SINS OF A
SOLAR EMPIRE

(26.06.2008)

Entrenchment

(25.02.2009)

Ironclad Games


Wer kennt nicht diese Werbefilmchen, in denen eine Person, gerade nachdem sie die Kasse passiert hat, irgendetwas zu ihrem Kauf gefragt wird. Besonders bekannt ist wohl die Nummer, wo dann immer ein Apfel zum Reinbeißen gereicht wird. Sowas in der Art hätte man mit mir nach dem Kauf von "Sins of a Solar Empire" auch mal machen sollen. Meine Antwort wäre gewesen: "Ich glaube, ich habe mich gerade massiv selbst verarscht."

Nicht nur, dass ich immer noch nicht den geringsten Plan hatte, wie das Spiel überhaupt funktionieren sollte, obwohl ich zwei Kritiken, den Wikipediaeintrag und den Klappentext gelesen hatte, nein, ich hatte auch noch eine Schachtel in der Hand, auf der der Vertrieb des mir völlig unbekannten Entwicklungsstudios Ironclad Games die Kuppe besaß zu verkünden, "Solar Empire" wäre auf dem Sektor der Echtzeitstrategie "unerreicht gut" und der "Nr. 1 Smash Hit aus den USA". Wäre ich nicht so total ausgehungert nach einem mir unbekannten Spiel gewesen, ich hätte spätestens beim Anblick der Verpackung niemals 30 € dafür hingelegt.

Der lange Weg zum Patch

Und überhaupt... Echtzeitstrategie, irgendwie war ich selbst während des Intros noch der Überzeugung, es würde sich bei "Solar Empire" weitgehend um eine 1:1 Kopie von "Master of Orion II" (1996) handeln, also würden da maximal die Gefechte in Echtzeit ablaufen. - Denkste, Puppe, beim Start des Tutorials schmiss mich "Solar Empire" in ein Echtzeitall. Sofort wurden unangenehme Erinnerungen an "Homeworld" (1999) wach: "Okay, tief durchatmen... wird schon werden, seitdem sind immerhin fast zehn Jahre vergangen, vielleicht haben die ja dazu gelernt - guck erstmal, ob das Spiel auch auf dem neuesten Stand ist, bevor Du hier was lernst, was sich mittlerweile geändert hat."

War's nicht, was an sich auch überhaupt kein Problem wäre, aber Updates gibt es nur noch über das Programm "Impulse" (vergleichbar mit "Steam") des amerikanischen Publishers Stardock Entertainment. Und um dort wiederum sein Update zu ziehen, muss man ein Benutzerkonto einrichten und für dieses Benutzerkonto das Spiel registrieren. Digital Rights Management in Reinkultur also - davon steht natürlich nichts auf der Verpackung.

War mir aber zu dem Zeitpunkt echt scheißegal, konnte mir sowieso nicht vorstellen, dass mir das Spiel irgendwer abkaufen würde. Also fröhlich den Download und das Patchen abgewartet und - ZONK! - beim Start begrüßten mich alle Schaltflächen nur noch mit "String not found", weil durch das Update leider nicht die benötigte deutsche Datei für alle Texte sondern die amerikanische aufgespielt wird, und die ist zu meiner deutschen Installation nicht die Bohne kompatibel.

Abhilfe - das muss man sich echt mal reinziehen - bekommt man nicht von offizieller Seite sondern lediglich von der deutschen Fanseite, die eine deutsche, von ihnen selbst modifizierte Datei für einen bereithält. Da ich mich langsam so fühlte, als wenn ich nass und gebückt ein Stück Seife in der Hand halten würde, hab ich das Spiel nochmal komplett runtergeworfen und mir per "Impulse" gleich die amerikanische Version aufgespielt.

Und wie das immer so ist: Wenn man eine knappe Stunde später beim erneuten Start des Tutorials nicht mehr daran glaubt, dass aus einem Spiel noch etwas wird, dann erlebt man die dicksten Überraschungen!!!

Das Grobe

"Solar Empire" hat ohne Zweifel auch "Master of Orion II" als Vorbild, von diesem erbt es aber "nur" das grundlegende Setting der weltraumfahrenden Parteien, den für ein Echtzeitstrategiespiel sehr großen Technologiebaum und den Aufbau der Spielfläche, die aus einzelnen Planeten besteht, zwischen denen per Hyperdrivesprung, während dem man nicht angreifbar ist, gereist wird.

Praktisch das restliche Gameplay - und diesen Hinweis habe ich von "offizieller" Seite überall vermisst, wenn ich über "Solar Empire" gelesen habe - ist nahezu unverändert aus "WarCraft III" (2002) übernommen worden. Die Großkampfschiffe entsprechen bis auf die Tatsache, dass sie kein Inventar haben und nicht wiederbelebt werden können, zu 100 % den Helden. Sie steigen genauso auf, sie haben genauso vier meist Energie abhängige Fähigkeiten, von denen Sie den Ultimate auf Level 6 erwerben, und sie spielen innerhalb der Armee ebenfalls haargenau die gleiche Rolle.

Das Stein-Schere-Papier-Prinzip der verschiedenen Rüstungs- und Schadensarten ist praktisch identisch und die Notwendigkeit, im späteren Verlauf von Fregatten auf Kreuzer zu wechseln, kommt dem Wechsel von z. B. Fußsoldaten auf Rittern sehr nahe. Es gibt sogar Creep in Form von fraktionslosen Raumschiffverbänden, der zunächst die Planeten bewacht.

Und - das finde ich am allerschönsten - es gibt Upkeep also Unterhaltskosten abhängig davon welche Flottengröße mein Reich unterstützen soll. Und diese Kosten sinken anders als bei "WarCraft III" nicht wieder, wenn man alle Schiffe verliert, sondern die fixen Logistikkosten fressen einem dann weiterhin die Haare vom Kopf.

Ähnlichkeiten sind auch im Balancing nicht zu übersehen. Dauerhaftes Einigeln ist selbst mit der gleichnamigen Micro-expansion "Entrenchment" nur punktuell und bedingt möglich, denn die Abwehrstellungen kosten ordentlich Resourcen und jeder Planet unterstüzt abgesehen von den besonders teuren Spacestations nur eine bestimmte Anzahl davon, so dass ein entschieden geführter Angriff allein mit stationärer Verteidigung nicht zurückgeschlagen werden kann.

Das Feine

"Solar Empire" hat aber auch einige Ideen und Lösungen am Start, die ich so noch nie oder schon ewig lange nicht mehr in einem Echtzeitspiel sehen dürfte, so dass es einem die Freudentränen in die Augen treibt, und umschifft somit viele der unseeligen Klippen, die sich in vielen Echtzeitstrategiespielen finden. Das Auffälligste und Augenscheinlichste ist dabei die Größe der frei dreh- und zoombaren Spielfläche (think "Carrier Command").

Klingt zunächst banal, ist aber eine deutliche Abkehr von dem derzeit überall praktiziertem 30minütigen Missionstanz auf zwei Bierdeckeln oder dem Wechsel zwischen Runden und Echtzeit wie er z. B. auch von "Star Wars: Empire at War" (2006) oder der "Total War"-Reihe praktiziert wurde bzw. wird. Eine Partie auf einer kleineren Karte mit einem oder auch drei Computerspielern dauert hier bereits drei bis fünf Stunden, während die ganz großen Karten mit insgesamt bis zu zehn Parteien einen ganzen Tag in Anspruch nehmen.

Als zweites gibt es da den Schwarzmarkt und das rudimentäre Diplomatiesystem, die es einem aber viel besser als z. B. "Sid Meier's Civilization IV" (2005) mit seinen tausend Optionen erlauben, tatsächlich ohne unendlichen Aufwand etwas anderes als eine expansive Militärstrategie zu fahren.

Den Überschuss des eben ausgehandelten Handelsvertrags z. B. kann man nämlich gleich wieder in das Kopfgeld für den Handelspartner investieren. Da man dieses anonym einzahlt, täuscht man offiziell das beste Verhältnis vor, während man tatsächlich die Flotte des anderen mit permanenten Piratenangriffen im eigenen Raum zur Verteidigung bindet und sich so weitere Planeten unter den eigenen Nagel reißen kann.

Außerdem bietet der Schwarzmarkt die wunderbare Möglichkeit ebenfalls ganz anonym überschüssige Resourcen knapp unter Marktpreis anzubieten und sich so eine ordentliche Summe direkt vom Todfeind auf das eigene Konto zahlen zu lassen, wenn dieser seine Flotte neu aufbaut, die man ihm gerade zerbröselt hat.

Eine typische Partie gegen einen Gegner

In der klassischen Variante startet man mit einem Planeten und einer Fabrik für Fregatten. Sofort gilt es Entscheidungen zu treffen, wofür man die zunächst nur sehr spärlichen Resourcen Geld, Metall und Kristall einsetzt. Maximiert man das Bevölkerungslimit des Planeten, was schon bald höhere Steuereinnahmen bedeutet, oder baut man sofort eine Fabrik für das erste Großkampfraumschiff, um schnell die Nehmerqualitäten zu haben, mit der ein weiterer Planet ohne große Verluste eingenommen werden kann.

Oder man erhöht möglichst schnell die logistische Kapazität des Planeten, so dass man Forschungslabore im All errichten kann, die wiederum den Zugriff auf weitere Fregattentypen erlauben oder die Ausbeute des Metall- und Kristallabbaus erhöhen. Höchstwahrscheinlich muss auch bald die Besiedlung von Eisplaneten erforscht werden, da gleich einer nebenan wegen dem reichen Kristallvorkommen nicht zu lange unbesiedelt bleiben darf. - Außerdem sollte man besser gleich mal sicherstellen, dass der erste Piratenüberfall dem Gegner gilt und nicht einem selbst. Es ist nämlich sehr unangenehm wenn sich Piraten und Gegner die eigene Haustürklinke abwechselnd in die Hand drücken... apropos Gegner: Sobald man auf Konfrontation aus ist, muss man sich entscheiden, welche Planeten wieviel stationäre Verteidigung erhalten und wie groß die eigene Flotte für einen effektiven Angriff mind. sein sollte.

Auf der Basisstufe mit 100 Flottenpunkte kann man als Spieler der Fraktion Trader Emergency Coalition (TEC) gerade einmal ein Großkampfschiff und zehn der ersten, leichten Fregatten unterhalten, was für die Bombadierung eines Planeten nicht ausreicht. Für 9 % aller Einnahmen (Geld, Metall und Kristall) gibt es weitere 150 Flottenpunkte, aber der Schritt will wohlüberlegt sein, denn schnell habe ich festgestellt, dass ich es mir plötzlich überhaupt nicht mehr leisten konnte, auch tatsächlich so viele Raumschiffe zu bauen.

"Solar Empire" verlangt nach vergleichsweise wenig Klicks und Micromanagement aber nach viel Aufklärung, Täuschungsmanövern und der richtigen Flottenzusammenstellung. Aufgrund der Größe der Spielfläche kommt es in erster Linie darauf an, den Planeten anzugreifen, den der Gegner mit seiner Flotte nicht rechtzeitig verteidigen kann, denn wer beim Eintreffen des Gegners weiterhin auf dessen Installationen ballert, wird gnadenlos aufgerieben.

Besonders vielversprechend sind daher z.B. gleichzeitige Angriffe an zwei Enden des gegnerischen Imperiums. Während man mit wenigen schweren Bombern auf einen Planeten anlegt, greift die Hauptstreitmacht weit entfernt gezielt Forschungslabore usw. an. Wichtig dabei ist, dass die eigene Feuerkraft auch tatsächlich ausreicht, um innerhalb der Zeit, die einem bis zum Eintreffen der Verteidigung bleibt, Schaden anzurichten. Es kostet nur unwiederbringbare Resourcen, den Planeten auf 50 % zu schießen und sich dann halstief rasieren zu lassen.

Jede Menge Details

Verglichen mit einem herkömmlichen Echtzeitstrategiespiel gibt es einige Schräubchen mehr, an denen man zu drehen hat. Diese sind aber alle gut und durchgehend sinnvoll erreichbar. Auch das Ausrichten der dreidimensionalen Spielwelt geht nach ein paar Minuten perfekt von der Hand, so dass man nie die Orientierung verliert.

Zwar heißt es immer: "Im All hört Dich keiner schrein", aber das wäre auf Dauer dann doch ein Bisschen öde gewesen, also warfen die Entwickler jeglichen Realitsmus diesbezüglich über Bord. Zu den sehr guten Effekten gesellt sich gute, wenn auch rein synthetische Musik, die aber insgesamt viel zu kurz ausfällt. Auch die englische Sprachausgabe geht mehr als okay, beschränkt sich aber nahezu auf die Bestätigungssprüche der Einheiten.

Der Grafik fehlen die letzten Details, weil ausschließlich leblose Körper nun mal keine erwähnenswerte Animationen hergeben, aber allein der stufenlose, rasendschnelle Zoom vom ganzen Sonnensystem runter auf einen einzelnen unbemannten Flieger von nur wenigen Metern Länge gleicht dies wieder aus. Die Framerate bricht auch dann nicht merklich ein, wenn über 100 Schiffe sichtbar sind. Gewürzt wird das Ganze mit fetten Explosionen inkl. Trümmern und einigen wünderschönen Farbverläufen in den Weiten des Alls.

Berichten zu Folge hat es etwas gedauert, aber mittlerweile gibt es keine Übertaktik mehr, die einer der drei Parteien idiotensicher den Sieg beschert. Die Unterschiede zwischen TEC, Advent und Vasari erscheinen anfänglich nur marginal, vergrößern sich aber mit zunehmender Spieldauer ständig. Etwas übermächtig erscheinen mir insgesamt die unbemannten Flieger, wenn sie plötzlich in Massen auftreten, da nur relativ wenige Abwehrmöglichkeiten bestehen. Die KI hat als einzige echte Schwäche den Drang zu viele Großkampfschiffe zu bauen.

Ich kann nicht leugnen, dass ich tatsächlich das Gefühl hatte, dass es anfangs eine satte Hürde zu nehmen galt. Doch die vier Tutorials, das sehr gute Handbuch und die ebenfalls sehr guten Tooltips lassen einen dann doch schnell reinkommen, obwohl es keine Kampagne mit einer unverlierbaren ersten Mission gibt. Zur Vermeidung von Frust sollte einfach für die erste Partie eine mittelgroße Karte und die leichteste Spielstufe gewählt werden. Dies stellt sicher, dass man für seine unvermeidbaren Anfängerfehler nicht gleich die Quittung bekommt.

"Solar Empire" ist ganz auf Multiplayer ausgerichtet. Intro und Handbuch legen zwar ein großartiges Fundament für eine epische Geschichte, aber zu meinem Erstaunen passiert sie dann nicht. Vermutlich war dies mit einem Budget von nur einer Million Dollar einfach nicht zu realisieren. Zum Vergleich: "Wing Commander IV" (1996) kostete 13 Millionen Dollar, "Crysis" 15, "Diablo II" gar 25 und allein die Kosten der amerikanische Version von "World of WarCraft" bis zum Veröffentlichungstag schätzt der Spiegel auf über 50 Millionen.

Fazit:

Erfolgreich große Teile eines "Master of Orion II" mit denen eines "WarCraft III" zu verschmelzen, ist schlichtweg eine Meisterleistung, für die es derzeit keine Entsprechung im Bereich der Echtzeitstrategie gibt. Dabei ist das Spiel aber nie unnötig komplex, vermutlich aber trotzdem nicht als "mein allererstes Computerspiel" geeignet.

Ich habe noch nicht einmal angefangen gegen menschliche Gegner zu spielen, aber ich habe praktisch jede freie Minute - kumuliert sind das über 40 Stunden mit dem Original und nunmehr auch bald 20 Stunden mit der Micro-expansion "Entrenchment" - verbracht. Abnutzungserscheinungen kann ich bisher nicht ausmachen, ich lerne noch bei jedem Spiel dazu (sprich ich verliere derzeit auf "hart" drei von vier Spielen).

Nach der gefühlt ewigen sauren Gurkenzeit für vergleichbare Spiele treibt es mir geradezu die Freudentränen in die Augen. "Solar Empire" darf - wenn man einmal von der fehlenden Kampagne absieht - tatsächlich von sich behaupten "unerreicht gut" zu sein. Und meine Nachforschungen haben ergeben, dass sogar die Sache mit dem "Nr. 1 Smash Hit aus den USA" nicht gelogen ist, sondern man mit 200.000 Einheiten innerhalb des ersten Monats die großen Namen - wenn auch mit etwas Glück und einem weise gewählten Veröffentlichungszeitraum - hinter sich gelassen hat.

Es ist stolze 16 Jahre her, dass ich mit dem D&D basierenden "Stronghold" (1993) der Stormfront Studios trotz Abwesenheit einer Kampagne bzw. Geschichte allein beim Spiel gegen den Computer so viel Spaß hatte. Gar nicht auszudenken, welche Wertungshöhen das Spiel erreichen kann, wenn Ironclad Games es irgendwie gebacken bekommt innerhalb der zweiten oder dritten Micro-expansion doch noch etwas Story nachzuliefern.

Überhaupt scheint sich rund um Stardock Entertainment, deren (jetzt aber wirklich) "Master of Orion II" Kopie "Galactic Civilizations II" (2006) ich noch nicht ausführlich gespielt habe, Interessantes zusammen zu brauen. Da Atari mit seinem breiten Arsch lieber dümmlich auf den Namensrechten aller MicroProse Klassiker sitzt und für keine Arbeit sehr viel Geld sehen will, hört das in der Entwicklung befindliche Baby zwar auf "Elemental - War of Magic", aber Hauptsache die Fans bekommen endlich überhaupt einen Nachfolger zu einem der absoluten Kultklassiker: "Master of Magic" (1994)!!!



  POSITIV:
  - technisch sauber
  - cooler Zoom
  - großer Technologiebaum
  - gute KI Gegner
  - Stein-Schere-Papier
  - sehr guter Kartenpool
  - jede Menge Möglichkeiten


  NEGATIV:
  - Geschichte fehlt
  - etwas steril
  - DRM-/Patchprobleme