HELLGATE: LONDON

Flagship Studios

(29.10.2007)


"Hellgate: London" war aus zwei Gründen für mich die wichtigste Veröffentlichung des Jahres:

  1. Bei "Hellgate: London" handelt sich sich um den inoffiziellen 3D Nachfolger von "Diablo II - Lord of Destruction" (D2LOD) - einer der unbestrittenen, in seinem Genre bisher unerreichten Klassiker in der Geschichte der Computerspiele - entwickelt von einem Team rund um die Ex-Blizzard North Mannen und "Diablo"-Schöpfer David Brevik, Bill Roper und den Schaefers.
     
  2. "Hellgate: London" versprach endlich mal wieder ein Spiel mit einem guten Endlosspiel zu sein, also ein Spiel, dass man auch nach 200 Stunden noch gerne spielt, weil die Spielmechanik so ausgereift ist, dass man sich rundum wohlfühlt, selbst wenn es auf einem höheren Schwierigkeitsgrad nicht mehr viel Neues zu entdecken gibt.

Nach langer Entwicklungszeit vermeldeten die Flagship Studios Mitte Oktober 2007 endlich, dass ihr Baby den Goldstatus erreicht hatte und nun in den nächsten Tagen eine Demo folgen würde. Die Demo saugte ich mir natürlich sofort - und traute meinen Augen nicht:

Die Framerate der Demo brach auf meinem Rechner fast unabhängig von den Grafikeinstellungen immer wieder unerklärlich ein, die Animationen sowohl der Gegner als auch der eigenen Spielfigur waren erschreckend hölzern irgendwo auf dem Niveau von 2002 und, obwohl die Demo ohne Videos etc. mit 1,5 GB daherkam, bot sie gerade mal eine handvoll verschiedener Gegner, zwei Grafiksets (Umgebungen) und eine U-bahnstation. Wie praktisch jeder irrte ich am Ende der Demo wie ein Brot auf Beinen umher, da einem nirgendwo mitgeteilt wurde, dass die Demo nun schon zu Ende war, bevor es überhaupt richtig los ging.

Wenn man ein Spiel nicht verkaufen will, dann muss man so eine Demo veröffentlichen. Nur schwerlich und mit geradezu detektiven Eifer konnte ich unter all dem Mittelmaß erahnen, dass man bezüglich des in der Demo spielbaren Scharfschützens und Schwertmeisters und der Aufwertung der Waffen wohl doch auf dem richtigen Weg war.


Optimistisch zog ich einen Tag vor dem offiziellen Veröffentlichungsdatum das Spiel in der entschärften deutschen Version (trotzdem ab 18) aus dem Händlerregal und traute diesmal gleich Augen und Ohren nicht:

Das Introvideo war soweit komprimiert worden, dass die Farben blass sind und sich bis zu fingernagelgroße Artefakte bilden. Als Zugabe wurde der Sound mit gerade mal 128 kbps oder sogar noch weniger gespeichert, so dass einem die Ohren klirren. Ein Blick auf die DVD lässt meine Schläfen pochen - noch über 1 GB frei (übrigens auch auf der mehrsprachigen europäischen Version, wie ich später herausfand).

HASS!!! - Abgrundtiefer HASS, weil ähnliche Scheiße schon bei "WarCraft III - Reign Of Chaos" der Fall war, aber da lies es sich wenigstens aus wirtschaftlichen Gründen "nachvollziehen", weil man eine weitere CD sparen wollte. Aber das hier? Was um Himmels Willen soll dieser OBERBOCKMIST?!?!?

Da die Server erst mit dem europaweiten Verkauf einige Tage später ans Netz gingen, blieb mir zunächst nichts anderes übrig, als den ungepatchten Singleplayermodus zu spielen, denn auch den Patch gab's nur automatisch vom Server. Am Anfang eines jeden Hack & Slay RPGs steht die Charakterwahl. Hier hat man konkret die Auswahl zwischen drei Figuren, die direkt Schaden austeilen (Schwertmeister, Kampfmagier und Scharfschütze), zwei Figuren, die sich Helfer bedienen (Beschwörer und Ingenieur), und dem Hüter, der mehr so den dummen Buffer gibt und für mich daher im Singleplayermodus nicht in Frage kam.

Meine Wahl fiel schließlich auf den Kampfmagier, weil ich ihn am wenigsten originell fand, und sehen wollte, was die Jungs aus dem ausgelutschten Magierkonzept gemacht haben. Etwa 25 Spielstunden später, was etwa 60 % des Spiels entspricht, kann ich sagen: Nicht viel Neues! Da gibt es die direkten Schadenszauber, die Flächenzauber und irgendwann gibt's dann sogar einen Helfer in Form eines Feuerelementars, der aber nichts aushält und daher im Schnitt alle 20 Sekunden neu beschworen werden muss. Immer dann, wenn es etwas voller wurde, hatte ich auch mehr das Gefühl, als hätte ich "Opfer" auf der Stirn stehen. Selbst im Vergleich zum Hüter teilte ich bescheiden aus und stand als Manaschleuder schon mit den Hosen unten da, wenn die Hälfte der Monster noch lebte. Vielleicht hat mir auch nur die richtige "Waffe" gefehlt, aber da man auf Zufallsdrops angewiesen ist, konnte ich da nichts dran drehen.

Nur logisch, dass ich zusammen mit Bruderherz sofort mit einem neuen Charakter loslegte, sobald der Multiplayermodus verfügbar war. Mein Hüter kam zu Anfang nur langsam in Fahrt und fungierte die erste Spielhälfte lediglich als Ablenkung, war um Level 20 herum kurz brauchbar, da ein gutes Schwert eintrudelte, und ist nun gegen Ende wieder nur Zuschauer. Der Scharfschütze von Bruderherz dagegen war von der ersten Sekunde an der typische Superheld und hätte auch ohne meine Hilfe kaum Probleme gehabt. Überhaupt ist der Scharfschütze in Verbindung mit der Egoperspektive der interessante Teil des Spiels, verschmelzen hier doch die Stärken von Egoshooter, Skills, Ausrüstung und modifizierbaren Waffen zu einem so bisher nicht gekannten schnellen und explosiven Spielerlebnis.

Trotz mittlerweile einiger Patches hat der Multiplayermodus noch so seine Bugs, die einem gehörig auf den Puffer gehen können. Als Obernerver gelten für mich, dass Mitspieler oft nach einem Instanzenwechsel unsichtbar sind und der Unsichtbare dann solange zwischen den Instanzen hin- und herwechseln muss, bis er wieder sichtbar ist, und dass Questziele nicht erfüllt werden können. So soll man z.B. zehn Zombieherzen einsammeln oder zehn Zombies töten, aber der Zufallsgenerator hat insgesamt nur acht Zombies im Level plaziert, so dass man die Nummer vergessen kann. Diese beiden Fehler treten so häufig auf, dass ich mir schlichtweg nicht erklären kann, dass sie sich noch im Spiel befinden. Z.B. die "Nimm's leicht. Schieß!"-Quest, bei der es 14 Splitterschäler zu töten gilt, ist derzeit sogar dauerhaft unlösbar, da nur etwa jeder vierte Kill gezählt wird, ganz toll sowas!!!

Die Steuerung funktioniert im Großen und Ganzen. Alle Chrakterklassen lassen sich gut lenken und das Inventar und was damit zusammenhängt, stellt einen vor keine größeren Probleme, auch wenn die Aus- und Aufrüsterei etwas hakelig ist, weil der coole Look über die Übersichtlichkeit gesiegt hat. Die anfänglichen Probleme mit dem Chatfenster wurden gefixt, das war nämlich gerne verschwunden oder zu sehen, wenn man es genau andersherum wollte.

Wie bereits beschrieben klirren die Videos. Sowas ging okay, als man Spiele noch auf Disketten ausgeliefert hat, aber heutzutage kann's das schlicht und ergreifend nicht sein. Viel schwerer wiegt jedoch, dass die NPCs trotz ihres überschaubaren Umfangs an Text nicht vertont sind und nur irgendwelche möchtegernwitzigen Begrüßungs- und Verabschiedungskommentare von sich geben. Das mag sicherlich viele Gründe haben, wie z.B. das man den Aufwand bei den verschiedenen Sprachversionen gescheut hat und für kommende kostenpflichtige Zusatzinhalte nicht jedes Mal alle Synchronsprecher zusammentrommeln will, raubt dem Spiel aber viel Atmosphäre. Die Soundeffekte gehen okay, nur wenn man von anderen Hütern unterstützt wird, bekommt man Aggressionen aufgrund der völlig beliebig erklingenden Geräusche für Schläge und Auren. Die Musik ist genaugenommen noch am besten gelungen.


"Hellgate: London" ist grafisch einfach zu eintönig. Der erste Außenlevel bei Schnee, der erste Aufenthalt im ausgetrockneten Flussbett der Themse und die Nekropolis beeindrucken, aber davon ab gibt es immer nur die gleichen, wenig umfangreichen Grafiksets zu sehen mit denen viel zu oft wenig glaubwürdige Umgebungen (sinnfreier Aufbau, Größe, Breite der Gänge) gebaut werden. Ähnlich verhält sich mit den Monstern, von denen nur wenige mit interessanten Animationen ausgestattet sind. Nicht einmal die eigene Figur bewegt sich überzeugend. Das Instanzenkonzept ist absolut tödlich für den Eindruck, dass man sich in einer Stadt nach einer dämonischen Invasion befindet. Es gibt nur die sichere (meist blitzblanke) und die unsichere Zone, keinen Übergang, kein Elend, keine Ungerechtigkeit. Auf der Habenseite kann das Spiel für sich verbuchen, dass die Shader in der vollen Bandbreite analog DirectX 7 bis 10 angeboten werden und somit auch ältere Grafikkarten wie die GeForce 6600 GT das Spiel noch flüssig darstellen können. Zwar leidet die Optik dann merklich und die Physikberechnungen nach einer Explosion sorgen weiterhin für derbe Einbrüche in der Framerate, aber ich finde die Option der Shaderwahl gerade bei der neuen DirectX 10 Spielegeneration als ein absolutes Muss.


Für alle Freunde des gepflegten Splatters kann ich Entwarnung und Enttäuschung zugleich verkünden. Die aus der internationalen Version entfernten Effekte sind so lahm, dass ich nicht mal nachträglich die englische Fassung auf meinem PC installiert habe.

In Sachen Balance wurde das Ziel klar verfehlt. Dass die einzelnen Charakterklassen im Hinblick auf den Multiplayermodus extrem verschieden viel Schaden austeilen und einstecken können, passt irgendwo ja noch, aber dass ich bei den Waffen dermaßen vom Zufall abhängig bin, kann's irgendwo nicht sein. Von drei Charakteren auf Level 20 hatte einer eine Waffe mit einem Grundschaden von 200, einer mit 150 und einer mit 110. Was das bedeutet, muss ich wohl nicht beschreiben...

Ähnlich verfehlt finde ich auch die Balance bei den Spezialfertigkeiten. Während der Scharfschütze ein Kabinettstückchen nach dem anderen zu Tage fördert, bekommt man beim Kampfmagier bereits das große Gähnen und fällt beim Hüter dann schließlich ins Koma.

Bei soviel fehlendem Feintuning wunderte es mich dann auch nicht mehr großartig, dass ich durch den zufälligen Monstermix immer mal wieder Kombinationen vorgesetzt bekomme, die man totspucken oder nur nach einem halben Dutzend eigener Bildschirmtode besiegen kann. Und was die Gegenden mit zwei Dutzend Mitstreitern sollen, die einem jede Arbeit abnehmen und die Monster verdecken, wird sich mir auch nie erschließen.

Für sich betrachtet wäre das nichtssagende Handbuch ein glatter Null Punkte Kandidat, zum Glück fällt dies aber nicht weiter ins Gewicht, da die Bedienung so intuitiv und die Quests so simpel gehalten sind, dass man sich lediglich fragt, was den nun genau die Minispielchen sollen.

Außerdem es gibt da noch eine Handlung... *Pause wird immer länger* - irgendwie ist sie leider in dem völlig wirren Erzählstil, der ungefähr soviel wie der Text eines Arobic Bumms Rock Songs schuldig bleibt, verloren gegangen. Es mag ja durchaus seinen Reiz haben, wenn man einen Psychopathen bei den NPCs einbaut. Wenn jedoch alle einen an der Waffel haben, dann ist das nur noch lästig. Zu gerne hätte ich deshalb die Seiten gewechselt und den menschlichen Abschaum aus den U-Bahnstationen gebrannt.

Trotz Ausrüstung (75 % des "D2LOD"-Niveau), Waffenupgrades (letztlich wie "D2LOD") und Skills (keine mageren 60 % im Vergleich) kommt "Hellgate: London" nicht über die Komplexität eines guten Egoshooters wie etwa "Bioshock" hinaus, insbesondere da den Gegnern im Schnitt jeglicher Pfiff fehlt. Zwar kann ich mir im Vorfeld so meine Gedanken machen wie ich Rüstung oder Schaden erhöhe, aber im Kampf heißt es dann eh nur volles Rohr, sobald der Gegner in Reichweite ist. Einzige Ausnahme bilden Gruppen mit einem Anführer, den es als erstes zu fällen gilt.

Fazit:
Meinen Kamfmagier und Hüter habe ich zusammen jeweils 25 Stunden gespielt und dann aufgehört. Ich bereue nichts! Der ganz große Wurf ist "Hellgate: London" nicht geworden und kann es auch durch den einen oder anderen Patch nicht mehr werden. Zwar zeigt das Spiel eindrucksvoll, dass sich das "Diablo"-Prinzip hervorragend sowohl in der 3rd- als auch Egoperspektive umsetzen lässt, bleibt dabei aber sowohl technisch als auch atmosphärisch hinter aktuellen Standards zurück. Im Vergleich zu den Spielen des alten Arbeitgebers Blizzard fehlt an vielen Stellen einfach das Quentchen Sorgfalt und Politur.


Steuerung (15%):
Grafik (15%):
Balance (15%):
Handlung (15%):
Sound (10%):
Zugänglichkeit (10%):
Komplexität (10%):
Spieldauer (10%):


Minimale Konfiguration
des Herstellers:

1024 x 768 x 32 und
min. Details (Shader 1)

Pentium 4 1,8 GHz
GeForce 6200
1 GB RAM
Windows XP
Internet (Multiplayer)

Meine empfohlene
Konfiguration:

1280 x 1024 x 32 und
mittl. Details (Shader 2)

Athlon XP 3200+
GeForce 6600 GT
1,5 GB RAM
Windows XP
Internet (Multiplayer)

Meine empfohlene
Konfiguration:

1280 x 1024 x 32 und
max. Details (Shader 2)

Athlon 64 3700+
GeForce 7900 GS
1,5 GB RAM
Windows XP
Internet (Multiplayer)