HEY! PIKMIN

Arzest

(28.07.2017)


"Pikmin 3" (2013) hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen, denn es ist das erste Spiel, welches ich auf der Wii U gespielt habe (wichtigster Kaufgrund), es ist das Spiel, welches mein Sohn und ich am längsten (240 Stunden) auf der Wii U gespielt haben, und es ist in meinen Augen auch das beste Wii U exklusive Spiel überhaupt. Und die GameCube Vorgänger "Pikmin" (2001) und "Pikmin 2" (2004), die auch jeweils in Widescreen und mit angepasster Steuerung 2009 auf der Wii wiederveröffentlicht wurden, stehen bei mir ähnlich hoch im Kurs.

Als der Pikmin Mastermind Shigeru Miyamoto erstmals im Juli 2015 "Pikmin 4" gegenüber Eurogamer erwähnte und vor mehr als einem Jahr erneut bestätigte, dass bereits emsig an "Pikmin 4" gearbeitet wurde, aber derzeit andere Sachen bei Nintendo Priorität genießen (gemeint waren die Vorbereitungen zum Release der Switch), fing ich schon an, den Flur auf und ab zu tanzen.

 

 

Scheiß auf das Geld!

Tja, und dann kam kurz danach am 01.09.2016 der Schlag in die Magengrube: Bei Nintendo Direct wurde erstmals "Hey! Pikmin" gezeigt - ein 2D Spiel für die jämmerlich antiquierte und augenkrebserregende 3DS Handheld Plattform. Und wie sich nun herausstellt auch noch entwickelt von Arzest, deren "Yoshi's New Island" (2014) ich nach nur zwei Stunden Spielzeit nie wieder angefasst habe.

Für Hardcore Pikmin Fans wie meinen Sohn und mich führte am Erstverkaufstag aber trotzdem kein Weg an dem Modul vorbei, denn wer über zehn Jahre alten Nintendo Power Sonderausgaben aus den USA hinterhergerannt ist, der ist eben nicht so ganz zurechnungsfähig. Leider holt einen dann aber doch die Realität des Jahres 2017 schnell ein - und dafür musste ich nicht einmal das Spiel starten. Die Verpackung ist richtig, richtig schwer! "Hui", dachte ich, "die werden doch nicht etwa..."


Gleich mal drei Faltblätter befinden ich in der Verpackung. Mit insgesamt 54 Seiten! - Voller... Scheiße!!! - Aber auf eine gedruckte Anleitung muss ich zum Schutz der Bäume verzichten. Fahrt Ihr alle schon zu lange Diesellimousinen, bei denen die Abgase in den Innenraum geleitet werden?

Nun gut, das Spiel startet und wie erwartet flimmert das Introvideo über den oberen Bildschirm. Erst weiß ich nicht so recht, ob ich mich über die Ähnlichkeit zum 2001er Intro freuen soll, aber - hey! - das ist nur ein relativ unwichtiges Video... das in eine Geschichte mündet, die den Entwicklern wohl genauso unwichtig war. 30.000 Einheiten Glizerium, das ist der Wundertreibstoff meiner Rakete, der nach dem Crash ausgelaufen ist, soll ich zusammenkratzen. Und der befindet sich sowohl in Nüssen als auch in Sonnenbrillen, Schachfiguren, Flaschenöffnern und Radiergummis. Mal ehrlich, da wollte jemand einen einfachen Weg finden, die Objekte aus "Pikmin 2" wieder einsammeln zu lassen.

 

 

Was hat 2D was 3D nicht hat...

Sobald das eigentliche Spiel an den Start geht, fällt sofort auf, dass Arzest sich für sehr kräftige Farben entschieden hat und die parallax scrollenden unscharfen Hintergründe mit Objekten zupflastert, besonders solange sich die Spielfigur Olimar oberirdisch aufhält, während in den 3D Vorgänger eher realistische Farbtöne und Darstellungen gewählt wurden. Da aber in 2D wesentlich weniger Platz benötigt wird um etwa Gegnern auszuweichen, leidet weder die Spielbarkeit noch die Übersichtlichkeit unter dieser Designentscheidung. Ich war positiv überrascht - bis die ersten Gegner auftauchten.

Bis auf die Bosse sind nämlich sämtliche Gegner zu klein. Einige sind so klein und unscheinbar, dass es ein extrem hohes Grad an Aufmerksamkeit erfordert, sie rechtzeitig anzugreifen und vor allen Dingen, wenn sie sich auf dem Boden befinden, auch zu treffen, bevor sie meine Pikmin one hitten (!!!) - der Spaßfaktor geht verstärkt gegen den absoluten Nullpunkt.


Den anderen nicht ganz so mikroskopisch kleinen Gegnern - darunter auch solche Klassiker wie der vormals extrem gefährliche Fiery Bulblax - geht jede Bedrohlichkeit ab und legen sich innerhalb von zwei Sekunden in den Staub, ohne dass jemals die geringste Raffinesse von mir gefordert wird, denn - waaahahahaha - sie stoppen einfach an einer gut sichtbaren Kante und drehen mir dann den Rücken zu.

Warum nur?

Während also die normalen Gegner sehr klein sind, sie müssen ja im Zweifel bequem in den Standardgang passen, übererfüllen die körperlichen Ausmaße der neun Bosse eher meine Erwartungen. Damit hat es sich aber dann auch. Jeder einzelne Bosskampf ist lächerlich einfach und jeder einzelne Bosskampf läuft exakt nach dem gleichen Schema ab, weshalb die Bosse auch exakt nach der gleichen Zeit verenden.

 

 

Ich muss nur dem ersten Angriff ausweichen, dann bekommt der Boss ordentlich Pikmin ab. Dann zwei Angriffen ausweichen, der Boss bekommt ordentlich Pikmin ab. Dann drei Angriffen ausweichen, der Boss bekommt ordentlich Pikmin ab - und stirbt. Kein Witz! Ist exakt so, ich habe alle Bosse im ersten Versuch gelegt und selbst mein Sohn hatte den Endboss, der als einziger zwei Phasen hat, im zweiten Versuch im Staub.

Ich könnte jetzt lange Mutmaßen bis Philosophieren, warum das so ist, aber spontan würde ich mein ganzes Geld auf akute Blödheit galaktischen Ausmaßes (bitte geschrien vorstellen) setzen. Nein! Nein! Nein! So dumm kann eigentlich niemand sein, der in der Lage ist ein Spiel zu programmieren. Und doch liegt mir hier praktisch Unmögliches vor. Wie kann irgendeine Qualitätskontrolle eine in ein Spiel geschissene Lächerlichkeit der Kategorie Alarmstufe Rot "Es droht die Kernschmelze" durchwinken?


Haben die jeweils einen blinden Tester und einen ohne Hände an das Spiel gesetzt? Ich meine, so viel anders kann es doch nicht gelaufen sein, wenn man sich am Ende für diesen Schwierigkeitsgrad entscheidet. Leichter als diese Bosskämpfe wären nur noch Videos!!!

Noch Reflex oder schon Rätsel?

Neben den reinen Kämpfen spielten schon immer einfache Rätsel meist in Verbindung mit der Wegfindung bzw. der Frage: "Wie bringe ich die richtige Sorte Pikmin in genügend großer Menge von A nach B“, eine große Rolle. An so etwas in der Art versucht sich "Hey! Pikmin" auch, aber erfüllt dabei nicht einmal die Definition eines Rätsels, die da lautet: "Ein Rätsel ist eine Aufgabe, die durch Denken gelöst werden muss." (Wikipedia) Denn die Pikmin muss ich mir nicht wie früher auswählen, sondern ich bekomme sie gestellt. Sie warten auf meinen Pfiff an der passenden Stelle im Level.

 

 

Ja, es gibt ganz vereinzelt Momente nach Einbahnstraßen, in denen mir die mikroskopisch kleinen Gegner zu viele Pikmin töten, um noch anschließend einen Gegenstand bergen zu können, aber die sind sehr rar. Ansonsten sind alle Rätsel in der Qualität, dass ich das Rätsel, sobald ich es erblickt habe, auch schon gelöst habe. Durch Türen gehe ich durch und auf Gegenstände, die Olimar so nicht erreichen kann, werfe ich Pikmin.

Und dann gibt es neuerdings den Pikmin Park. Da hängen die Pikmin permanent ab, die am Ende eines Levels noch leben. Die dürfen dann dort weiter nach Glizerium suchen. Sollte wohl für etwas Abwechslung zwischen den Missionen sorgen, bedient sich aber nicht nur so zähflüssig wie ein Handyspiel vor fünf Jahren, sondern wenn mehr Glizerium sammeln von Glizerium sammeln ablenken soll, ist eigentlich klar, dass das in etwa so gut funktioniert, als wenn ich mal nicht Pizza esse, sondern stattdessen lieber Pizza esse. Kopf - Tisch - BAMM!!!


Weitere Auflockerung gefällig?

Arzest hat aber noch weitere Schmankerl eingebaut: So zeigt man mir Olimar bei verschiedenen Leibesübungen in seinem Raumschiff, während ich so ergreifende Texte wie auf dem Screenshot links lesen darf. Oder hin und wieder gibt es zwischen den vollwertigen Leveln noch zwei Bildschirme große Level, in denen ich mehr Pikmin erhalten kann, die dann zu den anderen in den Park kommen. Vermutlich spielte die Anzahl der Pikmin einmal eine Rolle, aber die Idee dahinter ist wohl im Lauf der Zeit dem Rotstift zum Opfer gefallen.

Oder es gibt eine Quelle (zwei Bildschirme) mit - drei - zwei - eins - Glizerium, das es unter Zeitdruck zu einzusammeln gilt. *Lachen des Verzweifelten* Oder während der Missionen wird der Spielfluss zwei-, dreimal unterbrochen, damit die neueste Vierergruppe Pikmin, die ich auflese, an irgendwas mehr oder minder gemeinsam zerren kann oder übereinander stolpert darf.

 

 

Da wollte man wohl den Pikmin Short Movies nacheifern, die ziemlich witzig sind, aber auch in einer ganz anderen Liga spielen. Der Ramsch hier ist für Erwachsene schon beim allerersten Mal nicht witzig und entwickelt sich zum absoluten Obernerver, denn an dem Spielfluss ist erst einmal gar nichts auszusetzen und so furchtbar unterscheiden sich die meisten Slapstickeinlagen nun auch nicht voneinander, dass ich davon mehr als drei im ganzen Spiel sehen müsste.

Fazit:
Selbst wenn ich nie zuvor mit Pikmin in Berührung gekommen wäre, hätte mir dieses Spiel nicht besonders gut gefallen, aber als Pikmin Fan geht das hier gar nicht. Zwar habe ich mich nicht so sehr wie bei einigen anderen Handheld Titeln gequält, insbesondere weil das Spiel für 3DS Verhältnisse hübsch ist, aber als ich nach zehn Stunden den Abspann zu sehen bekam, hat sich ganz sicher nicht der Komplettist in mir geregt, der die noch fehlenden Schätze einsammeln wollte.


Wobei das sowieso nicht gegangen wäre, denn dafür braucht es amiibos der "Super Mario Collection", der "Splatoon Collection" und der "Animal Crossing Collection" - und ich habe nicht mal ein NFC Lesegerät.

Sollte das Spiel nicht bereits am 01.09.2016 fertig entwickelt gewesen sein, so hat Arzest die vergangenen elf Monate denkbar schlecht genutzt, um ein fast perfektes 3D Spiel umzusetzen und wenigstens einen Hauch von Anspruch in ihr überaus plattes 2D Spiel zu bekommen.

Da bleibt jetzt für mich nur zu hoffen, dass die Serie letztlich keinen großen Schaden davon trägt und "Pikmin 4" dann 2018 endlich für die Switch erscheint. Aber bei meinem Glück ist genau das Gegenteil der Fall, denn die Pikmin Titel waren in der Vergangenheit alles andere als Megaseller, so dass es nur zu gut möglich ist, dass Nintendo bis zum nächsten großen Loch im Releasekalendar wartet.

 

Steuerung (15%):
Grafik (15%):
Balance (15%):
Handlung (15%):
Sound (10%):
Zugänglichkeit (10%):
Komplexität (10%):
Spieldauer (10%):