FIRE EMBLEM:
Three Houses

Intelligent Systems

(26.07.2019)


Über zehn Jahre nach "Radiant Dawn" (2008) auf der Wii erscheint endlich wieder ein "Fire Emblem" auf einer großen Nintendo Heim- bzw. nun ja der Switch Hybridkonsole, die es ja nun ganz frisch auch in der Lite Version als reine mobile Version gibt. Eine für mich eher unverständliche Vorgehensweise, da die Charakterwerte etc. auf dem Touchscreen des Wii U Gamepads ausnahmsweise mal Sinn gemacht hätten. Stattdessen folgten mit "Fire Emblem: Awakening" (2013), "Fire Emblem Fates" (2016) und dem Remake des zweiten Teils unter dem Namen "Fire Emblem Echoes: Shadows of Valentia" (2017) gleich drei Teile auf dem 3DS, der sich aufgrund des zweiten Bildschirms ebenso anbot, aber in FullHD Zeiten schon ziemlich auf die Augen ging.

Ich war daher nicht nur gespannt, was es mit dem deutlich aufgebohrten Rollenspielaspekt bzw. Beziehungsgeflecht und dem Ansatz der drei Häuser auf sich haben würde, wobei ich allerdings einwerfen möchte, dass der japanische Originaltitel - anders als ich das angenommen hatte - in etwa "vier Jahreszeiten" entspricht. Es würde auch interessant werden, was Intelligent Systems aus der etwa 10fachen Grafikpower der Switch im Vergleich zur Wii jenseits der puren Erhöhung der Auflösung machen würden, denn - und ich denke da gibt es keine zwei Meinungen - das GameCube und das Wii "Fire Emblem" gehörte nicht zu den schönsten Spielen auf der jeweiligen Konsole.

Was ist "Fire Emblem"?

Wer "Fire Emblem" mangels Alter und/oder 3DS so gar nicht kennt, dem sei als kleine Einführung mitgeben, dass sich das Spiel traditionell in zwei Teile splittet: Der eine besteht darin auf relativ kleinen Schlachtfeldern in Runden das im Regelfall zahlenmäßig deutlich überlegende gegnerische Team oder zumindest dessen Anführer auszuschalten. Dabei ziehe ich zunächst alle eigenen Einheiten und dann ist der Gegner dran. Kommt es zum Kampf, schlägt in der Regel der Angreifer - also dessen Runde gerade läuft - zuerst zu. Überlebt der Verteidiger kann er zurückschlagen, sofern er in Reichweite ist.

Insbesondere im klassischen Modus mit Permadeath ist daher ein wohlbedachtes Vorgehen unter Ausnutzung des "Stein, Schere, Papier"-Prinzips in jeder einzelnen Schlacht gefragt. Zum Glück gibt es wieder das mit "Echoes" eingeführte System, welches erlaubt einige Male zurückzuspulen und deshalb nicht ganz von Vorne beginnen zu müssen. Außerhalb der Schlacht gilt es in "Three Houses" mehr denn je die eigene Mannschaft zu vergrößern, best möglichst auszurüsten, zu trainieren bzw. langfristig an einer guten Mischung der Klassen zu arbeiten und vielleicht sogar die Frau oder den Mann (wahlweise auch gleichgeschlechtlich) für die Zeit nach der Haupthandlung zu finden.

Wappen - Fluch oder Segen?

Inhaltlich entführt es einen auch diesmal wieder in eine pseudo-mittelalterliche Welt mit einem Schuss Magie, in der - je nach Sichtweise - die Kirche der Spielwelt den Frieden zwischen den drei Fraktionen Kaiserreich (Schwarze Adler), Königreich (Blaue Löwen) und Allianz (Goldene Hirsche) wahrt oder so brüchig hält, dass sie bzw. ihre Gegenspieler im Hintergrund selbst die Fäden ziehen können. Eine Welt, in der Adel verpflichtet, aber nicht zwingend geeignete Denker und Lenker hervorbringt, die zudem noch mit einem magischen Wappen - einer Art genetischen Besonderheit - versehen sein müssen, wenn sie das Vertrauen der Menschen und insbesondere ihrer eigenen Eltern genießen wollen.

Jedenfalls treffen sich auch dieses Jahr wieder die Sprösslinge der einflussreichsten Familien aller drei Länder in der Universität des Garreh Mach Klosters zum gemeinsamen Studieren bzw. um von mir unterrichtet zu werden. Nur ist das alles nicht so einfach, wie ich mir das zu Anfang vorgestellt habe, denn die Teens und Twens tragen zum größten Teil emotionale Rucksäcke so schwer wie Mühlsteine mit sich herum, haben etwa nahe Verwandte durch Mordanschläge verloren, haben Eltern, die vermutlich für die Anschläge verantwortlich sind oder sind einfach nur Opfer des Wahns um die Wappen wie z. B. Sylvain aus dem Haus der blauen Löwen geworden.

"Do you know my name?"

Doch wie so oft: Überraschung! Wieder waren es ganz andere Aspekte, die mir zu Beginn ins Auge sprangen: Ähnlich wie zuletzt in "Ni no Kuni II: Schicksal eines Königreichs" (2018) haben die deutschen Texte mit der englischen Tonfassung so gut wie keine Gemeinsamkeiten, weil beides nur lose auf der japanischen Vorlage basiert. Blöd auch, dass ich mir meinen Namen frei per Bildschirmtastatur aussuchen darf, mit dem mich aber logischerweise niemand vertont anreden kann, weil die Technik hierfür noch nicht ganz soweit ist. Ohne Frage eines der schönsten Beispiele für verfehlte Individualisierung.

Doch beides ist nichts gegen meinen stummen Charakter! Über 40 überwiegend gute Sprecher geben sich für dieses doch ziemlich laberlastige Umfangsmonster im Tonstudio die Klinke in die Hand und ich bin mal wieder mit keiner Stimme - dem Ausdruck der Seele - bedacht worden, nein, ich bin sogar fast im klassischen Sinne stumm wie zuletzt in "Xenoblade Chronicles X" (2015) und versuche die Handlung mit Nicken und Gestik zu beeinflussen und vor allen so zu unterrichten. Das schmerzt unnötig! Wie viel mehr Arbeit hätten denn bitte zwei Sprecherrollen mehr für jeweils männlichen oder weiblichen Spielercharakter im Vergleich zur bestehenden Ausführung gemacht?

Rein in die Kartoffeln

Während diese Sachen permanente Ärgernisse bleiben, gibt es zu Anfang noch zwei weitere. Das erste ist Eile. Herrje, hat "Three Houses" es eilig meinen Charakter vom Söldner in der Provinz zum Professor in der Klosteruniversität zu machen. Ich hätte gefühlt ebenso gut aus einem Portal fallen können. Zwar gibt es Gründe, warum die Bischöfin mich sofort binden will, die einem später - und ich meine im wörtlichen Sinne Stunden später - auch erstmals teilweise offenbart werden, nur nützt das gegen die ganze überzogene Heimlichtuerei zu Anfang wenig, auch weil an dieser Universität anscheinend ausschließlich per Frontalunterricht gelehrt wird, wie man sich gegenseitig so richtig auf die Schnauze haut.

Und das zweite… ist auch Eile! Wie eine gesengte Sau wurde ich zwei Stunden durch Tutorials zu allen neuen Rollenspielaspekten bzw. zum Beziehungsgeflecht geprügelt. Ich hatte zu Anfang wirklich die Befürchtung, dass jetzt fast das gesamte Spiel nur daraus bestehen würde, in der Kirche zu singen, im Fischteich zu angeln, mit meinen Studenten Mittag zu essen oder während der Teestunden zu raten, worüber mein Gegenüber gerne spricht. Wobei selbst, wenn ich richtig rate, spricht er trotzdem nicht darüber, sondern ist zur Abwechslung ebenso stumm wie ich immer. - Egal wie nützlich das Teetrinken auch ist, in dieser Form macht es nicht wirklich Spaß!

Na geht doch!

Zum Glück grooved sich "Three Houses" nach weniger als fünf Stunden richtig ein und ich kann selbst wählen, wie viel Zeit ich damit verbringen will zu raten, wer einen Lippenstift verloren hat, oder jede Gelegenheit zu nutzen, mich unter teils fadenscheinigen Gründen in eine zusätzliche Auseinandersetzung für zusätzliche Levelups zu stürzen. Wenn ich mich nicht ganz dämlich anstelle oder zur Not noch einmal in der ausführlichen integrierten Anleitung nachlese (Iiihhh!!! Lesen!!!), führt am Ende nämlich beides und natürlich auch ein Mix aus beidem dazu, dass ich in den Schlachten, die bis zum Schluss fast immer fair bleiben, eine schlagkräftige Truppe befehlige.

Wirklich alles erklärt einem das Spiel jedoch nicht - aber vielleicht ist gerade dies der Aspekt, der das Spiel so interessant macht. Z. B. ist anscheinend kaum ein Kämpfer im Haus der Goldenen Hirsche zu Anfang mit der geeignetsten Charakterklasse unterwegs, sondern meine Hexe ist ein verhindertes Schwertgenie, der Bogenschütze wiederum wäre wohl der beste Zauberer und meine Heilerin kann eigentlich mit Speeren und Lanzen mehr anfangen. Es ist aber gerade beim ersten Durchlauf sehr schwer abschätzen, ob ein Klassenwechsel sich lohnt, denn die mühsam erworbene Erfahrung mit der alten Waffengattung ist anschließend nutzlos - und je später ich mich entscheide doch noch zu wechseln, desto mehr Erfahrung verblase ich also.

Jetzt wirklich?

Apropos Erfahrung: Ein Bisschen schräg ist allerdings die Erfahrung, die man macht, wenn man wie ich beim zweiten Durchlauf von den Hirschen zum Haus der Schwarzen Adler wechselt. Während der Kopf der Hirschtruppe Claude sich tatsächlich wie zu Beginn ausgewiesen als einer der besten Bogenschützen im Spiel entpuppt und seine spätere Spezialklasse nach knapp der Hälfte des Spiels dies auch so widerspiegelt, startet Edelgard von den Adlern mit einer Axt. Sie wird aber als potentieller Supermagier angezeigt. Doch die spätere Spezialklasse von Edelgard setzt wieder auf Axtkampf in maximaler Rüstung - und kann überhaupt keine Magie anwenden.

Dadurch wurde Edelgard bei mir zeitweise zu einer der nutzlosesten Figuren, denn während die anderen Figuren fast alle eine Waffenfertigkeit von A (Stufen sind E, D usw. bis A und dann S) erreicht hatten, schlug Edelgard mit C ein Luftloch nach dem anderen, war aufgrund der dicken Rüstung aber auch selten schnell genug an der Front, um für andere den Kopf hinzuhalten. Fairerweise soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass ich auch einfach auf die Spezialklasse von Edelgard hätte scheißen und sie ihren Weg zur Gremory, einer der stärksten Magierklassen im Spiel, fortsetzen lassen hätte können.

Keine Qual, nur die Wahl!

Überhaupt ist dies die größte Stärke von "Three Houses". Alles kann ich, fast nichts muss ich mit den mir zur Verfügung gestellten Charakteren tun. Wenn mir danach ist und ich eine bestimmte klassenspezifische Spezialfähigkeit schätze, dann hat das Spiel keinen Klemmer damit, wenn ich auf der mit Level 20 freigeschalteten Oberstufe verweile oder sogar wieder auf die Mittelstufe zurückwechsle, die bereits ab Level 10 freigeschaltet wird. Wenn ich es extra super besonders schwer mag, dann kann ich mit einer reinen Truppe magischer Glaskanonen antreten. Oder mit einem Trupp, der ausschließlich mit Äxten kämpft und wirkt wie die sieben Zwerge.

Oder ich breche mir die erste Spielhälfte einen ab, weil mir alles andere egal ist, Hauptsache alle können sobald wie möglich auf fliegenden Fabelwesen reiten, was sich im späteren Spielverlauf tatsächlich auszahlen kann, sofern ich mich von Bogenschützen fernhalte. Wer will kann auch versuchen jede einzelne Dialogauswahl zu versauen, sich von so vielen sozialen Interaktionen wie nur möglich fernhalten und mit einer Truppe in den Kampf ziehen, in der keiner dem anderen aufs Fell gucken kann. Sofern einem das Geld nicht ausgeht, sind der eigenen Kreativität nur wenige Grenzen gesetzt, es kann aber natürlich bei zu viel Blödsinn passieren, dass es ohne den Schwierigkeitsgrad nach unten zu korrigieren nicht mehr weitergeht.

Endlich in schön!

Wie bereits erwähnt, habe ich nach gefühlt fünfmal zunehmendem Augenkrebs sehnlichst gehofft, dass "Three Houses" grafisch zwei, drei Schritte nach vorne macht. Und es begeistert tatsächlich fast auf der ganzen Linie, d. h. eigentlich habe ich bis auf Einbrüche bei der Framerate innerhalb des Klosters und einigen schlecht gefilterten Bodentexturen kaum Klagen. Das Design ist klar und funktionell, so dass die Bedienung schon nach wenigen Stunden sehr gut von der Hand geht. Die Einheiten sind gut animiert - insbesondere einige Animationen für kritische Treffer unterhalten auch noch nach Stunden (Reiter dreht mitsamt Pferd Pirouette in der Luft vor dem Schlag) - und alle haben einen hohen Wiedererkennungswert. Nur die teils schmerzhaften Haarfarben verdränge ich mal an dieser Stelle.

Auch die neuen extragroßen Monster, die sich nicht wie menschliche Gegner mit einem Schlag abräumen lassen und von denen die meisten vier Felder beanspruchen und einige Drachen sogar neun, die neuen Bataillone (verschiedene verheerende Flächenangriffe, die ein- bis zweimal pro Kampf einsetzbar sind) und die atmosphärischen Umgebungen, von denen es vielleicht ruhig ein paar mehr hätten sein können, wissen auch in der neuen mittendrin Ansicht zu begeistern. Das hat natürlich schon seinen Preis: Die Switch ist angedockt ordentlich am Pusten und die ursprüngliche Verkaufsversion vermeldet bei Verwendung als Handheld nach gerade einmal etwas mehr als zwei Stunden akuten Batterienotstand.

Fazit:

Was für ein megafettes Spiel! Ein Durchlauf dauert bereits etwa 70 Stunden und da die Geschichte je nach dem Haus, das ich unterrichte, nach etwa einem Drittel anfängt sich grundlegend zu verändern, können sogar insgesamt 210 Stunden in den neuesten Spross von Intelligent Systems ohne Reue versenkt werden. Kein anderer rundenbasierter Titel kann derzeit ähnliche strategische Breite und Tiefe für sich beanspruchen. Für den ganz großen Wurf und den Adelstitel Systemseller fehlt eigentlich nur die Sprachausgabe für die eigene Figur. Wobei es mit Sprachausgabe allein ja nicht getan wäre, denn derzeit halten meine Gesprächspartner ja eher längere Monologe, während ich mir genauso gut ein Spiegelei im Nebenzimmer hätte braten können.

Zwar ist wie bereits in der Vergangenheit auch abseits der Hauptgeschichte um die eigene Figur bzw. hier fast mehr die Anführer der drei Häuser nicht jede der etwa 40 handelnden Figuren der ganz große Wurf. Und so einige japanische Dauerkrankheiten wie das immer mal wieder eingestreute "Du hilfst mir dabei, mich zu entwickeln" lassen einen nach der Taste zum Vorspulen suchen. Aber insgesamt versteckt sich hier ein eher düsteres, weil irgendwie realistisches Szenario mit immer wieder ergreifenden Momenten, wie etwa wenn Lysithea erzählt (siehe unten), dass sie bestenfalls noch fünf Jahre zu leben hat. Wem "Mario + Rabbids Kingdom Battle" (2017) lediglich zu knuddelig war, kann bedenkenlos zugreifen.



  POSITIV:
  - endlich in schön
  - drei Geschichten in einer
  - sehr tiefes Spielsystem


  NEGATIV:
  - eigene Figur ist stumm
  - holperiger Anfang



Die B-Note:

Reden wir nicht lange um den Brei herum: Ein Season Pass zu einem nahezu perfektem und dabei hochkomplexem Spiel mit bis zu 210 Stunden Spieldauer braucht richtig satte Inhalte, um nicht wie eine lahme Ente zu wirken. Insbesondere wenn er mit stolzen 24,99 € etwa die Hälfte des Verkaufspreises des Hauptspiels auf die Waage bringt. "Der Erweiterungspass für Fire Emblem: Three Houses enthält neue Outfits, Hilfs-Items, Quests, Karten und mehr", ist also so ziemlich genau der Satz, den ich nicht lesen will.

Weder brauche ich Outfits und weitere Hilfs-Items (wie etwa Heiltränke und magische Ringe), noch wie es dann später heißt "zusätzliche Quests", weil eine Quest in "Three Houses" gleichbedeutend damit ist, irgendeinen Gegenstand aufzuklauben oder am Ende eines stinknormalen Kampfes zu erfahren, dass damit auch eine Quest abgeschlossen wurde. Spannend! Mit mehr Nebenhandlungen - das sind längere Geschichten um einen oder zwei Studenten - hätte man jedoch durchaus punkten können, aber da heißt es "zusätzliche Nebenhandlung". Und das ist ein Singular. Also besser Finger weg von dieser dreisten Abzocke.

Update: Etwas überraschend ist nachträglich ernsthafterer Inhalt für den 12.02.2020 angekündigt worden. Eine größer angelegte Sidequest hat ein geheimes viertes Haus - die Silberwölfe - und eine neue Gegend - genannt der Abgrund - zum Thema und beschert mir vier neue Studenten, die mich dann auch durch die Haupthandlung begleiten können. Klingt schon besser, aber ist noch bei weitem zu vage, um mein Portemonnaie zu öffnen.