MY TIME AT PORTIA

Pathea Games

(16.04.2019)

auch veröffentlicht auf
Switch, PS4 und für Windows PCs


Eigentlich wollte ich längst eine Kritik zu "Yoshi’s Crafted World" (2019) online haben, aber eine noch einmal weichgespültere Version von "Yoshi's Woolly World" (2015) war dann einfach zu viel der Anspruchslosigkeit, um sie freiwillig durchzuspielen. Etwas anders erging es mir mit "Wargroove" (2019), dem jeglicher Rollenspielaspekt der "Fire Emblem"-Serie fehlt und sich dann schnell etwas zu sehr wiederholt, um bei der Stange zu bleiben.

Dass ich dann aber gerade bei "My Time at Portia" hängen geblieben bin, obwohl auch insbesondere "For The King" (erst 2019 auf Konsolen veröffentlicht) endlich mal längere Sessions verdient hätte, hing zu Anfang ausschließlich mit dem Cover zusammen und damit, dass ich "Stardew Valley" (2016) nicht besitze. Das Cover weckt nämlich sofort Assoziationen mit der "Animal Crossing"-Serie (bisher nie selbst gespielt) und diversen Handyspielen, von denen ich so einige schon immer spielen wollte - nur eben ohne eine verflucht ätzende Paywall.

300 Jahre später...

Während "My Time" wie erwartet zunächst ganz klassisch mit der alten Werkstatt meines Vaters und (wahlweise) mit den Leuten der Kleinstadt Portia beginnt, fällt mein Blick auch immer wieder auf teils riesige Gebäude, die zwar weitgehend verfallen sind, aber architekturhistorisch um Jahrhunderte neuer wirken. Was ist hier passiert? Ein genialer Twist ist passiert: "My Time" spielt mehr als 300 Jahre in der Zukunft.

Nach einer Katastrophe oder vielleicht auch einem Krieg, deren Details aber auf jeden Fall niemand mehr kennt, sind alle digitalisierten Informationen (für immer?) verloren. Die letzten Menschen vegetierten über 200 Jahre unter einer undurchdringlichen Wolkendecke bis ein Mann mit dem seltsamen Namen Peach die Sonne zurückbrachte, wenn auch nicht verraten wird, wie er das wohl gemacht hat... Ich konnte gar nicht anders, als erst einmal: "Wie cool bitte ist das denn für ein Spiel ab 6", zu denken.

Du hast die Wahl!

Während ich wahlweise den Fokus mal mehr auf meine Landwirtschaft - ich werde dieses Jahr im Herbst den größten Kürbis haben, ich schwör - und mal mehr auf meine gleichgeschlechtliche Beziehung zu Phyllis der dickbusigen Krankenschwester lege - können wir tatsächlich ein Kind bekommen, ich bin gespannt, wie das laufen soll - beschäftige ich mich handwerklich eher mit Techniken und Maschinen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und baue ein Motorrad zu einem Tricycle um, wie man es überall in Asien findet, damit ich Schnellreisepunkte einrichten kann.

Außerdem grabe ich mich auf der Suche nach Metallen und sog. Relikten durch die Fundamente verschiedener Ruinen. Bei den Relikten handelt es sich hauptsächlich um Nippes wie Nussknacker im klassischen Soldatendesign oder etwa einem Gamepad, dessen Nutzen sich die Bewohner von Portia nicht mehr erschließen können, aber aufgestellt in meinem Haus gibt's satte Boni auf Werte wie Angriff und Abwehr, die ich auch dringend brauche, wenn ich in verlassenen Minen oder alten Fabrikanlagen gegen "Monster" und noch aktive Roboter kämpfen muss, um paar richtig wichtige Bauteile abzusahnen.

Klein ist aller Anfang

Doch zurück auf Start: "My Time" fängt bei den absoluten Grundlagen an: Sammel Holz und verarbeite dieses mit Hilfe der Werkbank, die Dir Dein Vater - zu dem ich ein ziemlich gestörtes Verhältnis habe, wie ich nach und nach herausfinde - vermacht hat. Das hat auch den Vorteil, dass ich die Hütte soweit reparieren konnte, so dass es sich mit weniger Durchzug nicht mehr so bescheiden darin schläft. Als nächstes sammelte ich Steine, um mir einen simplen Ofen zu bauen, der verschiedene Metalle schmelzen kann.

Erst dann wurde ich in die örtliche Handwerkergilde aufgenommen und konnte etwa Aufträge vom schwarzen Brett entgegennehmen. Doch Vorsicht! Die Warnung ist gerade zu Anfang ernst gemeint, dass es sich nicht so gut macht, wenn man die Aufgaben gar nicht in der dafür vorgesehenen Zeit erfüllen kann. Gerade mit nur einer einfachen Maschine kann es schon mal passieren, dass das Ding zum Flaschenhals wird und es einem nicht gelingt, rechtzeitig die verschiedenen Einzelteile herzustellen, um diese dann zum Endprodukt zusammen zu fügen.

Ich hab da was für Dich!

Zum Glück sind die Auswirkungen von verpatzten Aufträgen aber auch nicht so gewaltig, dass ich das Spiel gleich neu starten musste. Dann galt es eben mit dem nächsten Auftrag oder auf andere Art und Weise das Wohlwollen des jeweiligen Einwohners zu erlangen, etwa indem ich per Versuch und Fehlschlag und einem Druck zu viel aufs Steuerkreuz herausfand, dass Tierkot obwohl ein äußerst wichtiger Baustein für Pflanzendünger als Geschenk nicht besonders gut ankommt...

Aber auch das ist wiederum nicht wirklich schlimm für mein Beziehungsgeflecht, da Portia mehrere Dutzend Bewohner hat und falls der Typ einer von denen war, die sich nicht die Hände waschen, wäre er sowieso nicht mehr für die engere Partnerwahl in Frage gekommen. Natürlich gibt es für die Eiligen unter uns mittlerweile auch online Listen, aus denen sich ablesen lässt, wer sich über welches Geschenk freut. Witziger ist es natürlich, wenn man sich einfach selbst ein paar Notizen macht anstatt platt zu schummeln.

Nicht zu viel erwarten...

Wer wie ich viel Spaß mit "My Time" haben will, der muss sich damit abfinden können, dass alle Aktivitäten außer dem Bauen immer größerer und komplexer Wunderwerke der Technik nicht die Tiefe eines Spiels haben, das dort seinen Fokus hat. Das Kämpfen und die damit verbundene Ausrüstung ist längst nicht so fesselnd wie etwa in einem "Breath of the Wild" (2017). Über die Verkettung von Standardangriffen, einer Ausweichrolle und ein paar Buffs durch den richtigen Happen Essen geht das Kampfsystem nicht hinaus.

Auch die Landwirtschaft bringt den Kopf nicht wirklich zum Rauchen. Tiere werden in den entsprechenden Stall gesperrt. Anschließend gilt es diese nur hin und wieder zu streicheln und nicht verhungern zu lassen. Easy! Die Kühe füllen ihre Milch sogar selbständig in Flaschen. Auch nicht wirklich komplexer sind die Pflanzen: Bei kleinen Pflanzen, die schnell zur Reife gelangen, muss man lediglich beachten, sie rechtzeitig in der richtigen Jahreszeit zu pflanzen, bei großen Pflanzen nicht einmal das. Und anschließend gilt es alle Pflanzen mit Dünger geradezu zu mästen. Das ist Nichts, woran jemand der die Beschreibung der jeweiligen Pflanze lesen kann, ernsthaft scheitern könnte.

Und die einzelnen Charaktere und die Gespräche mit diesen, sind nicht mit dem zu vergleichen, was etwa ein "Mass Effect 2" (2010) auf dem Kasten hatte. Den Konsolenversionen fehlt sogar die Sprachausgabe mal eben ganz und bisher hat Pathea keine Anstalten gemacht, zu erklären was der Blödsinn soll oder wenigstens langsam mal in die Patchstrümpfe zu kommen. Trotzdem wird das Leben in einer Solidargemeinschaft - wenn auch mit unrealistisch vielen netten und kooperativen Menschen - nachvollziehbar dargestellt, und das ist etwas, was in weitaus größeren Spielen doch häufig viel zu kurz kommt.

Geschickt eingefädelt

In "My Time" läuft es einfach richtig rund, weil ich mir bei ganz vielen Sachen aussuchen kann, wie viel ich davon machen will. So tauchen mit fortschreitender Spieldauer immer mehr Möglichkeiten zur Automatisierung auf. Wer z. B. nicht stundenlang Holz schlagen will, kann die örtliche Baumschule schon recht früh im Spiel für entsprechende Holzlieferungen bezahlen. Gleiches gilt etwas später für die Metalle aus Minen oder Beute von Monstern.

Wenn ich also will, muss ich mir nur die ganz seltenen Hölzer, Metalle und Schätze aus den (nennen wir sie mal) highend Gebieten noch selbst holen, solange ich das Kleingeld dafür an anderer Stelle wieder reinholen kann, indem ich z. B. zusehe von Montag bis Freitag je einen Auftrag vom schwarzen Brett zu erledigen. Nur das Daten muss ich noch höchstpersönlich erledigen... Apropos Wochentage: In "My Time" vergeht zwar ständig Zeit und auf Herbst folgt Winter, aber die Handwerksaufträge, die mit der Haupthandlung verknüpft sind, haben kein Zeitlimit, weil sie mitunter schon ziemlich happig sein können.

Möchte ich also erst einmal in aller Ruhe reich werden, um die Größe meines Grundstücks für ausufernde Landwirtschaft und Tierhaltung zu vervierfachen, endlich mal eine richtig gute Tapete an meine vier Wände bekommen, damit das auch mal bei Zeiten mit dem Nachbarn klappt, oder hat mich der Ehrgeiz (oder Wahnsinn) gepackt, alle Teile des Relikts Modellflugzeug zu finden, dann tue ich alles dafür, nur eben nicht die aktuelle Hauptaufgabe abschließen. Irgendeine Art der Sanktion für dieses Verhalten kennt "My Time" nicht - und ich denke, dass ist bei dieser Art von Spiel auch gut so.

Fazit:

"My Time at Portia" ist ein ausgesprochen entspanntes Spiel (besonders beim Angeln), das mir als PC- oder Konsolen-Spieler die Möglichkeit bietet, ohne eine unverschämte Paywall vor mich hinzuwerkeln. Und anders als etwa in "Stardew Valley" muss ich das nicht einmal in 2D Retrografik tun, sondern in einer 3D Grafik, die insgesamt etwa bei "World of WarCraft" anzusiedeln ist. Schlimmer bzw. nervig ist da schon eher die fehlende Sprachausgabe und das einige Umgebungen nicht unbedingt die beste musikalische Untermalung erhalten haben, aber letztlich Schwamm drüber.

Insgesamt läuft das Spiel sehr rund - nur ein einziger Bug in über 50 Stunden Spielzeit - und bei den Spielmechaniken greift immer gut verständlich ein Rädchen ins andere, was nun selbst Spiele ganz anderen Kalibers in der Vergangenheit schon vor erhebliche Probleme gestellt hat. Die Geschichte und die technologische Entwicklung in "My Time" schreitet unaufdringlich voran und hat tatsächlich die eine oder andere Überraschung parat, die hier aber keinesfalls breitgetreten werden soll. Wer sich nicht daran stört, dass es mit den persönlichen Beziehungen nicht so ganz weit her ist, kann also bedenkenlos zugreifen.



  POSITIV:
  - richtig viel zu tun
  - gute optionale Inhalte
  - smarte Geschichte


  NEGATIV:
  - Sprachsamples fehlen
  - manchmal nervige Musik
  - optisch lahme Ruinen