POKEMON:
Let´s Go, Evoli!

Game Freak Inc.

(16.11.2018)


Seit fünf Jahren warte ich darauf, dass Nintendo sich endlich mal einen Ruck gibt und ein "Pokemon" Spiel der Hauptreihe auf einer Nintendo Heimkonsole erscheint, und nun war es mit "Pokemon: Let´s Go, Evoli/Pikachu!" endlich soweit. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, ein komplett neues Spiel zu erhalten als eine Neuauflage der sog. "Gelben Edition" (1998) aus Gameboy Zeiten, aber soweit soll es dann erst Ende 2019 sein...

Von einem der auszog, der Champ zu werden

In der Welt von Pokemon - hier die Kanto-Region - geht es um nichts anderes als Pokemon und das wunderbar kindgerecht. Da ist es etwa vollkommen normal, dass lediglich eine handvoll Leute in der jeweiligen Stadt leben, während alle anderen tagein tagaus in Höhlen stehen oder im Wasser schwimmen, in er vagen Hoffnung sich eines Tages mit mir zu duellieren. Oder die Bösen in Form von Team Rocket so seltsame Allmachtsfantasien haben, dass es misslingt sie auszuformulieren und mich irgendwie gegen sie aufzubringen. "Die tun schlimme Sachen mit den Pokemon", heißt es immer wieder, aber was könnte noch grausamer sein, als sie zu hunderten in Pokebälle zu sperren, so wie ich das in meinem Sammelwahn tue?

Zu Beginn des Spiels hat meine Spielfigur nicht einmal ein Pokemon - aber fünf Minuten später, wenn ich eines habe, will ich schon der neue Champ aller Pokemontrainer der Kanto-Region werden. Das ist wie aufs erste Fahrrad zu steigen und gleich die Tour de France gewinnen zu wollen, wie die Führerscheinprüfung zu bestehen und zu glauben, man hätte die Formel Eins Lizenz erworben, oder wie das erste Taschengeld zu bekommen und sich fortan wie Dagobert Duck aufzuführen. Sprich: Dieses Verhalten ist saublöde - und es wäre nun wirklich nicht unmenschlich schwer gewesen, der Spielfigur ein paar weitere Motivationen zuzuschreiben.

Der Irrtum mit dem Pro Controller

Wenige Sachen sind so preisstabil wie Nintendo Controller, aber als eine der großen Elektronikketten einem vor ein paar Monaten mal wieder die Mehrwertsteuer "schenkte", gab ich mir einen Ruck und wurde Besitzer des wunderbar in der Hand liegenden Switch Pro Controllers. Mit "Let´s Go!" wollte ich ihn nun richtig einweihen, doch als ich den Controller direkt nach Start des Spiels wählen soll, reib ich mir die Augen: Ich habe nur die Wahl zwischen dem linken Joy-Con, dem rechten Joy-Con, dem neuen Pokeball Plus (knapp 50 €) und den Joy-Cons in der an die Switch angedockten Version.

Ja, natürlich steht das so auch auf der Verpackung drauf, und ja, sicherlich hätte ich mich vorher diesbezüglich informieren können. Nur warum sollte Game Freak künstlich den besten Nintendo Controller ausschließen und Männerhänden mit einer einzelnen Joy-Con einen Krampf bescheren wollen? Das wurde mir schnell klar: Die freilaufenden Pokemon wollen in einem grenzdebilen Minispiel gefangen werden, in dem ich den virtuellen Pokeball werfe, indem ich den Joy-Con im richtigen Moment mitteldoll ruckartig von oben nach unten bewege. "Ziele mit dem Joy-Con auf die Bildschirmmitte", erklärt mir das Spiel. Das ist der schlechteste Tipp des Jahres, weil ich innerhalb einer ruckartigen Bewegung von oben nach unten schlecht zielen kann, die Switch anders als die Wii U über keine Sensorleiste verfügt und daher nicht "weiß", wo die Bildschirmmitte ist, und man außerdem indirekt verrät, dass "Let´s Go!" bereits für Wii U erscheinen sollte.

Ist die Bewegung zu schwach, rollt der Ball dem Pokemon lediglich gegen die Füße, gebe ich zu viel Stoff, geht der Ball über das Pokemon drüber. Richtig gut wird es aber erst, wenn die Viecher nicht passiv in der Mitte des Bildschirms auf den Ball warten, sondern weit nach links oder rechts gesprungen sind oder sogar umherfliegen. Wie ich den Ball mit voller Absicht nach links oder rechts werfe, kann mir das Spiel nicht vermitteln, weil es die Mechanik des Standardwurfs bereits nicht erklären kann. Schulterschmerzen sind in jedem Fall garantiert - und zusätzliche Spielgeldausgaben für die verblasenen Pokebälle auch.

Der zweite Bildschirm fehlt

Auch sonst reist die Steuerung sich kein Bein aus, funktioniert aber solange ich nicht den Fehler mache, mich mit irgendwelchen Werten meiner Pokemon beschäftigen zu wollen. Dann zeigt sich nämlich, dass Pokemon Spiele für die Handhelds DS und 3DS seit über zehn Jahren auf einen zweiten Bildschirm zurückgreifen können und dies ebenso auf der Wii U auch gekonnt hätten, aber nun auf der Switch eben ohne dieses Feature dastehen. Wer etwa die Werte des richtigen Pokemon mit einem Bonbon steigern will, hat eine ganz schöne Odyssee vor sich:

Einmal "Team" wählen, dann entsprechendes Pokemon wählen, dann "Bericht" wählen und zum Schluss die Details zu den sechs Charakterwerten Kraftpunkte (Leben), Angriff, Spezialangriff, Verteidigung, Spezialverteidigung und Initiative anzeigen lassen. Dies nun gut merken, dann dreimal Abbrechen, nun Beutel wählen, dann Bonbonglas, den richtigen Bonbon und zuletzt das passende Pokemon - geht sicherlich für ein Pokemon, aber wer gleich mehrere Bonbons korrekt verteilen will, der muss echt auf Zack sein. Und mal ehrlich, Game Freak, nur ein Spielstand pro Profil? Keine nachträgliche Änderung der Sprache? Geht's noch???

Von Sammlern und Trainern

"Let´s Go!" bietet mir als Spieler serientypisch im wesentlichen zwei Beschäftigungen: Möglichst viele der 151 verschiedenen Pokemon zu sammeln, die ich dann auch im Pokedex bewundern kann, und eine kampfstarke Truppe, bestehend aus sechs jederzeit frei wählbaren Pokemon, durch Erfahrungspunkte aufzuleveln. Alles andere ist nur Beiwerk, denn über so was wie Quests bin ebenso gestolpert wie über ihre Lösung. Wie ich bereits weiter oben beschrieben habe, bin ich und meine rechte Schulter kein "großer Fan" des Fangspiels - und doch habe ich am Ende viel Zeit genau damit verbracht.

Warum? Weil sich so am schnellsten Erfahrungspunkte verdienen lassen. Erstens gibt es endlich viele Kämpfe, denn meine Gegner wollen sich in aller Regel nur einmal mit mir messen, während wilde Pokemon schneller nachwachsen als ich sie einfangen kann. Zweitens dauert ein Kampf wesentlich länger als ein Fang, bringt aber nicht wesentlich mehr Erfahrungspunkte ein, so dass ich - solange ich die Pokebälle nur irgendwie finanzieren kann - gut beraten bin die Erfahrungspunkte auf diese Art und Weise zu farmen. Wobei an dieser Stelle aber auch fairerweise gesagt werden muss, dass das Spiel bis zum Ende der Haupthandlung einen sehr moderaten Schwierigkeitsgrad hat und erst danach deutlich anzieht, so dass ich so furchtbar viele Erfahrungspunkte gar nicht sammeln musste.

Ahnen ist nicht Wissen

Pokemon Spiele erscheinen nicht nur immer paarweise sondern werden seit geraumer Zeit auch von ein bis zwei Büchern flankiert, damit der Rubel noch mehr rollt. Entsprechend findet sich im Spiel selbst keine zusammenhängende elektronische Anleitung. Zwar ist die Lernkurve im aktuellen "Let´s Go!" zunächst generell so flach, dass ich unmöglich auf den Arsch fallen kann, wer jedoch ein Bisschen mehr Informationen zu verschiedenen Spielmechaniken haben will, muss tapfer mit jedem Bewohner der Spielwelt reden, denn es ist nicht ersichtlich, wer nur irgendwelchen Brei von sich geben wird und wer tatsächlich einen wertvollen Hinweis bereithält.

Wer etwas über die Fähigkeiten seiner Pokemon erfahren möchte, ist ohne externe Quellen ziemlich aufgeschmissen. Das Spiel verrät mir weder im Voraus, welche Fähigkeiten theoretisch erlernt werden können, noch kann ich irgendwo ablesen, ob und mit welchem Level sich mein jeweiliges Pokemon in eine andere Form verwandelt, was um so schrecklicher ist, wenn einem ans Herz gewachsene echte Knuddel (Bisasam) sich mit der Zeit in potthässliche Viecher (Bisaflor) verwandeln.

Zumindest theoretisch wären auch die reduzierte Anzahl von 151 Pokemon mit jeweils sechs aktiven Fähigkeiten immer noch locker ausreichend gewesen, um "Let´s Go!" zu einem hochkomplexen Spiel zu machen, jedoch hat Game Freak nicht mehr als ein simples Stein-Schere-Papier-Prinzip eingebaut. Was bedeutet: Ich muss nur auswendig lernen - oder wahlweise in einem der schlauen Bücher oder im Internet nachschauen - welches Pokemon die passenden Nehmerqualitäten oder den passenden Wuchtschlag hat und schon gewinne ich jeden Kampf - auch gegen Gegner ein paar Level über mir.

Auch das liegt eigentlich immer noch über reinem Button Mashing, aber was "Let´s Go!" ansonsten so auffährt ist ein Scherz, weil Rätsel innerhalb der Spielwelt entweder regelmäßig den Namen nicht verdienen - etwa als ich den Kapitän des Luxusdampfers mit Atemübungen helfe - oder lediglich total unübersichtlich sind. Höhepunkt ist die Suche nach dem Weg in einem zehnstöckigen Hochhaus, dass dutzende zunächst verschlossener Türen und Teleportationsfelder aufweist - wie passen diese Felder eigentlich in die restliche Spielwelt? Man kann Spielzeit auch weitaus eleganter schinden!

Einfach nicht schön zu trinken

Wer bisher nur die Trailer von "Let´s Go!" gesehen hat, der wird sich schnell wundern, wie schlecht die Umgebungsgrafik tatsächlich ist. Während die Städtchen mit Ihren acht bis 20 Häusern noch ganz niedlich wirken, sind die sog. Routen dazwischen eine einzige Ansammlung der Standardwiese, des Standardgebüschs und des Standardbaums. Da fast alles rechte Winkel hat, wird gerade mal das Niveau knapp nach der Jahrtausendwende erreicht. Und die Höhlen - und man verbringt einige Zeit in Höhlen - sind sogar aufgrund der völligen Abwesenheit einer dynamischen Lichtquelle noch schlimmer.

Raus reißen tun die ganze Sache lediglich die niedlichen Charaktermodelle der Menschen als auch der Pokemon. Leider war es das dann auch schon wieder, denn die Animationen - auch im Kampf - sind eher spärlich und nur wenige Attacken wirklich bombastisch. Zudem hat jeder Gegner - sei er oder sie nun Angler, Dieb, Exorzistin, Forscher, Jongleur, Käfersammler, Picknickerin, Rüpel, Schönheit oder auch Schwimmer (keine abschließende Aufzählung) - seiner Kategorie entsprechend immer genau dieselbe Kleidung in genau derselben Farbe an. Als 3DS Umsetzung technisch sicherlich voll in Ordnung, als Switch Spiel lächerlich antiquiert.

Sag nur vier Worte: Ich will taub sein!

Leider hat sich bei Game Freak ebenso wenig herumgesprochen, dass anders als bei einem reinen Titel für mobile Geräte keine Sprachausgabe im Jahr 2018 in einem Vollpreisspiel für kleine Kinder mit viel Text mal gar nicht geht. Und auch die Geräusche der verschiedenen Pokemon sind alles andere als der Oberknaller, aber wahrscheinlich der Serientradition geschuldet, damit sich auch ja niemand vor den Kopf gestoßen fühlt, der seit Jahren ein bestimmtes Geräusch mit einem bestimmten Pokemon verbindet.

Weit schlimmer ist jedoch die Musik: Die vielen völlig nichtssagenden, dahinplätschernden Titel, die Wiesen und Höhlen untermalen, mögen ja irgendwo irgendwie jeder für sich noch gehen, aber dieses transponierende "didd, didd, didd, didd, dididi, dididi, dididi" was in einer Endlosschleife nach jedem Fang eines Pokemon ertönt - welcher Psycho hat es komponiert? Welcher Gamedesigner hat es an dieser häufigen Stelle eingebaut? Welcher Tester hat die Scheiße abgenickt? Das Ding ist wie Arschjucken im Ohr!!! Das kann doch niemanden entgangen sein!!!

Fazit:

Ich hatte eine ganze Menge mehr erwartet, weil ich bei Pokemon an wesentlich neuere Spiele als die "Gelbe Edition" von 1998 gedacht hatte. Letztlich liegt Game Freak mit "Let´s Go!" aber voll im Trend, weil auf der Nintendo Switch gerade absolut alles recycled wird, was auf der Wii U zu wenig Umsatz machte oder erst gar nicht erschienen war. Wer unbedingt ein Spiel knapp über 3DS Niveau auf der Switch spielen will und über die für eine Heimkonsole antiquierte Technik und umständlichen Menüs hinwegsehen kann, hat es sicherlich leichter als ich.

Aber mal ehrlich, wenn ich den ganzen alten Scheiß will, dann kann ich auch einfach die Wii oder den DS entstauben bzw. günstig abstauben und brauche nicht den gepfefferten Preis für die Switch und eine Neuveröffentlichung hinlegen. Ich für meinen Teil werde hoffentlich schon bald vergessen, dass es dieses Spiel überhaupt gibt. Und im Gegenzug hoffen, dass Ende 2019 dann wirklich ein ordentliches Pokemonspiel für die Switch erscheint oder wahlweise "Yo-Kai Watch 4" von LEVEL-5 mit dem Konkurrenten den Boden aufwischt.



  POSITIV:
  - kindgerecht
  - einige niedliche Monster

  NEGATIV:
  - dünne Handlung
  - mäßige Steuerung
  - fehlende Erklärungen
  - altbackene Grafik
  - keine Vertonung
  - grauenhafte Musik