CRACKDOWN 3

Sumo Digital

(15.02.2019)

auch veröffentlicht für
Windows PCs


Wer wissen will, wie Microsoft wirklich zu "Crackdown 3" steht, braucht nur einen Blick aufs Cover zu werfen: Als Microsoft 2014 die Xbox 360 Version von "Forza Horizon 2" veröffentlichte, hatte man noch die Eier Sumo Digital auch auf dem Cover zu erwähnen. Mittlerweile weiß man aber auch in Redmond, dass Sumo Digital sich in etwa so gut auf einem Produkt macht wie ein abgelaufenes Verfallsdatum. Wobei eben gerade nichts passender gewesen wäre, als wenn Sumo Digital riesengroß auf dem Cover gestanden hätte, denn in der Verpackung befindet sich ein Spiel, dass sich in vielerlei Hinsicht nur marginal von seinem Urahn aus dem Jahr 2007 unterscheidet und die Halbwertszeit im Videospielsektor damit locker zehn Jahre hinter sich lässt.

Geradezu wie der letzte Hohn wirkt es da, dass sich stattdessen auf der Verpackung mit "4K ULTRA HD", "HDR" und "OPTIMIERT FÜR XBOX ONE X" die üblichen Sprüche breitmachen, an die ich allerspätestens bei der Agentenauswahl, bei der mir die Kinnlade auf den Kaffeetisch knallt, nicht mehr zu glauben wage. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, in welchem Jahr ich das letzte Mal solch jämmerliche Hackfressen in einem Videospiel gesehen habe... stopp, jetzt erinnere ich mich, das war 2007 in "Hellgate: London"! - Was hätte also deutlich leichter sein können, als wenigstens den eigenen paar Spielfiguren ein Aussehen zu geben, mit dem ich mich einigermaßen identifizieren kann? Stattdessen wirkt das hier wie die Streichliste der Konzeptzeichner.

Hier verunfallt die Kavallerie!

Von Spielern, die sich eher positiv über "Crackdown 3" äußern, heißt es häufig: "Die Story ist nicht so wichtig." - Bei "Super Mario" ist die Story nicht so wichtig! Die Story von "Crackdown 3" ist nicht nur total bescheuert, sie ist auch noch völlig unglaubwürdig umgesetzt. Der geheimnisvolle Gegner mit Namen Terra Nova unter der Leitung von Frau Niemand (kein Witz) hat von seiner mittleren Kleinstadt New Providence aus die Stromversorgung auf der ganzen Welt lahmgelegt, weil sie willige Arbeitskräfte brauchen. Die paar hundert Leute hätte man nicht auch bezahlen können, nein, da braucht es besser Milliarden von Flüchtlingen weltweit.

Aber diesen Fieslingen von Terra Nova treten wir von der Agency jetzt zur Strafe so richtig in den Allerwertesten und nähern uns dafür aus der Luft, damit sie auch ja die Elektrik unseres Transporters ebenfalls lahmlegen können und wir fast alle elendig verrecken. Damit ich anschließend nicht ständig das Gefühl habe, dass ich auf Seiten der selten Hirntoten unterwegs bin, ist Terra Nova zwar in der Lage die Welt zu unterjochen, aber gegen einen einzelnen Agenten haben sie keinen Hauch einer Chance. Wobei, das stimmt so nicht, ich habe ja z. B. die Unterstützung der paar Menschen, die ich aus den Freiluftgefängnissen befreie, die sich an jeder zweiten Straßenecke befinden und die fatal den Eindruck erwecken, die stehen dort nur für mich.

Spül den Boss raus!

Ich habe ganz zu Beginn gerade einmal Zeit, drei Mülleimer anzuschießen, schon fühlt sich der erste Zwischengegner Wilhelm Berg, seines Zeichens Personalchef und Torwächter, so bedroht, dass er mich höchstpersönlich und siegessicher angreift. Zum Glück hat er nicht damit gerechnet, dass ich nur das Fadenkreuz in seine Nähe bringen muss, dann den linken Impulsetrigger durchdrücke und anschließend mit automatisch folgendem Fadenkreuz mit jedem Schuss treffe. Das nenne ich mal Gunplay. Wenn am Ende so was bei rauskommt, braucht niemand der Entwicklungsdauer von fünf Jahren hinterher zu weinen. Wie bei billigen Klopapier liegt der Erfolg hier sofort auf der Hand.

Natürlich kann keiner erklären, warum sich die Tore zur Stadt für mich als Angreifer öffnen sollten, wenn ich den Personalchef bzw. Torwächter umbringen (nach der Logik müsste ein Migrant den Chef des Verfassungsschutzes töten, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen), aber Sumo Digital bleibt seiner verqueren Logik fortan treu und als nächstes muss ich nur genügend Stationsvorsteher - welche Aufgabe die auch immer genau haben mögen, wenn sie nicht gerade von mir getötet werden - der Hochbahn um die Ecke bringen, wenn ich eine Super KI angreifen will. Denn die böse, böse KI mit Namen Roxy versorgt mit der Bahn alle Flüchtlinge mit Alkohol, die dann zu arbeitsunfähigen Alkoholikern werden, aber ey, macht ja nichts, dass das zu dem ursprünglichen Ziel völlig konträr ist, eben an diese Arbeitskräfte zu kommen.

Offene Witzwelt

Hätte "Crackdown 3" nicht trotz dem ganzen Unfug und Autoaim Spaß machen können? Ja, da bin ich mir sogar fast sicher, denn es gab tatsächlich diese Phase von etwa zwei Stunden, die nach dem ersten Zwischengegner einsetzte, in der ich den Grafikschock langsam überwunden hatte und gern in der zunächst weitläufig wirkenden Welt umhergesprungen bin. Nur kommt man spätestens dann nicht daran vorbei zu realisieren, dass "Crackdown 3" unglaublich repetitiv ist. Aufgrund des fehlenden Deckungssystems treffe ich die Gegner ebenso leicht wie sie umgekehrt mich, also teile ich fast immer im gleichen Rhythmus aus, stecke ein, ziehe mich zurück und von vorne.

Da hilft es dann mal gar nicht, dass die Welt jeden Hingucker und jeden halbwegs logischen Aufbau vermissen lässt. Auf dem Weg zur KI etwa, die in der Spitze eines Hochhauses residiert, musste ich mich dutzende Meter in die Höhe schrauben und habe zwar einem Aufzug und auch mehrere Treppen gesehen, jedoch haben diese deutlich weniger Etagen miteinander verbunden als sie eben nicht verbunden haben. Also wie läuft die Nummer? Reisen die Bediensteten per Hubschrauber an und bleiben dann ihren Arbeitstag lang in ihren zwei Stockwerken, die keinerlei Funktion oder Einrichtung besitzen, oder haben alle wie ich enorme Sprungkraft und Raketenrucksäcke. Und woher bekommt die KI während des Bosskampfs die ganzen Roboter? Hätte man nicht wenigstens das versuchen können darzustellen?

Fazit:

Wer wie ich auf eine "Sandbox-Welt voller Chaos und Zerstörung" aus war, der hat ganz schön Augen gemacht, als er feststellte, dass lediglich im Multiplayer-Modus die Zerstörung der Umgebung möglich ist. Im Singleplayer-Modus kann ich nicht einmal eine Wellblechhütte ankratzen. Wer wie ich dachte, jetzt kommt dieser für Microsoft wirklich wichtige Exklusivtitel, der seit 2014 in der Entwicklung ist, seit 2016 als extrem überfällig gilt und nun zum Ausgleich die Xbox One X so richtig zum Glühen bringen wird, der reibt sich die Augen bei einer Grafik, die in 720p vielleicht sogar ohne Abstriche auch auf der Xbox 360 möglich gewesen wäre und mich an die eher missglückten Designs Marke Dauerneonröhre aus Science Fiction Filmen der 70er und 80er Jahre erinnert.

Am Ende bleibt daher vor allen Dingen die große ungeklärte Frage, warum Microsoft "Crackdown 3" überhaupt noch unbedingt in diesem Zustand veröffentlichen musste. Warum überträgt man einem zweitklassigen Studio wie Sumo Digital, dessen große Stärke eindeutig in der Portierung auf mobile Plattformen liegt, eine derartige Mammutaufgabe unter Zeitdruck? Das Endergebnis ist nun völlig vorhersehbar ein "Crackdown 3" mit dem wenig aufgebohrten Gameplay eines Spiels aus dem Jahr 2007, das nicht einmal an die kommerziell wenig erfolgreiche und in weiten Teilen ziemlich dreiste Kopie "Agents of Mayhem" (2017) von Volition herankommt.

Leid tun mir nur die Händler mit physikalischen Kopien, denn an "Crackdown 3" kommt man ja alternativ wesentlich kostengünstiger im Rahmen des Game Passes. Insbesondere die Ladengeschäfte haben in den letzten Wochen bereits alles versucht, um ihre Einheiten von "Fallout 76" (2018) endlich los zu werden - legendär waren etwa das Bundle von Gamestop, als jeder gebrauchter Controller für PS4 und Xbox One mit "Fallout 76" versehen wurde, oder von Saturn, in dem es zur Xbox One X gleich zweimal "Fallout 76" dazugab. Nun müssen die Händler kaum drei Monate später anfangen "Crackdown 3" zusätzlich auch noch mit Kaffeevollautomaten oder Waschmaschinen zu bündeln oder auf ein sehr ungewöhnliches Ostergeschäft hoffen, wenn sie das Spiel nicht gleich zu Dutzenden für einen Fünfer in der Ramschauslage nahe der Kasse plazieren wollen.



  POSITIV:
  - manchmal komisch
  - oft unfreiwillig komisch


  NEGATIV:
  - Story absoluter Humbug
  - veraltete Grafik
  - veraltetes Gameplay
  - keinerlei Abwechslung