen würde, waren DLCs. Bei "Fire Emblem: Awakening" (2013) hatte man gerade zuvor - und letztlich wohl erfolgreich - versucht die Fans mit 25 (!!!) DLCs um etwa 50 € zu erleichtern, so dass Vorsicht angebracht war.

In der aktuellen Version 2.0.0 von "Pikmin 3" sind neben den Bosskämpfen im Spiel jeweils acht Mission Früchtesammeln und Kreaturenplätten integriert und je weitere acht können - aufgeteilt in drei etwas ungleiche Pakete - für insgesamt 8,97 € dazugekauft werden. Auch wenn die Programmierer mit den Missionen sicherlich nicht so furchtbar viel Arbeit hatten (überwiegend werden Gebiete recycelt), so ist der Preis vergleichen mit vielen heutigen DLCs ein faires Angebot, denn es stellte sich heraus, dass die Balance innerhalb der Missionen stimmt und man daher ordentlich Zeit mit jeder Mission verdaddelt kann. So ein kleines Bisschen Handlung hätte es aber auch ruhig sein können.