PIKMIN 2

Nintendo EAD

(08.10.2004)

auch veröffentlicht auf
Wii


Nachdem ich in "Pikmin" (2001) im ersten Anlauf keine weltraumtaugliche Rakete innerhalb der 30 Spieltage für Captain Olimar an die Startrampe brachte und sozusagen mit dem dramatischen Video für das schlechte Ende belohnt wurde, konnte ich Olimar im zweiten Versuch in der komplett restaurierten S. S. Dolphin auf die sichere Heimreise zurück zu seiner Familie auf den Planeten Hocotate schicken. Doch kaum ist er im Intro des zweiten Teils dort sicher gelandet, muss ihm sein Arbeitgeber - der Präsident von Hocotate Freight - mit einer extrem schlechten Neuigkeit konfrontieren:

Der augenscheinlich etwas unterbelichtete junge Mitarbeiter mit Namen Louie hat eine komplette Fracht goldener Pikpik-Karotten verloren - Weltraumhasen sollen die Karotten gegessen haben, was vermutlich eine Anspielung auf "fliegende Katzenhasen essen Dein Hausdach auf" aus "M.U.L.E." (1983) ist - und die daraufhin verhängte Konventionalstrafe hat das Unternehmen komplett ruiniert. Nur ein äußerst windiger Kredit hat die Insolvenz noch verhindert, aber auch nachdem mit der S. S. Dolphin einer der letzten Aktivposten der Firma soeben verramscht wurde, besteht noch ein Schuldenberg von 10.100 Pokos. Bei solch einer Summe wird Olimar schwindlig und er lässt den Kronkorken fallen, den er als Souvenir von der Erde mitgebracht hat.

Vorlaute Raketen KI

Sofort stürzt sich die KI der uralten Rakete von Hocotate Freight auf das Souvenir und schätzt den Wert auf 100 Pokos. Und da es auf der Erde (nach einem Atomkrieg?) noch viele andere Sachen gibt, die auf Hocotate ein Vermögen wert sind, muss Olimars Familie noch ein Bisschen länger warten, denn der Präsident stopft Olimar zusammen mit Louie in die uralte Rakete, die sofort in Richtung Erde abhebt, damit die Firma doch noch gerettet werden kann. Da beim Landeanflug gerade ein Schneegestöber herrscht, streift man einen Ast und Louie wird aus der Rakete geschleudert, was natürlich nur den Hintergrund hat, dass ich gleich als erstes lernen soll, zwischen den beiden Piloten hin- und herzuschalten.

Doch was dann am ersten Spieltag folgt, ist selbst für Pikmin-Neulinge eines der unerträglichsten Tutorials in der Geschichte der Videospiele. Die KI der Rakete unterbricht den Spielfluss alle paar Sekunden, um ungefragt absolut jedes Detail der Steuerung in epischer Breite auszurollen. Kein Witz: An dieser Stelle habe ich auch andere Menschen schon schreien sehen, weil es zerrt unendlich an den Nerven, in etwa so als wenn der Fernseher von selbst immer wieder das Programm wechseln würde. Etwas Abhilfe lässt sich für zukünftige Durchläufe nur schaffen, indem man den Spielstand für Tag 2 sofort auf die anderen beiden Spielstände kopiert und zukünftig von dort aus dann startet.

Mehr von allem

Während der erste Teil in der Retrospektive mehr wie ein Testballon wirkt, ob ein Spiel dieser Art überhaupt funktionieren und seine Käufer finden kann, und mit seinem maximalen Umfang von 30 Spieltagen eher an ein Roguelike Indiespiel denn eine Veröffentlichung zum vollen Preis erinnert, fährt der zweite Teil mächtig gewaltig auf. Neben einer Oberwelt, die in etwa bereits den Umfang des ersten Teils hat, erwarten einen 14 Dungeons, von denen die meisten beim ersten Versuch über 30 Minuten und einige sogar rund zwei Stunde Spielzeit verschlingen können und mit knackigen Bossen aufwarten.

Entsprechend wundert es nicht, dass nun anstatt 30 Raketenteilen insgesamt 201 verschiedene Schätze gefunden werden können und sich die Anzahl der Feinde von knapp 30 auf über 60 verdoppelt hat. Außerdem wurde der Challenge Mode umgebaut und in den hässlicheren Untergrund verlegt, bietet aber nun anstatt lediglich fünf nicht zu verachtende 30 Herausforderungen, die sogar zu zweit angegangen werden können. Außerdem ist es ähnlich wie in "Pikmin 3" (2013) bereits möglich, in zehn verschiedenen Arenen gegeneinander anzutreten und um die Wette vier gelbe Murmeln zu sammeln oder die gegnerische rote bzw. blaue zu klauen (capture the flag).

Erweitertes Multitasking

Während ich in "Pikmin" lediglich verschiedene Gruppen der namensgebenden Pikmin in rot (feuerfest), gelb (blitzresistent) und blau (Wasseratmung) koordinieren musste, kommen im zweiten Teil nun noch weiße - sind giftig bzw. gegen Gift resistent, sehr schnell und verfügen über einen Röntgenblick, der vergrabene Schätze findet - und lila Pikmin hinzu, die zehnmal so schwer und stark wie die anderen sind. Außerdem gibt es in manchen Dungeons seltsame kleine Bullborbs, genannt Bulbmin, die wie die Pikmin über ein Blatt verfügen und gegen alles resistent sind, aber die Dungeons nicht verlassen können und daher nicht dauerhaft zu meiner Mannschaft stoßen.

Außerdem steht mir neben Olimar ja nun Louie zur Verfügung, der sich trotz seines offenkundigen Handicaps als aktiver Pilot ganz normal bedienen lässt. Durch den fließenden Wechsel von einem Piloten zum anderen kann ich zwei verschiedene Gruppen Pikmin schnell nacheinander koordinieren. Und selbstverständlich gibt es zahllose Möglichkeiten, dies zu nutzen, etwa wenn ich im zweiten Gebiet mit dem klangvollen Namen "Awakening Wood" ganz im Süden längere Zeit auf einen Steinzaun einschlagen muss, während im Norden ein ähnliches Gebilde unter Strom meinen Vormarsch behindert, und ich gleichzeitig noch Beeren für den neuen Buff und Debuff in Form zweier Sprays ernten will.

Besonders im Gedächtnis im Zusammenhang mit dieser neuen Spielmechanik bleibt aber der Kampf gegen den finalen Boss des Dungeons "Shower Room". Das aufgedunsene Schwabbelvieh mit Namen Ranging Bloyster geht mit seinen sieben langen Klebezungen immer gezielt auf die Sorte Pikmin los, die ihn als letztes angegriffen haben. Das Vieh ist zwar mangels Beinen nicht wirklich schnell, aber frontal praktisch nicht zu knacken, so dass ich mit Louie und einer Gruppe aus blauen u. gelben Pikmin zur Ablenkung vor seiner Nase rumtanzen musste, während von hinten Olimar mit einer Gruppe aus lila u. roten Pikmin sein knospenähnliches Schwänzchen angriff.

Geniales neues Balancing

Anders als in "Pikmin" gibt es in "Pikmin 2" kein globales Zeitlimit, das einen bei schlechter eigener Logistik zu Harakiri artigen Aktionen treibt. Dies hat zur Folge, dass ich im Gegenzug als Spieler es den Machern kaum übel nehme, dass sie mich in den Dungeons mit Herausforderungen bewerfen, die im ersten Moment sehr unfair erscheinen und mich große Teile meiner Mannschaft kosten können - wie den Gatling Groink, der mich wie eine Kanone aus erhöhter Position beschießt. Selbst wenn ich richtig einstecke, kann ich mich dafür entscheiden, dass die soeben erbeuteten Schätze es wert waren, denn ich kann ohne anderweitige Strafe mir anschließend die Zeit nehmen, meine gelichteten Reihen wieder zu füllen.

Die Schätze in "Pikmin 2", die in der japanische, amerikanischen und europäischen Version leicht variieren, sind über 26.000 Pokos wert, den ersten Abspann bekomme ich aber - wer hätte das gedacht - bereits zu sehen, wenn ich Schätze im Wert von mind. 10.000 Pokos eingesammelt habe. Jedenfalls wird erst nach dem ersten Abspann das finale vierte Gebiet "Wistful Wild" mit drei weiteren Dungeons überhaupt zugänglich. Hier zieht der Schwierigkeitsgrad dann so richtig an und die Herausforderungen auf der Oberfläche - oh ja, auch hier gibt es einen ätzend platzierten Gatling Groink - sind bereits schwerer als in so manchem Dungeon vorher.

Das entsprechende Strahlen in den Augen von irren Komplettisten kann sich wohl jeder vorstellen. Meinereiner hingegen, der sich seit 2013 zumindest durch alle Dungeons schon dreimal komplett durchgekämpft hat, ist auch bei seinem besten Savegame nur auf 176 der 201 Schätze gekommen. Einige der Schätze sind nämlich ganz schöne Brocken für die Pikmin und lassen sich nicht so leicht abtransportieren, weil den lila Pikmin die Resistenz oder die Wasseratmung fehlt, um sich etwa durch Feuer fortzubewegen. Tja, und wer dann, um beim Beispiel zu bleiben, zuvor zu viele rote Pikmin verloren hat, um den Schatz noch zu stemmen, der muss den Schatz zurücklassen und es später erneut versuchen.

Fazit:

Kaum ein Spiel aus der Zeit von Nintendos GameCube (2001 - 2006) ist so gut gealtert wie "Pikmin 2". Die Steuerung ist auch für heutige Maßstabe nahezu perfekt und das Design war nicht nur zeitlos originell, sondern man sieht - gerade wenn man das Spiel in doppelter Auflösung auf dem Dolphin Emulator laufen lässt, wie ich für die Screenshots hier - dass viele Texturen bereits im Originalspiel in einer so guten Qualität vorliegen, dass für eine Full HD Version für Nintendo Switch gar nicht so viel zu tun wäre. Lediglich die Schatten und einige poligonarme Gebilde müssten zwingend grundlegend überarbeitet werden.

Gerade Kinder begeistert an "Pikmin 2" nicht nur das eigentlich Spiel, also die Welt wie durch eine Lupe zu sehen und der (ziemlich) erfolgreiche Kampf der winzig kleinen Leute gegen riesige Insekten und andere seltsame Wesen, sondern auch, dass das Spiel wie in einem Nachschlagewerk alle eroberten Schätze und insbesondere besiegte Monster protokoliert - und dass man die Monster dann mit Pikpik Karotten (aber keine goldenen) wie in einem Zoo bewerfen kann (bitte nicht wörtlich verstehen), was die Viecher im Regelfall ziemlich auf Trab hält.

Wer das Spiel vollkommen legal und ohne jede Form von Emulation spielen will, ohne dafür horrende Summen an irgendwelche unverschämten Wiederverkäufer zahlen zu müssen, greift am besten zu der New Play Control Version, die ursprünglich 2009 für die Wii mit nativer Unterstützung von 16:9 erschien und seit 2017 für die Wii U als Downloadversion für aktuell 19,99 € zu haben ist. Wer auf der Wii U jedoch einfach startet und zwar egal ob die Download- oder die Diskversion, wird allerdings auf den meisten Fernsehern mit einem flimmernden bunten Streifen am unteren Rand belohnt werden, der zumindest mich doch immer ziemlich genervt hat.

Hier hilft es - wie auch für viele andere Spiele im Wii Modus der Wii U - vorher die Bildausgabe in den Wii U Optionen auf 480p zu stellen. Mein ursprünglicher Tipp den Analogausgang der Wii U zu missbrauchen, funktionierte leider nicht mit allen Fernsehern (egal ob mit oder ohne HDMI Adapter für die Wii) zufriedenstellend. Wer die Originalversion auf dem Gamecube oder einer abwärtskompatiblen Wii spielen möchte oder auch die New Play Control Version direkt auf der Wii, macht nach meiner Erfahrung aber mit einem HDMI Adapter nichts falsch, denn ein Komponentenkabel ist auch nicht wesentlich günstiger zu haben.


  POSITIV:
  - gut gealtert
  - perfekt für Kinder
  - einfach zu niedlich


  NEGATIV:
  - schreckliches Tutorial