TALES OF VESPERIA

Namco Tales Studio

(02.07.2009)


Statt "Tales of Xillia 2" ist uns Europäern zumindest schon einmal die PS3 HD Version von "Tales of Symphonia" (2004 für Gamecube) für Ende Februar 2014 sicher. Ich jedoch griff in den letzten Wochen wie angekündigt für "Tales of Vesperia" (2009) in den Xbox 360 Controller.

"Tales of Graces f" (2012) konnte ja nicht ganz mit "Tales of Xillia" (2013) mithalten und so war ich erstmal davon ausgegangen, dass bei "Tales of Vesperia" der Abwärtstrend anhalten würde. Als der Aerobic Bumsrock Song zum wirren Zeichentrickclip einsetzte, nur um danach in ein ruhiges Panorama mit ebenso ruhiger Musik überzugehen, fühlte ich mich schon mal voll bestätigt. Doch dann - wie aus dem binären Nichts - überraschte mich das Spiel aus der Zeit, als Microsoft versuchte JRPGs auf der Xbox 360 heimisch werden zu lassen, in fast jeder Hinsicht.

Und es geht doch!

Mal abgesehen von der detailarmen Darstellung der Überlandkarte, die zwei Klassen hinter dem Gott der Videospiele "Ni no Kuni" (2013) hinterherhechelt, verweist "Tales of Vesperia" seine beiden Nachfolger geradezu mit Leichtigkeit auf die Plätze.

Nicht etwa, weil das Xbox 360 den beiden PS3 Spielen technisch davoneilt, sondern weil kleine wie große Städte trotz des drei Lädenblödsinns mit mindestens der doppelten Anzahl wichtiger und interessanter Details viel schöner und organischer gestaltet sind und Dungeons abwechslungsreich und in ihrem eigenen Stil ohne große Ausreißer nach unten das Auge erfreuen. Besonders dankbar bin ich, dass diesmal keine Farbkombination gewählt wurde, die mich fast erblinden oder kotzen lässt. Wenn die Charaktere oder Monster nicht in Nahaufnahme zu sehen sind, hätte ich auf Screenshots "Vesperia" glatt für das neueste Spiel der drei gehalten.

Sieben Freunde, fünf Charakterköpfe

Während die Ausbeute bei den Nachfolgern mit je einem echten Leistungsträger zu mager ist, gelingt es dem Namco Tales Studio mit Yuri, Karol, Rita, Raven und Judith trotz gewohnt geringem Durchschnittsalter gleich fünf Sympathieträger in die eigene Party zu integrieren. Auch Nebenfiguren wie der Don oder Gegner wie Zagi, Cumore und Yeager sind teils witzig, teils glaubwürdig umgesetzt und tragen zum Spielspaß bei.

Insgesamt ist der Plot von "Tales of Vesperia" im japanischen Vergleich "down to earth" und erinnert von der Ausgangslage etwas an unser Problem mit Kohlenstoffdioxid-Emissionen. Wirklich stark daran ist, dass Machtspiele innerhalb der Regierung eines Landes dargestellt und diplomatische Beziehungen zwischen Ländern beleuchtet werden. Die Freunde Flynn und Yuri diskutieren im Spiel sogar, ob sich die politische Landschaft eher durch Reformen oder Revolution verändern lässt.

Sogar vor dem komplexen Thema Recht und Gerechtigkeit schrecken die Macher nicht zurück - und treten dann nicht etwa auf die Bremse, sondern zücken das heißesten aller Computerspieleisen: Selbstjustiz. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich bei allem japanischen Pathos diese Konsequenz dann doch überrascht hat. Ich meine, in welchem amerikanischen oder europäischen Schlachtefest wurde die Selbstjustiz des Helden jemals thematisiert?

Go with the Flow!

Mit Grauen erinnerte ich mich nur alzu gut an die bescheuerten Schalterrätsel aus "Tales of Graces f" und so wurde ich mit jeder Spielstunde über die zehnte hinaus immer ungeduldiger, wann mich auch hier diese Geisel heimsuchen würde. Irgendwann kamen dann tatsächlich Schalterrätsel, aber das Prädikat "ätzend" verdiente sich diese nicht, sondern lockerten tatsächlich die Kämpfe auf und waren immer so gestaltet, dass man nicht ewig daran herumdokterte.

Zwar ist das Kampfsystem noch etwas einfach gestrickt - insbesondere fiel mir auf, dass ich durch Kombos der Standardschläge mit anderen Charakteren keine Schadensspitzen generieren kann - aber dafür wird keine Augenwischerei mit König Zufall oder dutzenden Parametern betrieben, die man sich nur durch längere Internetrecherche erschließen kann. Das Charaktersystem erlaubt und verlangt echte Individualisierung (außer bei Rita, die immer ein Kampfmagier bleiben wird), insbesondere weil ich nur etwa die Hälfte der passiven Fähigkeiten haben kann, aber zu gerne alle hätte.

"Sogar" Waffen, Rüstungen usw. haben sinnvolle und vor allen Dingen unterschiedliche Werte, so dass z. B. der Magieschaden auf Kosten des physikalischen Schadens gezielt erhöht werden kann. Ich frage mich, warum das bei den anderen beiden Spielen später so nicht auch möglich war. Keine Zeit zum Testen? Kein Bock? Negatives Feedback?!?

Die andere Seite der Medaille

"Tales of Vesperia" ist bereits 2008 in Japan erschienen und wurde zu einer Zeit entwickelt, als eine Vollvertonung in JRPGs viel eher die Ausnahme als die Regel war. Dies ist hier gleich aus zwei Gründen ärgerlich: Erstens machen die englischen Sprecher fast alle einen super Job und zweitens erscheint mir die Wahl verstörend beliebig, welche Stellen vertont wurden und welche nicht.

Was aber wirklich nicht sein muss, ist dieses radikale Game Over, das daherkommt wie ein Vierkantholz auf die Nase. Wenn man in einem Kampf stirbt, darf man den letzten Spielstand laden - und der kann schon etwas älter sein, weil es kein Autosave gibt. Noch schlimmer ist, wenn man bei Bosskämpfen wiederholt ins Gras beißt, denn dann heißt es nicht nur Spielstand laden, sondern auch gleich mehrmals die Cutscenes davor abzuwarten, denn ein komplettes Überspringen ist auf der Xbox 360 nicht möglich.

Die PS3 Version

Es überrascht mich nicht, Dich nicht, wahrscheinlich überrascht es niemanden, dass sich "Tales of Vesperia" wie praktisch jedes Xbox 360 Spiel in Japan nicht verkauft hat - weil dort niemand eine Xbox 360 besitzt. Also spuckt das Namco Tales Studio noch einmal in die Hände und nur drei Monate nach dem europäischen Release erblickt eine rein japanische PS3 Version das Land der aufgehenden Sonne.

Das wäre nicht schlimm und würde mich nicht die Bohne ärgern, wenn die PS3 Version nicht vollvertont wäre, zwei neue Partymitglieder bietet und Cutscenes übersprungen werden können. Außerdem enthält die PS3 Version mehr Musik, mehr Quests, mehr Dungeons, mehr Städte und mehr Bosskämpfe. Schönen Dank, auch! Entlasst endlich den Typen, der seit Jahren diesen Versionsmischmasch verbricht - und haut ihm zum Abschied mit dem Game Over Vierkantholz auf die Nase!!!

Fazit:

Mit Nichwissen sage ich, dass eine europäische PS3 Version noch ein paar Punkte mehr eingefahren hätte, aber gerade auf der Xbox 360 Konsole ist "Tales of Vesperia" aufgrund der relativ wenigen hochwertigen Alternativen immer noch eine ganz dicke Empfehlung mit einem ebenso dickem Handbuch (50 Seiten) und Spielzeit (50 Stunden allein für die Hauptquest).

Nun brauche ich aber wirklich eine Pause von JRPGs und werde mir diese vermutlich mit dem Addon "Enemy Within" zu "XCOM: Enemy Unknown" (2012) gönnen. Wobei ich eigentlich schon weiß, dass die Pause nicht so furchtbar lang sein wird, denn Ende des Jahres (natürlich nur eine Woche nach meinem ursprünglichem Review auf den 21.03.2014 verschoben...) erscheint "Final Fantasy X/X-2 HD Remaster" - und obwohl ich das Charakterdesign eher abstoßend finde, ist die Nummer so gut wie gekauft.



  POSITIV:
  - auf Xbox 360 einzigartig
  - lange Zeit bestes Tales
  - starke Geschichte
  - kritisch bei Selbstjustiz


  NEGATIV:
  - fehlende Vertonung
  - kein Autosave
  - japan. PS3 Version besser