GRAN TURISMO 4

The Real Driving Simulator

Polyphony Digital

(09.03.2005)


Der ziemlich ausgeblichene Kaufbeleg in meiner "Gran Turismo 4" Hülle sagt eindeutig und etwas beschämend 01.08.2013. Der Kaufbeleg für meine PS2 aus dem selben Laden sagt 02.06.2020. Knapp sieben Jahre hat es gebraucht, bis ich endlich eingesehen habe, dass auf meinem betagten PC eine PS2 Emulation von "GT4" nicht in einer Art und Weise laufen wird, die Spaß macht. Und vor allen Dingen, dass die Aufrüstung des PCs ein Vielfaches der knapp 50 € für die Konsole, brandneuen BigBen Controller über eBay (völlig verstaubt im superdicken Blister), der sich mindestens so gut anfühlt wie mein Original PS3 Controller, Memory Card und Komponentenkabel kosten würde.

Nie wieder ohne Komponentenkabel

Da ich nie zuvor eine PS2 besaß, kannte ich PS2 Spiele bzw. ihr matschiges Bild nur von den billigen Röhrenfernsehern, die man seinen Kindern überlassen hatte und die mit dem Standardkabel an die PS2 angeschlossen waren. Nun am Komponenteneingang macht das Bild auf TFTs wie meinem uralten Toshiba genauso wie meinem einfachen Hisense richtig was her. Natürlich basiert auf der europäischen PS2 das anamorphe 16:9 Bild von "GT4" auf den für das PAL Bildformat typischen 720 x 576 Pixeln und wirkt immer noch deutlich gröber als knapp sechs Jahre später dann "Gran Turismo 5" auf der PS3 in 720p.

Aber einfach nur von gut gealtert zu reden, wäre noch untertrieben, denn "GT4" holte aus der verfügbaren Hardware einfach alles raus. Was mit etwas Hintergrundwissen nicht verwundert, denn spätestens mit "GT4" beginnt bei Polyphony Digital die Phase, in der sich Produktionen endlos in die Länge ziehen, weil sie ebenso überambitioniert sind wie Chef Kazunori Yamauchi perfektionistisch ist. "GT4" sollte eigentlich schon Mitte 2003 - also relativ schnellschussartig nach dem bis heute meistverkauften Teil "Gran Turismo 3: A-Spec" (28.04.2001 in Japan) - das Licht der Welt erblicken.

Doch obwohl der Onlinemodus gestrichen wurde, brauchte es dann noch über 18 Monate weitere Entwicklungszeit und wurde erst am 28.12.2004 in Japan veröffentlicht, hat aber auch mit 51 ein Drittel mehr Strecken als und mit 722 viermal so viele Autos wie der Vorgänger im Gepäck. Zum Glück nutzte Polyphony Digital die zusätzliche Zeit aber eben auch, um die Grafik gegenüber "GT3" trotz Verwendung der gleichen Hardware noch einmal aufzubohren. Am Ende wurde "GT4" durch die extreme Verzögerung eines der letzten großen Exklusivspiele von Sony, die anschließend keine PS3 Version erhalten haben.

Friede, Freude, Eierkuchen?

Nun könnten einige voreilig meinen, damit sei doch schon fast alles gesagt und ich könnte nun zur für das Spiel üblichen Traumwertung kommen, doch - leider, leider - weit gefehlt. Denn auch wenn die Marketing Abteilung von Polyphony Digital seit jeher nicht müde wird, die "Gran Turismo" Reihe als ernsthafte Simulation anzupreisen, brauche ich nur irgendwelche Videos auf YouTube zu gucken, um zu sehen, dass 90 % der Spieler die Perspektive direkt hinter dem Fahrzeug nutzen - genau wie sie das auch bei irgendeinem "Need for Speed"-Titel machen würden und wie man eben ganz sicher kein Gefühl für das Auto bekommt.

Einer der Gründe hierfür ist, dass es in "GT4" auf jeder Strecke eine unsichtbare Ideallinie gibt, die von den fünf KI Gegnern brav - und ich meine wirklich brav - abgefahren wird, was für Spiele dieses Jahrgangs auch nichts besonders Ungewöhnliches war. Schräg ist, dass auch bezüglich meines eigenen Autos ständig ausgewertet wird, ob ich mich auf dieser Ideallinie befinde und die Traktions- und Stabilitätskontrolle meint, sie müsste in absolut jeder Kurve abbremsen, was dazu führt, dass die Haftung der Vorderräder fürs Bremsen anstatt fürs Lenken draufgeht, bzw. verhindern, dass ich zu viel Gas gebe, so dass ich bei Heckantrieb den Arsch nicht rumbekomme.

Zwar kann im Setup jedes einzelnen Autos die Traktions- und Stabilitätskontrolle individuell eingestellt und, um das Schlimmste zu verhindern, fast auf Null gesetzt werden, aber eigentlich sollte Polyphony Digital daraus keine unnötige Wissenschaft machen. Gerade im Vergleich mit den beiden großen Xbox Titeln dieser Zeit - "Project Gotham Racing 2" (2003) und "Forza Motorsport" (2005) - habe ich in "GT4" nie das Gefühl selbst die Kontrolle über mein Auto zu haben und kann mich entsprechend auch viel weniger darüber freuen, wenn ich eine schwierige Passage mit Höchstgeschwindigkeit genommen habe.

Das Übelste vom Übelsten

Wer wie ich dachte, ein schlechteres Menü als das von "GT5" kann es gar nicht geben, der wird innerhalb einer halben Minute von "GT4" eines "Besseren" belehrt. Das Menü ist sage und schreibe fünfmal so groß wie der rot markierte sichtbare Bereich, was eine Orientierung ohne fotografisches Gedächtnis nahezu unmöglich macht. Es gibt 14 Menüpunkte, unter denen ich Autos tunen kann, und sogar 28 Menüpunkte, unter denen ich Rennen finden kann, nur um dann dort festzustellen, dass mir das passende Auto fehlt, welches ich ja aber an 15 anderen Stellen kaufen könnte, wenn ich nur ausreichend Spielgeld besitzen würde.

Ausreichend Geld zu verdienen ist jedoch in "GT4" ein Grindfest, wie ich es vielleicht in MMOs, aber ganz sicher in keinem anderen Autorennspiel inkl. dem direkten Vorgänger und Nachfolger erlebt habe. Von meinem ersten Geld kann ich mir ganz normal einen Gebrauchtwagen kaufen. Das Angebot der drei Händler (80er u. 90er Jahre Karren) scheint jedoch von den Mondphasen abhängig zu sein und besteht an den meisten Spieltagen ausschließlich aus japanischen Autos, von denen wiederum die allermeisten den Sexappeal einer ausgemolkenen Bergziege haben.

Mit etwas Glück kann ich mir für meine 10.000 Startcredits ein Auto mit Allradantrieb und knapp über 200 PS kaufen, mit dem ich ohne weitere Modifikationen eine reelle Chance habe, die Rennen des einfachsten Wettbewerbes "Sonntagspokal" zu gewinnen. Mit etwas Pech oder Unwissenheit hat mein Startauto aber eben nicht dieses Potential - und dann fahre ich erst einmal zehn Extrarennen, in denen ich mir für den letzten oder vorletzten Platz je 100 bzw. 200 Credits verdiene, um meinen Motor soweit aufzupfeilen, dass ich in den nächsten fünf Extrarennen Platz 2 oder 3 belege. Und dann gewinne ich erst den "Sonntagspokal" und erhalte als Belohnung den Autobianchi A112 Abarth.

Gefangen in der Endlosschleife

Mit dem Abarth kann ich nun an der "FF-Herausforderung" (Motor vorne, Antrieb vorne) teilnehmen, wobei die Betonung tatsächlich auf "dabei sein ist alles" liegt, denn mit 71 PS hat selbst ein Auto dieser Gewichtsklasse nicht die geringsten Siegchancen. Und selbst wenn das Startauto wie bei meinem zweiten Versuch einen anderen Antrieb hat, dann verlässt einen spätestens nach dem zweiten Wettbewerb das Glück. Denn als Belohnung für die "4x4-Herausforderung" erhalte ich ein schwaches 4x4-Auto - und genauso verhält es sich mit allen anderen Antriebsarten.

Ich bekomme also ein Auto, das genau die Eigenschaften hat, wie das Auto, das ich ohnehin schon besitze und dessen Nutzen sich soeben erst einmal erschöpft hat. Will ich neue Wettbewerbe, Strecken und Autos in Aktion sehen, dann müssen mehr Credits für ein weiteres Auto und evtl. dessen Tuning her, indem ich die Strecke mit der geringsten Rundenzeit bzw. höchsten Siegchance wieder und wieder fahre. Allein für die drei weiteren Einstiegswettbewerbe "FF-", "FR-" und "MH-Herausforderung" wiederholt sich dieser Teufelskreis also schon dreimal.

Keinerlei Orientierung

Und da sich das im Wesentlichen auch im restlichen Spiel nicht ändert, verbringe ich mindestens zwei Drittel meiner Zeit damit, Wettbewerbe stupide zu wiederholen, denn das Preisgeld steigt zwar an, aber natürlich auch der Kaufpreis der Autos, mit denen ich eine Siegchance habe. Auch das Tuning bietet keine günstigere Lösung des Dilemmas an, da wesentliche Modifikationen gerade zu Beginn des Spiels ein vielfaches des Kaufpreis eines Autos betragen können und im späteren Spielverlauf bei Rennwagen eben längst nicht mehr so wesentlich oder gar unmöglich sind.

Noch einmal verschlimmert wird genau dieses Problem dadurch, dass ich abgesehen davon, dass ich mich als weitere Zugangsvoraussetzung immer wieder durch Lizenzprüfungen mit sterbenslangweiligen 16 Aufgaben quälen muss, keinerlei Angaben darüber erhalte, wie gut bzw. schnell mein Auto zu sein hat. Jeder neue Wettbewerb ist eine Wundertüte, wobei letztlich natürlich die Konstellation überwiegt, bei der mein gerade erworbenes Auto im Werkszustand hoffnungslos unterlegen dem Feld hinterherfährt, weil die KI Gegner bereits zwei Jahresgehälter beim Tuning Spezialisten gelassen haben.

Fazit:

Im Kern läuft es für mich auf folgende Frage hinaus: Sollte ein Spiel nicht ganz überwiegend Spaß machen? So wie der Vorgänger "GT3", der gerade einmal sieben Menüpunkte, 181 smart ausgewählte Wagen und eine klar strukturierte Kariere brauchte, um seinem völlig aufgeblähten Nachfolger davonzufahren. So sehr ich Kazunori Yamauchi dafür liebe, dass er als einziger beim PS5 Reveal Event am 11.06.2020 echtes Gameplay vom kommenden "Gran Turismo 7" gezeigt hat, so sehr verstört mich die Odyssee, auf der er mit Polyphony Digital seit "GT4" unterwegs ist.

Warum sollte ich in "GT4" stundenlang auf der Suche nach dem nächsten Rennen in Menüs umherirren oder bei "B-spec Events" einen Fahrer vom Kommandostand zum Sieg coachen wollen? Wer kam auf die selten blöde Idee in "GT5" nur sog. Premiumwagen eine echte Cockpitperspektive zu spendieren? Wer hat den Onlinemodus und die Gegner KI in "Gran Turismo 6" (2013) komplett versemmelt und die Grafik gegenüber dem Vorgänger verschlechtert? Und warum musste "Gran Turismo Sport" (2017) unbedingt halbfertig veröffentlicht werden?

Klar, grafisch übertrifft der PS4 Titel anders als zu PS3 Zeiten den Xbox Konkurrenten "Forza Motorsport 7" (2017) wieder knapp und der nunmehr kostenpflichtige Onlinemodus funktioniert zum ersten Mal überhaupt in der Serie, nur waren zum Release unter den gerade einmal 162 Autos viel zu viele gesichtslose Rennwagen und ohne echte Kariere stand das Ding zwischendurch wie Blei in den Regalen. Mit "GT4" nahm jedenfalls diese ganze Irrfahrt ihren Anfang, welches bei Licht betrachtet das schlechtere "GT5" ist und selbst mit riesigen Fanbonus nicht annähernd die Traumwertungen verdient hat.

Wer möglichst viel Zeit mit einem Auto seiner Wahl auf der Strecke verbringen wollte, war während der sechsten Konsolengeneration jedenfalls wesentlich besser bei den anderen bereits erwähnten Titeln aufgehoben. Weil die Grafik ihrer Zeit voraus war und das Fahrmodell mit manueller Nachjustierung immer noch einen guten Eindruck macht, kann man sicherlich die Zähne zusammenbeißen und "GT4" trotzdem spielen. Empfehlen würde ich das aber ganz sicher niemanden. Hofft lieber wie ich, auf ein endlich wieder richtig gutes "GT7" auf der hoffentlich ebenso hochwertigen PS5.



  POSITIV:
  - gut gealterte Grafik
  - gutes Fahrmodell


  NEGATIV:
  - verstörende Menüs
  - überhaupt kein flow
  - magerer Motorensound